Ποιειν Και Πραττειν - create and do

Poetische Notizen 1988-89

Hatto Fischer

 

Kleines Gedicht

 

Die Spatzen schwatzen so wunderschön

wenn sie vorbei hüpfen,

sie plötzlich von Balkon zu Balkon fliegen,

dabei Fenster und Türen geheimnisvoll öffnen,

aber niemals ihre freche Scheue preis geben -

es bleibt deren Geheimnis was am besten

zu ihren kleinen Körpern passt und sei es

nur ein Brotkrümmel vom Ernst Schnabel hingeworfen.

 

Kommt die kleine Maya,

zeigt mit ihrem Finger auf die Spatzen: 'da'.

 

Sie schauen seitwärts hoch und fragen sich,

was will nun diese Kleine von ihnen?

 

Plötzlich geht es alles schnell.

Geschwind plustern sie sich auf,

wippen mit dem Schwanz auf und ab,

und schon sind sie dem Blick entwunden.

 

Zurück bleibt der Balkon und der sanfte Wind

der die Haare von Maya nimmt

als seien sie eine Gitarre zum Spielen

von Melodien seit Mozart nicht mehr gehört.

 

Die Maya lauscht ganz vorsichtig,

überlegt sich ob sie gleich den Spatzen

etwas weiter hüpfen soll, oder nur

einen großen Schritt in die Zukunft wagen soll.

 

10.12.1989

Maya wurde am 8.Nov. 1988 geboren

 

 

Biermanns Gedicht

 

Er träumte mit seiner Stimme

von Havemann,

lachte ihn an,

vor allem hielt er fest

seine Gitarre wie eine Klampe

als jener Philosoph der Physik

den Purzelbaum wagte.

 

 

 

Der blaue Vogel

 

ein blauer Vogel

sang vom Paradies

 

die Orangenblüten

duften sehr

 

das Zwitschern

half uns pflücken

die Früchte

unserer Träume.

 

30.11.1989

 

 

Das optimistische Licht

 

Für die Freunde Janice, Rich, Emma und Micah in Detroit

 

Briefe der Hoffnung sind Zeichen der Entspannung

gleich einer Katze fürs Kind

ums Unbegreifbare am Leben

im Fäustchen festzuhalten.

 

Siehe das flackernde Licht der Kerze bei Nacht.

Es stellt sich die Frage, was erlöscht wirklich,

wenn einmal mit einem Puff die Flamme ausgeht?

 

Draußen sind die Winde zu hören. Sie trollen frei

in den Straßen herum, scheren sich kaum was sie umwerfen,

oder auch nur was sie verbiegen. Auf dem Boden der Erde

sind erkennbar Spuren größerer Unruhen, gleich den Mästen

von denen wir Ausschau halten, was noch kommen mag.

Doch dann legen sich die Winde zu Schlafe, und sichtbar wird

das optimistische Licht gleich den vielen Sternen am Nachthimmel.

 

14.12.1989

 

 

Irini

 

Niemand versteht

den tieferen Kurs

der Geschichte

bis nicht ein Bleistift

genommen wird

um jene Linie zu zeichnen,

wo du dich weigerst

sie zu überschreiten.

 

14.12.1989

 

 

Heiner Müller –sein Gedicht

 

Meine Herausgeber wühlen in alten Texten

Manchmal wenn ich sie lese überläuft es mich kalt.

 

Habe ich d a s geschrieben IM BESITZ DER WAHRHEIT

Sechzig Jahre vor meinem mutmaßlichen Tod

 

Auf dem Bildschirm sehe ich meine Landsleute

Mit Händen und Füßen abstimmen gegen die Wahrheit

Die vor vierzig Jahren mein Besitz war.

 

Welches Grab schützt mich vor meiner Jugend?

 

 

Umwandlung seines Gedichtes -

Im Rückspiegel der Zeit

 

Knochenhart ging es her.

Auf der Bühne mahlte die Maschine weiter.

Wer nicht mehr im Besitz der Wahrheit ist,

der hat keine Identität mehr.

