Ποιειν Και Πραττειν - create and do

To Axion Esti: Das Grundstück mit den Brennesseln - Hatto Fischer (2013)

In der Poesie ist es allemal ratsam keine Vergleiche anzustellen, zumal dann nicht wenn es sich um zwei unterschiedliche lyrische Strömungen handelt, Strömungen die allerdings durch den Krieg schmerzhaft verbunden sind. Da ist die Ballade von Hagelstange als Ausdruck der Nachkriegsliterature in West Deutschland ein Beispiel dafür wie Leiden im und nach dem Krieg entstehen und vergehen kann, und da ist "To Axion Esti" - Gepriesen sei - von Odysseas Elytis. Letzteres Gedicht ist nicht nur Ausdruck von Schmerzen, sondern ist außerdem als Antwort auf die von Deutschland ausgegangenen Krieg anzusehen.

Nach dem ersten Lesen behielt ich vor allem im Gedächtnis dieses eine Kapitel mit dem vielsagenden Titel: "Grundstück mit den Brennesseln." Der Grund dürfte jener Eindruck sein daß der Dichter selber anfängt zu sprechen, und nicht mehr alles dem Gedicht selber überlässt. Elytis sagt zum Vorgang - ein deutscher Offizier erschiesst Lefteris weil er sich weigert nach Befehl vorne zu treten - da endet das Leben des Offiziers während die Zukunft von Lefteris erst beginnt. Das war mein erster Eindruck.

Die Weigerung einem Befehl zu gehorchen und dafür zuerst geschlagen, und dann getötet zu werden, ist nicht das so Entscheidende, als vielmehr daß die Weigerung von Lefteris von einem Blick in die Zukunft begleitet wird, und der wiederum dem befehlgebenen Offizier solch einen Stoß versetzt, daß er fast hingefallen wäre. So deutlich kann Widerstand sein. Das ist mehr als nur Zeitüberschreitung von Gegenwart in die Zukunft, also mehr als nur philosophische Transzendenz, und weit aus mehr als eine irrtümliche Metaphysik. Widerstand ist ein konkreter politischer Ausdruck. Er begründet sich im Freiheitswillen und wird im Gedicht von Elytis mit Hinweis auf den konkreten Lebenszustand den es Griechenland gibt, ergänzt. Für den Dichter ist das verbunden mit dem zu erlebenden Licht ob nun Sommer oder Winter. Beim zweiten Lesen zeigt sich wie der eigene Eindruck etwas verdichtete aber was von Elytis noch anders als Vorgang geschildert wurde.

Vierte Lesung

DAS GRUNDSTÜCK MIT DEN BRENNESSELN

An einem der Sonnenarmen Tage jenes Winters – es war Samstagmorgen – war plötzlich das klene Quartier des Lefteris, mit seinen löchrigen Blechfenstern und den Abflußrinnen auf der Straße, von Autos und Motorrädern umstellt. Ein wildes Stimmengewirr, Leute stiegen aus und ab mit strohblonden Haaren und bis zum Kinn umgürtet mit Patronen. Befehl erging, daß sich alle Männer auf dem Grundstück mit den Brennesseln versammeln sollten. Und sie waren von Kopf bis Fuß bewaffnet, die Gewehrläufe gegen das Menschhäuflein gerichtet. Große Angst ergriff die Männer, da es fast immer so war, daß jene noch etwas Geheimnis in ihrer Tasche oder in ihrem Innern verbargen. Aber es gab keine andere Möglichkeit, als dem Zwang zu gehorchen, und so nahmen sie in einer Reihe Aufstellung. Jene Leute mit den Patronen bis zum Kinn, den strohblonden Haaren und den kurzen schwarzen Stiefeln zogen einen Drahverhau um sie. Und die Wolkenwand brach auseinander, bis ein Schneeregen zu fallen begann, und die Kinnlade hatte Mühe, die Zähne zusammenzuhalten, daß sie nicht herausfielen oder zerbrachen.

Da erschien auf der Gegenseite mit langsamen Schritten ER mit dem ERLOSCHENEN GESICHT, hob den Finger, und die Stunden erschauderten auf der großen Uhr der Engel. Wen es traf, der mußte vortreten, sofort packten ihn die anderen an den Haaren, wafen ihn zur Erde und gaben ihm Fußtritte. Bis der Augenblick auch für Lefteris kam, daß er vortreten sollte. Aber Lefteris rührte sich nicht. Er hob nur bedächtig die Augen, und mit einem Male führte ihn sein Blick so weit weg, - weit in die Zukunft, daß der ANDERE den Stoß spürte, zurückwich und Gefahr lief zu fallen. Wütend wollte er schon seine Maskierung hochreißen, um Lefteris ins Gesicht zu spucken. Doch Lefteris rührte sich nicht.

In diesem Augenblick brachen oben der GROSSE FREMDE mit seinen drei Litzen am Kragen – er hatte die Hände in die Hüften gestemmt und alles verfolgt – in ein schallendes Gelächter aus: „Na bittschön, die Herren“, sagte er, „die den Weg in die bessere Welt antreten wollen.“ Nicht ahnend, daß er damit die Wahrheit sprach, schlug er dreimal mit der Peitsche in Lefteris' Gesicht. Aber zum dritten Male rührte sich dieser nicht. In blinder Wut über die geringe Wirkung seiner Macht zog der Fremde seinen Revolver und schoß dicht neben das rechte Ohr.

