Ποιειν Και Πραττειν - create and do

Zeitanalyse 1979 - 84

 

                                                                      

 

von

Hatto Fischer

für Rosemarie

Berlin 1984

(aktualisiert 2015)

 

Inhalt:

Wie es dazu kam

Dialektik der Säkularisierung

Spuren der Neuheit

Licht

Die offene Wunde

Eintragung ins Tagebuch

Roma 1984

Der Terrorismus und die Touristen

Zurück zur Natur

Das Erlebnis

Zeichen dieser Zeit

Neapel

Zeitanalyse

Athen

Weisheit des alten Mannes

Naxos

Pireaeus

Kap Sounion

Abwesenheit

Der Ratschlag des Nachbars

Ich und die Könige

Alles schreit

Die Abtreibung

Zeiten aus purpurnem Gold

Schriftliche Poesie

Hautwechsel

 

Nachwort

 

 

Wie es dazu kam

 

Mondschein Serenade

oder

eine einsame Nacht

ohne Träume

schienen damals

die einzigen Alternativen

in einer zwei geteilten Stadt

zu sein .

 

Sie kam

und dann wieder nicht

ins Seminar zum Thema

'die Dialektik der Säkularisierung'

am Religionswissenschaftlichen Institut

der Freien Universität von Berlin.

 

Sie kam nur zur ersten Sitzung,

als es darum ging mit Studenten

zu entscheiden wohin die Studienreise,

um das Verhältnis Kirche-Staat

praktisch vor Ort kennen zu lernen:

ob nun Italien oder Polen?

Da alle Studenten nach Polen wollten,

nur sie nach Italien, kam sie nicht wieder

und blieb so ein ganzes Jahr unsichtbar.

 

Wie auch immer, der erste Eindruck

war entscheidend. Seitdem hielt ich

Ausschau nach ihr, aber vergeblich!

Unvergesslich ihre fragenden Augen.

Sie machten mir zugleich etwas Angst,

denn ich ahnte ihr Wahrheitsanspruch

war sehr hoch. So verging ein Jahr.

 

Dann traf ich sie plötzlich unerwartet

auf einer Straße in Dahlem wieder.

Es hatte geschneit. Unvergesslich

ihr wunder schönes Gesicht,

eingerahmt von einem Schal.

Ihr Lächeln und kritischer Blick

besagten Nähe und Ferne entstehen

zeitgleich aus Angst und Sehnsucht.

Wir tauschten zum ersten Male

unsere Adressen und Blicke aus.

 

Ab dann telefonierten wir, bis sie

endlich eines Abends nach Kreuzberg

mit einem Taxi kam und vor der Haustür

im Schnee stecken blieb. Ein lustiger Anfang.

Seit diesem Tag wurde sie meine erste Liebe

gleich dem Erleben meiner Selbst, wenn auch

der Umzug von der Wohngemeinschaft

auf der Zeughofstrasse in ihre Wohnung

im vierten Stock des linken Seitenflügels

auf der Knesebeckstrasse nicht leicht war.

Es kam etwas zustande und dann doch nicht.

Bald darauf reisten wir gemeinsam zuerst

zu ihr nach Hause und dann nach Paris,

doch entsprechend ihrem ganzen Verlangen

ging es immer häufiger in den Süden:

erst Italien, und dann nach Griechenland.

 

 

Dialektik der Säkularisierung

 

Ein jeder kann darüber schreiben, ja dichten,

selbst wenn es keinen direkten Zusammenhang

(eine Art Kombination genannt das Glücksspiel)

zur Frage gibt, warum Liebe leicht verloren geht.

Eine Antwort darauf wäre die ungeklärte Dialektik

der Säkularisierung, wobei Frauen und Männer

sich in der Kirche trauen lassen, aber draußen vor

Mangels an Liebe als bald sich für immer trennen.

 

Spuren der Neuheit

- in Erinnerung an Hölderlin

 

Spuren der Neuheit verliefen sich in der Stadt

weil der Anspruch auf Dialog ausblieb. Er wollte

nur den 'göttlichen', lehnte dagegen die Sprache

der rauen Männer auf offener Straße einfach ab.

 

Nachdem ein kurzer Sommerregen aufkam,

und die Straßen ein wenig vom Staub befreite,

erhellte der Himmel sich alsbald wieder.

Glocken läuteten in der Ferne. Ganz nahe

ertönte aus dem Turm ein Lied des Lobes

auf Sophokles. Bald kam Empedokles hinzu.

 

In Erinnerung an Weinberge und kleinen Dörfern

kann das Verbleiben in Gedanken an die Antike

anderes betonen, denn ist einmal Denken im Staub

ein Begriff, schlagen die Wellen nicht mehr so hoch,

um sein Verbleiben im Turm am Neckar zu bedrohen.

 

Eher schien es am Verlust der Liebe zu liegen,

dass er sich nicht mehr hinaus traute.

      Alsbald wurde manch ein Geflüster

über seinen Zustand vom Winde

davon getragen. Zurück blieb

auf dem Tisch das Gedicht als Fragment.

 

 

Licht

 

Liebe bleibt Licht

   auch dann

wenn sie ausbleibt

und in der Dunkelheit

nicht zu sehen ist.

 

Selbst wenn Liebe als Lichtquelle

ihn blendet, ja ihn aus Freude

wie ein Betrunkener

bis an den Rand ihres Schicksals

taumeln lässt, wird er nüchtern

sobald er sie berührt,

und ihren Atem

in seinem Gesicht spürt.

Fühlt sie erst einmal seine Blicke

wie Licht über ihre Haare streifen,

lächelt sie ein wenig verlegen

während unter ihren grünen Augen

die Seelenfenster sich öffnen,

so daß er ihre Schmerzen sieht.

 

Verstehen kann so zur Brücke werden

die er hofft eines Tages zu überqueren,

wohl wissend darunter fließt die Sprache

gleich ihrer imaginären Überzeugung

in Liebe als das Licht das ihn sehen lässt.



Die offene Wunde

 

Eine tiefe Verletzung in ihr wurde mir bewusst

als sie mich zum ersten Mal nach Hause nahm.


 

Vom Stuttgarter Bahnhof aus ging es nicht

direkt zum Ort wo ihre Eltern wohnten,

sondern hinauf in den Wald, und einmal da,

erzählte sie zuhause sei sie stets verloren gewesen

bis sich das klärte. Als sie elf Jahre alt war,

fand sie heraus der Mann neben ihrer Mutter

war gar nicht ihr Vater. Ein anderer hatte sich

über ihre Mutter an nur einem Abend her gemacht,

als sie geschwächt von der Flucht aus Schlesien

in eine bunte Gesellschaft im Süden hinein geriet.