Das Mahlen der Zeit ging weiter.

Auf einmal meinte Müller,

wer in einem westlichen Flugzeug sitze,

begehe bereits den Widerspruch.

Meinte er damit jene alte Dame,

genannt der Kapitalismus, soll keiner umarmen?

Seit Uwe Johnson wissen wir im Osten

müsse noch das Umarmen gelernt werden,

unvermeidbar war allerdings der Bruderkuss gewesen.

Gorbatschov mit Honneker: ja, das waren noch Zeiten,

als Liebe Wunschträume an die graue Mauer malte.

So gesehen, so geschehen, und nur Henryk Baranowski

versuchte Heiner zu erklären, im Osten sind die Widersprüche

ganz anders als im Westen zu zeigen, ansonsten

versteht keiner welch ein Bezug auf Hamlet gemeint sei.

 

 

 

 

Auf der Insel Spetses

            

Vom Fenster aus

verliert sich der Blick

im Gewirr an Masten der vielen Schiffe

im alten Hafen.

Unter dem Fenster streifen Katzen durch den Hof.

Anders die Atmosphäre an diesem Nachmittag.

Ärgerlich streift die Stimme

der Nachbarin

entlang der abgebrochenen Mauer.

Abseits stehen die Oliven Bäume,

steif im Nacken.

Seit einem Jahr schon

sind sie fast ohne Wasser.

 

Geschrieben steht im Stein

eine unendliche Weitläufigkeit

des Landes gleich dem Blick

hinaus aufs blaue Meer.

Alles erinnert an das Land

als nur Olivenbäume

sich im Wind vom Meer

zum Schlafe wiegten,

während Kinder

ihre Glühwürmer

zwecks Licht

für die Nacht suchten,

um sich malend vorzustellen

wie diese Insel einst gewesen war

als es noch keine Siedlung gab

und der Stein den Geruch

der Kräuter in sich auf sog.

 

23.4.1990

 

 

Schweigen

 

Bald donnern die Züge

im Norden

vorbei am kleinen Fenster

eines Hauses

das ich nicht kenne.

 

 

Zeit-Malerei auf Bayerisch

 

Könnt die Zeit steh'n´bleiba, so stünd sie quer,

quer zum Gebet, jener kirchlich angeordnete Zeitverlust.

So schau wo Du her kommast, wenn Du net auf beiden Be'n stündest?

Der Leithammel zeigt Dir den Weg, aber nimm dich in Acht,

weil die da ham, die hab'n nichts Dir zu verschenken.

Freilich, wenn Du brav bist, wirst vielleicht etwas abbekommen,

aber gewiss is das net! Darum schaufeln sie dahom am Dichters Grab,

aber in Berlin, da lassen sie den Friedrich abermals aufersteh'n.

Pfui Deufi, wenn i net gleich zu fluchen anfange, dann kannst was sehen.

Augenwischerei ist die ganze Politik. In Ruh solle sie mi lassa.

Schau, da kama's hergerannt, die Zunge rauß, stets aufgeregt, die Herrn,

als merka's net, das net die ganze Welt von ihnen abhängig ist,

aber die wollen ohnehin nur verrückt spielen, und all aus lauter Gaudi

für die die daheima blieba sand. A Wunsch kann ein jeder haben,

aber ein Gedicht daraus machen, das jeder verstünde, das ist selt'na.

 

2.2.1990

 

 

 

Traumkiste

 

Die Traumkiste, einmal

voll bepackt mit Blütenstaub,

sah wie ein kleiner Finger

winzig kleine Zahlen hinein schrieb,

während goldene Melodien

als Wiegenlied des Himmels

den Sternchen etwas ins Ohr flüsterten.

Es wiegte sich das Haupt des Waldes

sanft hin und her,

manchmal gewichtig, manchmal nachdenklich

in der Stunde des Schlafes

wenn kleine Schmerzen

nur kurz den Traum unterbrechen

und die Kiste fast von selbst

für die ganze Nacht sich schließt,

um zu warten, bis die Augen sich öffnen,

um zu sehen wer kommen mag,

um sie mit neuen Träumen zu füllen.