Seitdem suchte sie den Kontakt zum wirklichen Vater,

doch der blieb für sie ein Phantom. Er weigerte sich

überhaupt mit ihr zu sprechen, geschweige sie als Tochter

anzuerkennen. Vermutlich tat er das aus Angst.

Als Inhaber eines Geschäfts mit dem Namen 'Betten Lindl',

und selber Vater von drei weiteren Töchtern,

blockierte er alles ab. Selbst die Vermittlungsversuche

des Priesters in seinem Dorf, den sie aufsuchte,

schlug er aus. So gesehen war sie einer Unwirklichkeit

für immer ausgesetzt, und fand keine innere Ruhe.

 

Diese Nicht-Anerkennung schmerzte sie wie eine offene Wunde.

Stets suchte sie im Mann den Vater, und heiratete

schließlich jemand der so langsam spricht, dass sie

nicht länger an Flucht dachte, sondern dem Ratschlag

folgte bei einem endlich zu bleiben, um Mensch zu werden.

 

 

Eintragung ins Tagebuch

 

Geformt im Laufschritt,

nebenbei aufgeschrieben,

ohne ihre Grenzen zu kennen,

sticht etwas in seinem Tagebuch hervor:

im Abstand zur ihrer Gegenwart

sein Rätselraten was sie wollte.

 

Sie suchte die weibliche Identität

trotz männlicher Organisationsstrukturen,

suchte in Raum und Zeit, und fand

im Süden Beweise für ihre These,

doch allein der politischer Wille

reicht nicht aus um Veränderungen

jenseits dieser Gesellschaft zu erzielen.

Es blieben weiterhin die Frauen zuhause,

während die Männer sich frei

im öffentlichen Raum bewegten.

 

Das Surrealistische daran

verläuft sich im Verkehr,

doch das Unwirkliche daran

hebt de Chirico hervor.

 

Stets gehen in Städten des Südens

metaphysische Erfahrungen verloren -

das Erklimmen der Treppen

macht nicht nur sie atemlos.

 

Sein endloses Warten bis sie

endlich unerwartet kam,

das bewirkte in ihm 

ein unregelmäßiges Einhalten

seines Zeitgefühls.

Es ließ vieles unbeantwortet

bis aus Seitengassen

freche Pfiffe ertönten

und er wieder wusste

wie es mit ihr weiter geht.

 


Roma 1984

 

Sie bewunderte wie Klaus Heinrich

ganz vorsichtig Nüsse ergriff,

um sie dann genussvoll zu verzerren.

 

Genuss kommt ebenso auf

wenn sitzend in der Sonne,

sie ihn verschmitzt anlacht

und das beim Trinken

eines Cappuccinos oder Glas Wein

im Café nahe dem Brunnen

auf der Piazza Navona.

 

Nur ab und zu erinnerten ihn

Schmerzen an den Abstand

den sie zu ihm hielt, und das

inmitten eines dröhnenden,

ja sehr wechselhaften,

mal von links, mal von rechts

kommenden Verkehrs

der die Hegemonie

der Stadt erheblich störte.

 

Rom samt Vatikanstadt

als ein robuster Ort im Süden

verspricht nahe dem bronzenen Tor

das Pflaster der Wahrheit zu sein.

Dennoch verharrten viele im Schweigen

trotz des Zustandes der in 1984 herrschte:

„Stesso“ sagen die Italiener dazu.

Übersetzt besagt es was 'immer gleich bleibt'.

Es umschreibt am ehesten Kontinuität

als das Vergebliche etwas zu verändern.

Es mag an der Staatstreue der PCI liegen,

weil vom Erfolg der Erfolglosen geblendet,

oder weil alles sich um Craxi kristallisiert

der die alte Ideologie von 'La Rinescita'

verkörpert, oder noch mehr die der Mafia.

 

Ja, die Mythologie der Wiedergeburt

ist eine Parole die ebenfalls in Polen gilt,

und das selbst zur Zeit des Kriegsrechtes,

denn eines ist gewiss, die nächste Phase,

genannt 'Normalisierung' wird bald folgen.

 

 

Der Terrorismus und die Touristen

 

Die Zeit als Postbote bringt Geschichte

nach Hause, dennoch bleibt allzu vieles

im Belanglosen verborgen. Sehr selten

hinterlassen die Eindrücke tiefe Spuren.

 

Die Sonne glüht zwischen den Zypressen.

Es geht auf den Abend zu. Der Lichtstreif

sticht ab vom Azurblau des Horizonts. Bald

darauf verfällt die Landschaft ins Schweigen.

 

Auf den Feldern von Mezzogiorno

prasseln Feuer.

Nicht alle sind von Männern bewacht.

Umbruch der Zeit.

Hier und da fiebern sie alleine weiter.

 

Soldaten mit Maschinengewehr bewachen

     das Justizministerium in Rom.

Eine Bagatelle, sagen die Italiener dazu,

und meinen die Geldverschwendung für Sicherheit.

 

Schräg gegenüber sitzen die Touristen im Café

und nehmen einen Beerdigungszug wahr.

Es gibt wieder frische Gräber, sagt der Kellner dazu.

 

Der Willkür des Terrorismus entkommt keiner.

Dennoch wurde Cossiga im Parlament

von jeglicher Schuld frei gesprochen,

doch das klärt nicht die Frage in Italien

nach den Ursachen des Terrorismus.

Obwohl als Gefahr für die Demokratie

beschrieben, praktisch wird diese Gewalt

als Gefahr für den Staat dargestellt.

Selbst die Frage nach den Ursachen ist

keine unschuldige. Vor allem hegt jeder

die Angst bei einer falschen Antwort

den guten Ruf zu verlieren. So wird

der wirkliche Grund für all den Terror

gleich mehrfach entstellt, solange bis

keiner dem Widerspruch entkommen kann.

 

Was besagen die Flüsse vor der Stadt dazu?

Sie zeigen auf Frauen die weit außerhalb

waschen wollten, und dabei auf Abwege

     gerieten.

Gleichzeitig können sich die Reisenden

    in Sackgassen verirren.

Weniger die Träume die jeder mitträgt.

    Sie sind keine Last als vielmehr ein Versuch

auf Postkarten Spuren zu hinterlassen.

So wird nach Hause berichtet:

    Wolle ist noch zu kaufen,

    der Cappuccino schmeckt ganz anders

    und das Treppensteigen im alten Haus

    kein Problem.

 

Im Hotelfoyer hat der Portier Licht aufgestellt,

    um die Fliegen zu vertreiben, oder anzuziehen.

    Er ist sich seiner Sache nicht ganz sicher.

Mit seinem Rücken zum Licht lässt er

einzig und allein skurrile Schatten entstehen.

 

Sie warten bis die Ruhe sich von selbst einstellt,

um nur diese eine Nacht in der Herberge

am Campo di Fiori zu verbringen.

 

 

Zurück zur Natur

'Women in Love' von T.H. Lawrence

Die bärtige Alltäglichkeit besagt

keiner kann zurück zur Natur,

noch Liebe aus dem Eis befreien.

Allerdings ohne Fehler zu gestehen,

bleiben ihre Gefühle un-artikuliert.

Andere zogen es vor auf Bauernhöfen

Kollektive zu gründen und lösten damit

nach Sartres Besuch Stammheim ab.

Die ökologische Bewegung hatte begonnen.

 

 

Das Erlebnis

 

Lange versuchte er sie mit solchen Bilder

die nicht zurückschlagen, zu überzeugen.

Doch dann umringte die Carabinieri sie plötzlich,

weil als ein Bonnie und Clyde verdächtigtes Paar,

sie fast in den Sog des Zeitgeschehens hineingerieten.

 

Nur manche Leute erzählten damals

etwas von stattfindenden Prozessen.

 

Ein Vergleich mit dem alten Rom

kommt dabei nicht in Frage.

Kafka war fast schon vergessen.

So standen sie hilflos beisammen

und blickten auf die blauen Männer

mit Gewehren im Anschlag. Er dachte schon

Steif im Nacken, Schmerzen im Rücken

wegen der schlechten Matratze im Gefängnis -

doch es kam anders. Sie durften gehen.

 

Allein es war ein Erlebnis ihre Schönheit

beim Waschen zu sehen. Sie stand in einer Schüssel

und blickte im Spiegel zu ihm neckend zurück.

 

All das machte beim Streifen durch die Stadt von Rom

und bei allem Nicht-Verstehen einen Unterschied aus.

Mit Rudeln an Hunden und Ruinen hat das wenig zu tun.

 


Zeichen dieser Zeit

 

Charakteristisch für diese Zeit ist

immerzu geht etwas zu Ende,

dabei beginnt etwas anderes,

und zwischen drinnen schleicht herein

auf sanften Pfoten die Katze.

 

Gleich Treppen, Türen, Kochtöpfe und sogar

Matratzen, alles nutzt sich mit der Zeit ab.

Ebenso kommen und gehen Begriffe.

Sie besagen was gerade besteht,

doch wenn Kinder Äpfel stehlen,

ist es stets ratsam genauer hinzusehen,

denn was ist Diebstahl wenn sie

in den Straßen von Palermo leben

und keinem über den Weg trauen?

 

Goethe kam dorthin um allein

den botanischen Garten zu sehen.

Seitdem zerfiel die Altstadt

bis nur die Mafia, und eben

jene Elternlose Kinderschar

zwischen geparkten Autos

eine einzig artige Falle anbot.

Touristen verloren Handtaschen,

wenn plötzlich von hinten

einer auf dem Mofa kam

und beim Vorbeirassen danach griff.

Doch sie war gerade so wütend

auf ihn, dass sie an ihrer Tasche

derartig fest hielt, dass der Dieb

nicht anders konnte als loszulassen.

 

Es war kein Zauberteppich

der die Beiden nach Cefalu brachte.

Im Zug dorthin wären sie fast eingeschlafen. 


 

Cefalu

  

 


 

Neapel

 

Beim Einfahren des Zuges

in Nea-Polis, oder Neapel

machten bereits

die entlang dem Geleise

gelegenen Wohnblöcke

mit deren ausgehängten Wäsche

die Armut im Süden

sichtbar.

Solch erste Eindrücke

wenn hängend aus dem Zugfenster,

leiteten bereits Veränderungen

in der Kategorienlehre des Möglichen

von Aristoteles ein,

und machten so weitere Unterschiede

im Topos der Zeit selbst evident.

So geschehen unerwartet Dinge

ähnlich zur Unruhe

die plötzlich

in eine Schar an Tauben fährt,

wenn ein Motorrad fehl zündet.

Stets half sie ihm

andere Dinge zu sehen.

Gerne hielt er ihre Hand und

folgte ihrem aufmerksamen Blick

fürs Bedeutsame, denn sie verstand

vor allem einzelnen Menschen

einen neuen Mythos zu geben.

 

Als sie den Bahnhof verließen,

stand da eine alte Frau und raschelte

mit ihren Tüten, so als wolle sie

ihre Erinnerungen den Beiden anvertrauen.

Die Uhr über dem Bahnhofseingang

ließ die Menschen dahin eilen.

Viele stöhnten. Die Warteschlange

war lang, lange warteten alle aufs Taxi.

Das Grinsen der Kutscher in der Nähe

war dabei nicht zu übersehen.

Nadelstiche nannte man das in der Schule.

 

Deren Ankunft im Süden wurde

von etwas Besonderem unterstrichen.

Als erstes wurden sie Zeugen

eines Beerdigungszuges.

Er bestand aus

einer fast einstöckigen hohen Kutsche,

die, von schwarzen Pferden gezogen,

den Mythos des Todes unterstrich.

 

Der Anblick erinnerte an was Broch

im 'Tod von Virgil' beschrieben hatte:

begleitet von Männern die mit dem Dichter aus Athen

zurückkamen, zog sich der Zug langsam dahin,

denn der kranke Dichter war hoch aufgebahrt

als sei er bereits tot. Doch der Mythos

den er schuf, verhinderte es an diesem Tag,

dass die Enttäuschung um sich griff.

Statt dessen wussten die Menschen

wann die Zeit gekommen war

die Olivenbäume zu schneiden

und wie wilde Pferde zu zähmen sind.

Einmal in Neapel unterwegs,

machte etliches leicht zu Mute.

Das unsichtbare Gepäck voller Sorgen

hatten sie abgegeben. So hörten sie

Gesänge entlang dem Bergpfad

rauf zum Fort Sankt Elmo.

Sie kamen aus einer Kapelle

und schienen auf den Widerhall

in den Wänden zu lauschen.

 

Halbwegs oben versuchte sie einen Anruf.

Keiner antwortete am anderen Ende.

Sie legte den Hörer auf und die Münze fiel lauthals

zurück ins Fach des altmodischen Apparates.

Sie wundert sich warum keiner zuhause war.

 

Danach wollte sie wissen was Frauen tun

wenn die Männer in Neapel drohen würden:

"Frau sei still, oder ich schlage Dich weich

wie den Tintenfisch!" Mit Gewalt hat das zu tun.

 

Zu erinnern sei an Pablo Neruda.

Er veröffentlichte seinen Liebesband

unter einem Deckname in Neapel,

um nicht seine zweite Frau zu verletzen,

wenn er so sehr seine Liebe der dritten gestand.

Einmal ganz oben und blickend

herab auf den Hafen, kam außerdem

in den Sinn, Neruda verfasste ein Gedicht,

das eine Hafenglocke imitiert,

indem es sich ganz behutsam

dem unregelmäßigen Wellengang anpasst,

um so zum Rhythmus der Liebe zu gelangen.