 

8.April 1990

 

 

Steine

 

Steine rollen bergab, wiegen schwer,

hauen gegen Hände, macht Arme stark,

empfindsam die aufgelockerte Erde

wenn der Samen ähnlich ausgestreut

wie die Landmasse der Vergangenheit

ihre stumpfe Sinnlichkeit verliert:

wer kennt den Schmerz,

wer kennt die Männer

des Steinbruches,

arbeitend im Gefängnis

ohne Gitter, ohne Wiederholungen,

immer noch aufhebend Steine,

gefunden zwischen Felsen und Disteln

wo Eidechsen davon huschen

und der Wind den Schweiß

von der Stirn abtrocknet.

 

23.4.1990

 

 

 

Nachtfalter

 

Nach vielen Umdrehungen

schauen endlich

Wörter

durch die Gitter

hinaus

auf den leeren Hinterhof.

Vogelfeder flattern schwerfällig zu Boden.

Von dannen flog die Freiheit

doch wo sind die Vögel

die den Surrealisten gehörten

als der Käfig noch in deren Brust war?

 

Blütenstaub,

oder

nur einsilbige Zeichen

in den Sand

gesetzt.

 

Den ganzen Tag

tranken sie Wein

bis die Kehle

ganz trocken,

sie ihre aufgewühlten Seelen

vernachlässigten.

 

Weit draußen tuckerten

die Fischerboote dahin,

ihre Netze schaukelten

im Abendlicht hin und her

bis plötzlich die Sonne

noch einmal aufblitzte

ehe sie am Horizont verschwand.

Lange danach glühte noch

der Abendhimmel

als würden die Sterne

ums Feuer tanzen.

 

28.4.1990

 

Athen mit Blick in Richtung Pireaeus

 

Athen

 

Als Gegenteil zu den Inseln

sind dort die Töchter zuhause,

weil nicht länger vom König Minos bedroht,

so bewahrheitet sich in der Stadt Athen

ein Refugium

ohne Dauer weil die Launen

gleich dem nicht voraus sehenden Wetter

die Stimmung im Raum

nachträglich verschlechtern.

Der Zweifel an der Poesie ist zu groß.

Über die Jahre hinweg ist er angewachsen,

so dass es kaum noch Brücken

zwischen gestern und heute gibt.

Warum auch das Bedürfnis

nach einem befreienden Lachen

immer wieder unterdrücken,

so als sei das Tragen einer Maske

eine moderne Notwendigkeit?

Mag sein keiner ist mehr gekommen

seit Parmenides um die jungen Männer

hinaus in die Natur zu nehmen,

so wirkt das Seiende im Spiegel des Seins

als eine verkehrte Welt in der Begriffe

wie Agora keine Rolle mehr spielen,

fürchtet sich doch ein jeder vor der Nomos

obwohl ohne der Physis gibt es keinen Trank

am Brunnen um den Suchenden zu erfrischen.

 

8.7.99

 

Leipzig

 

Kommt geflogen ein Vogel,

sagt der Mann seinen Namen,

bleibt Wetter Gewitter ohne Regen,

nimmt Kunst ihren fatalen Verlauf,

im Krieg frei nach Goya

von Psychopedis nach gemalt.

Es war die Geschichte eines Mannes

der früh erwachte, und nicht mehr

träumend

das Thema des ausgehenden 20zigsten Jahrhunderts

als einen besonderen Blick feierte. Es war der Blick

in die Augen jener Frau die ihm Zukunft versprach,

und es heute ihm ermöglicht über das zu sprechen,

was wäre der Fall wenn es keine Kinder mehr gäbe.

So gesehen gestanden die Gedanken ihm ein,

jene noch nicht gelebte Zeit vor ihm verlangt vieles:

Sprache, Geschichte, Freunde, und die Liebe

worauf dann die Kinder folgen, und ein leises Erinnern

an die vielen kleinen Entdeckungen an lieben Orten.

 

8.7.99

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