 


Piedi


  

             Zeichnungen von Rosemarie

 

Zeitanalyse

 

Gleich dem pfiffigen Wind

fegen Zeilen nach Zeilen

den Staub weg, um zu sehen

was da geschrieben steht.

 

Seit alt Ägypten gibt es die rätselhafte Sphinx.

Die dazu gebauten Pyramiden verlangen

mehr als nur Huldigung auch vom Fremden

einen hohen Respekt für solch eine Baukunst.

 

Zeitlang schien es fast lieblos, wie sie stets

ihr Glück verneinte, und statt zu schreiben,

verbreitete sie seltsame Wunschbilder.

 

Sie waren Ausdrücke starker Sehnsüchte

nach einer herstellbaren Zukunft.

 

Dann stellte sie sich aufs Verlangen nach echter Liebe ein.

All das hinterließ Spuren einer gemeinsam gelebten Zeit.

 

Aber wird Liebe vom Willen begrenzt, geht vieles nichts -

weder im Denken noch mittels der Phantasie,

weil jeder nur alleine im lustlosen Kampf verstrickt,

das Selbst eher verstört zurück blickt,

und gleich Orpheus das soeben Geschaffene zerstört.

Hinzu kommt, dass eine unglückliche Liebe

ähnlich zum Rekruten im Militär

sich sinnlosen Befehle zur Liebe ausgesetzt sieht,

dabei an Freiheit zur eigenen Identität verliert,

und so zu einem unglücklichen Haufen

der Demut zu werden droht – viel eher

riet Adorno, die einzige Möglichkeit

dem Befehl zu lieben nicht zu gehorchen

ist zu lieben. Zwangsläufig scheitert vieles daran.

 

Auch wenn manchmal die Feigheit siegt,

bleibt Schwäche nur an der Macht

wenn dem nichts im Wege steht,

doch jeder Baum, sogar ein Kind

bereitet vor den Widerstand

als Antwort aufs Verlangen des Körpers

nach Liebe, doch der Widerspruch naht

erst danach und stellt die nüchterne Frage:

kann das alles gewesen sein?

Da kaum dem Erlebnis nach zu urteilen

das selber beantwortet werden kann,

bleibt abzuwarten was sie dazu sagt.

Doch im Schweigen ruht die tiefe Liebe.

 

28.7.1984 (aktualisiert 9.3.2015)


 

Athen

 

Ohne der Gewissheit der Sterne

holten sich die Nachfahren

von Odysseus erneut Ärger

bei Poseidon ein, und

wurden orientierungslos.

 

Die Stadt bestahl ihre Götter

und rief vergeblich nach der Moderne -

stattdessen wurden Zementbauten hochgezogen

und die klassischen, aber auch die im Bauhaus Stil

einfach abgerissen. Vernichtet wurden ebenso

die einstöckigen Häuser die den Berghang

rauf zum Likavitos säumten.

 

Nur manche Straßen bleiben belebt nach acht.

Der Mikrokosmos des Stadtlebens, wird gesagt,

schafft sich eine eigensinnige,

zugleich aufdringliche Häuserfront

mit den typischen Balkonen

und funktionalen Linien.

 

Natürlich spielen noch manche Kinder

in engen Gassen mit Blick aufs Meer.

 


Weisheit des alten Mannes

 

Unterhalb der Akropolis setzt folgende Geschichte ein.

Vorteilhaft fürs Buch, meint der grauhaarige Mann,

wenn die Methode des ewigen Erinnerns

mal beiseite gelegt wird, denn die Vergesslichkeit

in dieser Stadt ist der Grund für ihre Gegenwart.

Sie erneuert sich stets im alten weil gleichbleibend,

so dass im Abstand zum Blau des Mittelmeers

die Gestaltung des Stadtlebens Formen annimmt.


Seine Weisheit war schlicht, aber auch direkt, kurzum

der Mann hielt sein Wort und schaute einen in die Augen.

Als Verfechter dieser Stadt legte er keinen Wert auf

was aus ihr geworden ist, denn als Improvisation

steht sie für ihn als etwas vorübergehendes, wobei unklar bleibt,

wo all das noch in Zukunft enden soll, wenn kein Ende

des Lebens voraussehbar ist! Viel eher geht es ihm

um Offenheit,

                    Offenheit im Wort,

      Offenheit gegenüber dem was noch kommen wird.

Hätte jemand ein Tonbandgerät dabei, noch heute

würde seine Stimme Dank der Aufnahme gegenwärtig sein.

Sie war ruhig zugleich fließend, ähnlich zu den Flüssen

die im Sommer austrocknen und im Winter überschwemmen.

 

Leicht an seine Person zu erinnern, da mit neunzig noch lebhaft,

er bereit war zu erzählen wie es zum Sturz der Militärdiktatur kam.

Dann schaute er rauf zur Akropolis, und meinte ein jedes Kind weiss

was die über 2000 Jahre alte Geschichte noch heute bedeutet:

eine seltene Weisheit, in Stein gemeiselt, zur Ehre von Athena

und ergeben dem Licht das einen in die Zukunft schauen lässt.

 

Naxos

 

Der Regen brachte ihn auf eine altgriechische Spur genannt

                                  N a x o s

oder was die Stadt vorbereitet, wenn das Zustandekommen

von Frieden mittels vertrauensvoller Worte alle erwärmen soll.

Das geschieht an einem Ort nur mittels Empathie zu finden.

Es kann kein neutraler Ort sein, aber gleich der Liebe

die in jeder Sprache existiert, zugleich nicht übersetzbar ist,

verstärken solche Nuancen den Hunger nach Kultur.

 

Zwecks Verstehen eines anderen Lebens in der Gegenwart,

sei an diese Gleichzeitigkeit in der ganzen Welt zu erinnern.

Es ist mehr als nur ein Rätsel eine sagenhafte Unmöglichkeit.

So stellen sich dar Möglichkeiten verschiedener Lebenswege,

aber gelebt kann nur die eine Wahl wenn einmal Liebe

sich für den einen und nicht für den anderen entscheidet.

 


Pireaus

 

Ziemlich still wirkt der Hafen um Mitternacht.

Nur das Glucksen von Wasser ertönt manchmal.

Filmstreifen seit Melina liefern den Eindruck

die gestrige Romantik im Hafen ist heute tot.

 

Nur manche der Fähren sind vor Anker.

Ungeduldig warten sie der Nacht hindurch

bis die aufgehende Sonne alle weckt.

Alsbald blendet alle der Lichtstreifen am Horizont.

Gleichsam besagt der Hafen als literarisches Zitat,

allzu viel Zeit wurde ins Hafenbecken verschüttet.

 

An jenem Morgen wollte sie das Schiff

nach Serifos nehmen. Er kannte diesen Ort nicht,

aber sie, sie roch und fühlte die Verbindungen

von Piraeus zu den griechischen Inseln.

Viele unsichtbare Fäden laufen von hier

auseinander, magisch messbar all diese Entfernungen.

Gemeinsam der Aufbruch, doch die Rückkehr,

die wirkt schwerer. Pireaus heißt keinen willkommen.

Eher sind die Straßenschluchten gleich leere Schächte

die das Getöse des Hafenverkehrs aufsaugen.

 

Nachdem er von Bord gegangen war, suchte er

einen ruhigen Ort unter den Bäumen aus,

Bäume die ihre Schatten werfen ähnlich zu den Männer

ihre Würfel beim Tavoli Spiel. Der weitere Ablauf

blieb dem Schicksal überlassen. Die Zeit stand still.

Vieles schien in der Luft zu liegen, vorab aber erlebte er

den Inbegriff der Unendlichkeit im ewigen Blau als Horizont.

 

 

Kap Sounion

 

War damals Sappho noch anwesend

als der Mann auf dem Spielplatz in Lesbos

das Kinderkarussell mit der Hand drehte?

 

Ähnlich erging es ihm in Cap Sounion.

Niemand kann wissen welche Stimmen

im Tempel für Poseidon zu hören sind,

wenn einmal sitzend zwischen den Säulen,

in denen Byron seinen Namen wie ein Tourist ritzte,

und der Sonnenuntergang alles in Rot färbt.

 

Hörbar ist das Schicksalslied des Vaters,

sah er doch am Horizont einen Windjammer

mit schwarzen Segeln, so dann vermutete er

nur eine schlechte Nachricht und stürzte sich

absichtlich in die Tiefe des Meeres als Grab.

 

Seit der Junta steht dort

ein hässlicher Hotelkomplex

der die Machterhaltung

mittels Korruption verdeutlicht.



Um die nächste Biegung kommt

eine Bucht mit engem Strand.

Spuren im Sand zeigen wer da

entlang ging und davon träumte

endlich im Gefühl frei zu sein.

 

Auf der Suche nach Gewissheit im Leben

macht das Heraustreten aus der Befangenheit

den Unterschied aus - ansonsten bliebe jeder gefangen

in Bildern des Wahnsinns, und nur der Tempel

von Cap Sounion ist imstande durchs Hervorholen

eine bessere Antwort als die Anstalt zu geben.


 

Abwesenheit

 

Ihre Abwesenheit nahm er in Kauf,

wenngleich eine Viertelstunde später

die auslaufende Fähre, gefolgt von Möwen,

besagt die Hälfte des Tages sei bereits um,

ihre Realität nur noch durch Tränen sichtbar.

Deshalb macht es wenig Sinn zu fragen:

                             welche Zeit haben wir,

                             was sagt die Uhr?

Eher will er die Zeit einfach erleben,

                             eine Zeit ohne Regeln,

denn das Vergehen der Zeit ist nicht zu messen,

besonders wenn sein Herz un-rythmisch pocht,

und das Verlangen nach ihr ihm entgleitet.

 

Abhold den Held zu spielen, ritt er

auf dem Schaukelpferd, abwartend

wann sie aus Griechenland zurückkehrt,

gleich dem Kind mit einem Spätsommertraum.

 

Das Verlangen nach Liebe zu verstehen,

hieße ihre Abwesenheit entlang der Wand

mit dem Schatten spielen zu lassen,

bis Sonnenstrahlen alles überfluten,

er mittels Fantasie anwesend sein kann.

 

August 1984 (aktualisiert 3.4.2015)

 

 

Der Ratschlag des Nachbarn

     

Sein Nachbar auf der Knesebeck riet ihm

achtsam zu sein, da jederzeit

                      'Salz zu Sand'

wie die Gruppe '47 werden kann.

Er hatte die Gruppe als Intendant

des Norddeutschen Rundfunks gefördert,

doch auch sie hatte ein Bewandtnis

zu dieser Gruppe an Schriftstellern.

Oft ging sie zu jenem Richter,

und bekam dafür einen Job

für drei Monate am SFB Sender.

Während sie also nach Polen

endlich fuhr, um zu berichten

was Anna Anna Walentynowicz

nach Ausrufung des Kriegsrechtes tat,

ging er zu seinem Nachbar

für weiteren Rat was tun.

Er war zwar halb gelähmt,

aber immer noch hell wach

und verstand anders als Walter Jens

beim Erläutern seiner Kategorien

Literatur als einem Liegen

neben einer Skulptur auf Naxos

von wo aus er das Meer

zwar nicht sehen, aber hören kann.

So er erzählte von Dadelus

der seinen Lehrling anwies

kein aschgraues Holz für Tempel

      dieser Zeit zu verwenden.

Ferner statt den Abstand zu messen,

solle er zurückgehen und erst wenn

er das Nichts zwischen den Säulen sehe,

habe er den richtigen Abstand gefunden.'


 

Das Ich und der König

 

Das Ich sagte zum König Minos auf Kreta,

selbst wenn's Geld nicht ausreicht,

werden am Ende Mauern stehen

und wenn sie ins Labyrinth hinein gehen,

kommen sie bestimmt verändert heraus:

fast alle älter, und nur manche jünger.

 

Alles schreit

 

Alles schreit

langsam vergeht die Zeit

dann Stille

es folgt die Leere

und wieder die Leere

es tauchen auf

seltsame Gestalten

sie taumeln fallen hin

richten sich wieder auf

dumpfe Geräusche sind

im Hintergrund zu hören

jemand rasselt einen Schlüsselbund

schleift Ketten über den Holzboden

und auf Wellblechdächern trommelt

der Regen die ganze Nacht hindurch

lässt Träume den nächsten Tag suchen

sind sämtliche Pflanzen durchtränkt

kommt die Sonne wischt auf Pfützen

lässt zurück den Schrei der Leere

 

Der Morgen wird spät zum Tag

Licht so zur Gegenwart

Ohne Vergangenheit

wandelt die Zeit ziellos dahin

während Schichten an Erfahrungen

die Archäologie des Wissens kennzeichnen

so bildet ein Tag ein ganzes Jahr

wenn einmal in Licht getränkt

alle den Schrei hören

und statt Leere

die Zukunft Ausschau hält

 




 

Die Abtreibung

 

Weit entfernt von der unsichtbaren Stadt

beugte sie sich übers Buch 'Momo',

und fragte, wie kann es nur angehen,

das solch ein Zeitraub gestattet ist?

 

Sie schlief damals auf einer Matratze

die auf dem kahlen Boden lag.

Solch wortkarge Lebensumständen

entsprachen ihrer Studentenzeit.

Sie entbehrte viel, hielt sich aber nüchtern

und war erstaunlich warm in der Liebe

ähnlich dem Kachelofen solange geheizt,

am nächsten Morgen das in Zeitungspapier

eingewickelte Brikett noch glühte.

 

Das war noch zu Zeiten in Berlin vor 1981

und ehe die Hausbesetzer kamen,

um eine Restaurierung Berlins

samt Klingelanlage einzuleiten.

 

Nachdem sie von C.W. mitbekam,

es gebe keinen Ort, nirgends wo,

vertraute sie nur auf ein Selbst

das imstande ist mit allen Frauen

wunde Schreie an Wände zu kratzen,

um den Historikern zu widersprechen.

 

Irgend wann tauchten dann

die hohen Priesterinnen

der Frauen-Bewegung auf

und schärften semantische Rufe

zwecks einer Bereitschaft

zum Opfer als Beweis es gehe doch.

Zum Beispiel "der Bauch gehöre nur der Frau",

leitete ein neue Weigerungen ein

Frau zu sein, und machte

die Abtreibung selbstverständlich

obwohl sie keine war.

Für ein Bedauern war es

danach zu spät.

 

Es war keine einfache Entscheidung,

aber erst im Süden wurde das sichtbar.

 

Zeiten aus purpurnem Gold

 

Wenn Zeiten sich wie Wolken nähern

und den Horizont langsam durchfurchen

werden Augenbrauen etwas hoch gehen

wenn vor ihm eine nackte Frau liegt.

 

Malerisch die Konturen, lässig die Haltung

will er wie ein sanfter Windhauch sein,

um sie sanft mit seinen Händen zu berühren,

denn Liebe wird sein Benehmen bestimmen.

 

                Gespannt auf eine Antwort, weiss er

                sobald körperliche Berührungen

                im Einvernehmen mit ihr geschehen

                kann er erneut in die Ferne sehen!

 

Eng an sie angeschmiegt

steigt das Gefühl

der Himmelsleiter rauf,

um im Äther das Lied

der Liebe anzustimmen.

 

Einmal sanft berührt

lässt sie aus Dank

ein Glöckchen

aus purpurnem Gold

für ihn erklingen.

 

In der Geschichte kam es vor

dass ein Mönch genannt Hatto

zum ersten Male auf der Suche

nach Antwort auf seine Frage,

warum existiert er, beim Ertönen

eines ähnlichen Glöckchen

den Einsiedler erblickte.

 

 

Schriftliche Poesie

 

Schriftliche Poesie, oftmals

ein Rätselraten mit Buchstaben,

wird aus Protest gegen die Korruption

vor allem an die Kneipenwand geklebt.

 

Sie will eine undurchsichtige

Durchsichtigkeit endlich durchleuchten.

Nur ergibt das allzu oft

bloß ein melodisches Nachwehen

zu einer unruhigen Zeit.

 

Die hinterlassenen Schriften

erinnern an übergangene Dichter.

Sie zeigen auf den Wunsch nach Dialog.

 

Nicht desto weniger sind Lösungen

ans Verhalten gegenüber Regeln gebunden.

In den Zeitungen ist all das nachzulesen,

aber bis nach Mitternacht bleibt Hoffnung

Bestandteil eines einfachen Aufschreis

weil zu viele die Poesie verneinen wollen.

 

Es fließt Nachts das Wasser still dahin,

bald darauf gehen die Lichter aus,

marginalisiert bleibt ein jeder für sich

einsam, alleine, vom Zweifel gepackt.

 

Am Tag darauf gibt es wenig zu erzählen,

erinner-bare Träume sind seltener geworden.

 

Dennoch waren Schreie in der Nacht zu hören.

Die Kinder kamen aus Angst angekrabbelt,

aber einmal an deren Stirn leicht berührt,

taumelten sie zurück in einen tiefen Schlaf.

 

Am hellen Tag setzt sich das menschliche Drama fort.

Viele riefen: „nein, nein, nicht doch!“

Sie blieb aber bei der Entscheidung zur Trennung.

 

Im Garten verwelken die Frühlingsblumen

denn der Winter kam unerwartet zurück.

 

Die Kälte der Einsamkeit lässt den Blick

über trübselige Dächer schweifen,

während der träumende Blick

langsam aber sicher erlischt.

 

Ein Glas Wasser steht auf dem Holztisch.

Er fragt sich, warum es ihm so schwer fällt?

Wundersalben für die verlorene Liebe gibt es nicht.

Mit einer Hand spielt er mit einigen Geldstücken,

mit der anderen zieht er sich Brot, Käse und Wein heran,

also alles was sie einmal gemeinsam genossen.

 

Es fiel ihm dabei auf als er ein gemeinsames Frühstück imitierte,

dass er stets mit den Augen zum Telefon rüber schielte,

um sich selbst zu fragen, ob sie nochmals anrufen würde?

 

Glanzfarbende Fassaden modernisierter Zeiten bleiben draußen vor.

Am Centre Pompidou hatten sie gemerkt der industrielle Bau

zeigt auf wohin mit der Liebe von Irma la Duze wenn 'Les Halles'

einmal an den Außenrand von Paris verbannt, Kultur zur Ware wird.

Zwecks Kommunikation reicht dann das Telefon nicht mehr aus,

also geht er raus and schaut auf die große Uhr über dem Postamt.

Sie zeigt an wann die gelben Lastwagen zu erwarten sind. Er wartet.

Sieht wie sie ein- und ausfahren. Wann kommt endlich ihre Nachricht an?

Höchstens am nächsten Tag. Am frühsten! Welch ein schwacher Trost.

 

Er schaut sich um. Die Leute scheinen es eilig zu haben.

Sie gehen vorbei ohne zu grüßen. Grau ist der Alltag.

Was tun wenn alle sich nach der Sonne sehnen, aber hier

liegt Schnee auf dem Gehweg wie Zeichnungen von Zweigen.

Beim Warten wird ihm klarer was in der Luft noch schwebt.

Er schweigt, schweigt wie das Papier und kehrt zurück nach Hause,

um zu schreiben sein Wunsch ist es hinaus zu segeln ins Weltall, ganz allein!

 

12.11.1984 (aktualisiert 10.3.2015)

 

Hautwechsel

 

„Doch unsere Uhren gehen anders“,

behauptet der Autor von Hautwechsel,

und beschreibt einen Weg durch Mexiko

der direkt nach Theresienstadt geht.

 

Grau die Asche, grausam die Tat,

grauenvoll die Erinnerungen

selbst wenn vom Winde

um die Ecke verweht.

 

Nein, diese Zeit sei hinter uns,

behaupten die nach 1945 Geborenen,

nur zurück bleiben jene

die aus Angst vor der Zukunft

nicht nach Hause kommen.

 

Als Licht zwischen dem Türspalt

eines Aufzuges vorbei zieht,

denkt Einstein an die Relativität

von Energie gleich Masse in Bewegung,

und findet für seine Begriffe

endlich eine Anschauung.

Wie es dann dazu kommt,

zu meinen alles sei relativ?

 

Theresienstadt füllte

die Vision der Einsamkeit

mit Horror.

Keiner vermochte es zu zweit

durch die engen Korridoren zu gehen.

So bestimmt Architektur die Vision,

unabhängig von der Faszination

für frei gesetzte Linien

wenn einmal der Abbruch

des Herrenhauses begonnen hat.

 

Seitdem lösten sich Bilder aus dem Rahmen,

aber erst nachdem sie seine unfertige Dissertation

zum Fenster raus geworfen hatte, konnte sie erzählen

wie es dazu kam, das sie nicht erstaunt war

als er sie nach Mitternacht auf der Bleibtreustraße

mit einem anderen Mann antraf, und sie nur rief:

                                                                       "das ist er!".

Er lachte nur, und fragte, ach was,

wegen solch eines komischen Kerls

bist Du Dir gegenüber selber untreu?

                                                                    

Anschließend gingen sie nach Hause

aber hielten Abstand zueinander.

 

Erst nach vielen Jahren der Trennung

sah er sie wieder und stellte fest,

sie hatte sämtliche Gefühle von damals

noch lebendig in sich bewahrt, bereit

ihn vor mancherlei Dummheiten zu schützen,

voraus gesetzt er wolle das Unvermeidbare

aus eigener Kraft selber vermeiden.

 

 

Nachwort

Fast alle Gedichte sind während den Reisen mit ihr durch Italien und Griechenland entstanden. In diesem Zeitraum von 1979 bis 1984 hatte ich einerseits viel Zeit, anderseits befand ich mich in der Abschlussphase meiner Dissertation. Sie dachte allerdings ich würde sie niemals abschließen. Vielleicht dachte sie an die 'unendliche Geschichte' einmal wie Penelope gewendet, um nie aufzuhören. So floh sie nachdem ich ausgezogen war nach Griechenland, kam aber nach einem zweimonatigen Aufenthalt zurück, sah mich kurz samt Schaukelpferd und verliess mich erneut. Erst als ich die Dissertation hinter mir hatte in 1985, begab ich mich nach Athen und ging auf den Berg der direkt gegenüber der Akropolis liegt. Bereits in 1966 hatte nach meiner ersten Ankunft früh morgens in Athen mein Onkel mich vom alten Flughafen abgeholt und rauf zum Philopapa gebracht. Er wollte mir zeigen an dieser Stelle hatte ein Geschäftsmann aus Liebe zu seiner Frau ein Monument anbringen lassen. An eben diesem Monument ließ ich mich nieder und weinte zum ersten Mal. Ich ließ raus den Schmerz. 

Was einem im Norden, besonders in Berlin so fehlt, gibt es im Süden überall: verträumte Häuser, wunderschöne Bäume mit wildem Haarwuchs, und den Blick aufs Meer. Besonders in Griechenland gibt es ein zauberhaftes Zusammenspiel von Wasser und Bergen, wobei die Gesellschaft im Süden oftmals nicht das nachvollziehen kann, was uns aus dem Norden kommend so sehr begeistert.

Wir sind zwar säkularisierte Menschen, umgehen also dieses gefährliche Zusammenspiel von Kirche und Staat, und was sich z.B. anhand von Craxi in Rom 1984 verdeutlichte. Doch hegen wir unbewusst ähnlich neuralgische Punkte. Klaus Heinrich nannte das kleinste Museum, nämlich jenen Erinnerungsaltar wo wir unsere Rituale vollziehen. Wir hinterlegen dort die Erinnerungsstücke, die wir von solchen Reisen in den Süden zurückbringen. Mal aus dem Abstand betrachtet, gleicht das einem Opfergang.

Das wirkliche Opfer, das wir ständig erbringen, besteht darin im Norden weiterhin zu arbeiten, während wir im Süden seelisch aufleben. Vor allem sehnen wir uns nach dem Licht das in Griechenland ein ganz besonderes ist, weil tagsüber es nicht hell, und nachts dunkel ist, sondern es gibt verschiedene Schattierungen gleich den verschiedenen Kategorien die andere sinnliche Eindrücke ermöglichen.

Und dennoch haben sich auch die Zeiten bzw. die Zustände im Süden geändert. Allein das Gesicht des Obsthändlers auf Naxos sagt bereits etwas aus. Er war zwar noch freundlich. Er lachte verschmitzt aus den Augenwinkeln während die Furchen in seinem Gesicht mehr aussagten, wie viele Tage er in Sonne und ausgesetzt dem Wind auf dem Meer verbracht hat, als über seine eigene und wirkliche Lebensgeschichte. Und doch hat ihn ebenfalls der Touristenstrom eingeholt. Jener schwemmt an entfremdete Umgangsformen den die Menschen kommend aus dem Norden unbewusst oder auch bewusst einfach fortsetzen. Klar, sie sind gekommen, um ihre Batterien aufzutanken. Sie wollen sich Energie holen, doch ihr Verbleiben in der Mittagssonne besagt sie nehmen etwas nicht wahr. Schließlich ziehen sich alle im Süden um diese Zeit in den Schatten zurück. Warum, darüber hat auch Albert Camus in 'L'Etranger' - der Fremde - geschrieben, nämlich sobald die Sonne so hoch steht, dass die in der Sonne stehende Person keinen Schatten wirft, dann käme das gleich dem Tod.

Doch was kennzeichnet ansonsten den Unterschied im Alltag zwischen dem Leben im Norden und dem Süden aus? Es ist zwar unnütz Gedanken darüber zu verschwenden, doch das Gefühl frei zu sein, das wird mächtig wenn in Griechenland. Es hängt damit zusammen, dass es im Süden möglich ist sich ständig draußen, also im Freien, aufhalten zu können. Die persönliche Identität wird nicht durch die Wohnung, sprich dem Eigentum, definiert. Eher entwickelt sich etwas aus dem Zusammenspiel sinnlicher Wahrnehmung und intellektueller Freiheit die Dinge zu sehen wie sie einfach sind.

Die Touristen bemerken leider kaum diesen Unterschied. Zum Beispiel bedarf es nicht viel um unterschiedliche Sitten zu begreifen. Während die Touristen nackt baden gehen, sind in der Nähe schwarz gekleideten Frauen aus dem Dorf zu sehen. Es besagt etwas dass die Griechin, vor ab die Älteren, von Scheu geprägt sind. Sie zeigen nicht ihren Körper in der Öffentlichkeit. Das deutet an sie sind voller Scham, und das vor allem aus Furcht vor den Augen des Fremden. Es wäre also den Touristinnen zu raten etwas mehr darauf Rücksicht zu nehmen, und nicht gerade jene Strände zwecks dem Nacktbaden aussuchen, die unmittelbar vor den Restaurants, Hotels und vor allem Häuser liegen.

All das soll nicht als eine moralische Predigt missverstanden werden; eher käme es darauf an, etwas stilvoller auch in der Fremde voranzugehen, und zwar mit guten Beispielen, insofern Rücksicht auf die anderen genommen wird.

Zugleich ist das auch wiederum zu verstehen. Fast jeder Fremde – 'xenos' – fühlt sich frei nicht nur als Mensch, sondern als jemand der wirklich auflebt. Der volle Genuss sinnlich Dinge wahrzunehmen, weil in dieser Landschaft und ihren Menschen so direkt zu erleben, und das ohne den Intellekt zu verneinen, das ist eine große Seltenheit. Wer kann schon das Erlebnis sich zwischen frisch gewaschenen Lacken zu lieben, und dabei den Sand, der noch an ihrem Körper klebt, vergessen? Wenn also nicht mehr vom Terminplan bestimmt, gestaltet sich der Tageslauf sofort anders. Nach dem guten Frühstück geht es zum Schwimmen während auf der Rückkehr bereits etwas Brot, Trauben und Käse genügen, um den Reiz für einen gemeinsamen Mittagsschlaf zu intensivieren. Der Tag beginnt und endet nicht mit der Intensität einer Darstellung der Landschaft die ständig ihren Ausdruck und Schattierung mit dem Wandel des Lichts verändert. Es gibt halt nicht nur Tag und Nacht, sondern die Schichten des Lichtes zeigen in jedem Moment neue Möglichkeiten auf. So endet der Tag nicht um Mitternacht, sondern bei Wein und Kerzenlicht verschwindet die Sehnsucht nach Liebe, weil unmittelbar in der Gegenwart erlebbar.

Und irgendwann wird all das auch im Nachhinein weh tun, weil im Vergleich zum wirklichen Leben der Alltag zuhause einfach ärmer erscheint als was ein Leben in wortkarger Gegenwart beinhalten kann.

In diesem Sinne sind die Gedichte etwas rätselhaftes, weil es auch den Unterschied zwischen Griechenland und Italien gibt. Sie zeigen auf eine Spur der Traurigkeit, weil die Liebe als etwas unmögliches erlebt wurde. Vermutlich kam das durch den Vergleich mit dem Leben zustande, denn es verwies auf etwas unmögliches in beiden Richtungen. So gesehen, entstanden poetische Ausdrücke des sogenannten Zeitgefühls (und nicht Zeitgeistes).

Die Gedichte stellen etwas fest: vorbei ist es mit dem Mythos des Südens. Etwas ist in diesen Landschaften vorbei, noch ehe es wahrhaftig begonnen hatte einen zu beleben. Somit zeigen die Gedichte auf wie anfangs bestehende sinnliche Eindrücke sich verändern können, und damit ein ganz anderes Zeitgefühl zum Ausdruck bringen wollen. Ob das gelungen ist, bleibt selbstverständlich dem Leser überlassen zu urteilen.

Erstaunlich für mich ist das Vermächtnis dieser Zeit. Denn inmitten einer sagenhaften schönen Landschaft kündigten sich unruhige Zeiten an. Sie zeitigte sich in der Hungerkatastrophe in Äthiopien an und wurde um so schrecklicher wahr, als die Poesie eine neuartige Zensur zu konfrontieren hatte. Denn das Verlangen nach Leben verwandelte sich in eine Art ästhetische Vorschrift weil die Menschen glaubten sie müssen endlich etwas positives hören. Diese Fortsetzung des im Urlaub besonders gelebten Momentes, nämlich weit ab von sämtlichen Nachrichten Leben endlich frei von sämtlichen Sorgen genießen zu wollen, das schlug in eine Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal anderer Menschen um. Es setzte fort das fatale Nicht-Sehen-Wollen wie reklamiert während und noch mehr nach dem Zweiten Weltkrieg, als viele behaupteten, sie hätten nicht das Verschwinden der Juden mitbekommen. Solch eine unethische Haltung wird leider im Verhalten vieler Touristen durch ihr Wunsch unmittelbare Realitäten ausklammern zu wollen, fortgesetzt, aber ohne sich dessen bewusst zu sein was sie dabei aussetzen, nämlich was mit anderen Menschen täglich geschieht, auch vom Tourismus ihnen angetan wird. Die Veränderung lässt sich leicht charakterisieren. Einst liebten es viele durch Griechenland ziellos loszuziehen. Immer fanden sie Gast-freudige Menschen die sie sogar in deren Zuhause aufnahmen und mit ihnen das Essen teilte. Diese besondere Gastfreundschaft, ja dieses kostenlose Geben, ist leider eine Seltenheit geworden. Sie gibt es noch aber dennoch ist sie eine Seltenheit. Die Bürgermeister auf den Inseln wollen nicht mehr die billigen Touristen, also jene die im Freien übernachten wollen, sondern das Tourismus Konzept richtet sich immer mehr auf Hotels und dergleichen ein, so dann verschwinden auch die unberührten Strände und Eselpfade.

Die Poesie, einmal offen, ist frei von jeglicher Zensur. Darum ist das Schreiben von Gedichten gleich ein Handeln das versucht abermals Poesie und Leben in Einklang miteinander zu bringen. Das das nicht so einfach gelingen kann, weil abhängig von einer wahren Liebe, soll wiederum nicht romantisch missverstanden werden. Denn erst aus einer Liebe zu den Menschen geht poetisches Leben hervor. Wenn das nicht zu ertragen ist, ertönen eben diese Schreie. Sie artikulieren im psychischen Sinne was fehlt. Leider betätigen sich die Menschen der Regel nach solchen Verneinungen der Liebe wenn sie glauben im Spiel verloren zu haben. Sie hegen dann eher Angst vor einer Zeit, weil sie sich fürchten nicht das Alleine-Sein ertragen zu können. Aus diesem Grund neigen sie zum Verrat am eigenen Selbst aber versuchen sich darüber hinweg zu täuschen, indem sie stets dem anderen die Schuld dafür geben. Es zeigt auf wie bewusst, zugleich praktisch mit den kostbarsten Dingen im Leben umgegangen wird, nämlich gar nicht zur Zufriedenheit im Sinne eines Findens einer menschlichen Sprache. Folglich können die wenigsten solch eine Herausforderungen ertragen, weil leer und trübe in sich selber geworden. Menschen sind halt mal nur begrenzter Weise belastbar.

 

Hatto Fischer

Berlin November 1984 (aktualisiert 12.3.2015)

 



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