Die Männer zitterten vor Entsetzen, und jene Leute mit den Patronen bis zum Kinn und den strohblonden Haaren und den kurzen schwarzen Stiefeln wurden bleich. Da sie ringsherum die niedrigen Hütten durchsuchten, fiel hier und dort die Pappe von den Fenstern, und weit weg, hinter der Sonne, knieten die Frauen in einem verlassenen Grundstück, der voll war von Brennesseln und geronnenem Blut, und weinten. Während die große Uhr der Engel zwölf Uhr schlug.

 

Was allerdings einem erschrecken kann, und das angesichts der zugespitzten Polemik in Griechenland der Gegenwart (2009 - 2013), sind die extrem zugespitzten, gleichfalls stereotypischen Bilder die Elytis verwendet: Männer mit strohblonden Haaren und schwarzen Stiefeln. Gewiss, solche Eindrücke haben die deutschen Truppen in Griechenland hinterlassen, aber was besagt das, wenn solche Bilder in einem Gedicht evoziert werden?

Ausgehend von dem ästhetischen Prinzip das Kids' Guernica - Guernica Youth anwendet, gilt es vor allem einen Anspruch aufrecht zu erhalten, und zwar  Gewalt möglichst frei von Feindbildern zu beschreiben und zu analysieren. Da gibt es das Bild das Kinder in Kabul, Afghanistan malten. Sie zeigen ein Flugzeug das Bomben abwirft, aber es hat keine Symbole mittels derer es als amerikanisches oder russisches Flugzeug identifizierbar wäre. Feindbilder evozierten eine Einseitigkeit in der Wahrnehmung, wobei natürlich der Anspruch von Adorno hinzu kommt, nämlich die Dinge so zu schildern wie sie wirklich waren.

Dazu kann aber einiges den Photos entnommen werden die Karin Raeck auf Kreta gefunden hat. Da werden ebenfalls Männer des Dorfes von der Gestapo auf ein freies Grundstück getrieben, aber noch ahnen die Männer nicht wirklich was ihnen bevorsteht. Sie lachen und wollen mit den deutschen Soldaten verhandeln, um eine Zigarette zu erhalten. Das Nicht Ahnen des nahenden Todes sei betont weil die Gesichtsausdrücke im Vergleich zur Schilderung von Elytis nicht ängstlich sind. Sie haben kurzum keine Angst etwas verborgen zu haben. Natürlich kann die Einseitigkeit einer Übertreibung dienen, um etwas bestimmtes auszusagen, aber was unterscheidet dann das Gedicht von Propaganda?

Wie gesagt, Griechenland befindet sich gegenwärtig in einer Krise, und viele geben der deutschen Politik, wie von Merkel und Schäuble vertreten, die Schuld für die wirtschaftliche Rezession die immer mehr Menschen in die Arbeitslosigkeit und damit an den Rande des Abgrundes hin zu einer unendlichen Armut treibt. Es stehen damit auch Reperationszahlungsforderungen in Verbindung, wenn gewisse politische Kräfte und Parteien diese Forderung, Deutschland müsse noch die Kriegsschulden begleichen, aufstellen und zu ihrer Hauptkampagne machen. Leicht vermischen sich darin unterschiedliche Motive aber die Zuspitzung bedeutet zugleich eine Versöhnungspolitik mit Griechenland, so wie es Deutschland mit Frankreich, Polen oder Israel gelungen ist, kam noch nicht zustande. Das hat wiederum weitere Gründe und stellt zugleich die Frage, ob es überhaupt die Aufgabe der Nachkriegslyrik Griechenlands sein kann eine Gestik der Versöhnung zumindest anzustossen, um die Tür wenn auch nur für einen Spalt zu öffnen?

Die Beschreibung von was sich auf dem Grundstück mit den Brennesseln abspielte, hängt eng mit einer Überzeugung von Elytis zusammen, und zwar was er in Albanien als 'Wunder' des griechischen Freiheitswillens kennen gelernt hat. Karl Dietz zitiert Elytis im Nachwort mit folgenden Worten: "In den Gesichtern meiner Soldaten sah ich das Leuchten, zu dem das Griechentum immer fähig ist, wenn es an sein Recht glaubt." (Axion Esti, 1981, Günter Dietz, Nachwort, 102 - 103)

Vielleicht kann dann doch ein Vergleich zwischen der deutschen und griechischen Nachkriegslyrik gezogen werden. Insofern Hagelstange um die Umschuld ringt, eine die verschüttet wurde und als Fortbestand von Leben erst noch geborgen werden muss, wird das zur Aufgabe der Nachkriegsliterature in Deutschland. Doch damit nicht genug, denn wenn sie alsbald ans Licht zurück kehrt, erblickt der Dichter eine noch größere Kluft zwischen Licht und Sehen. Es besteht also Zweifel ob der Kern einer Unschuld ausfindig gemacht werden kann. Obendrein besteht die Gefahr daß das Licht zu grell ist sodann bricht eher zusammen der bislang nur seine Zeit in der Dunkelheit verbracht hat.

Allgemein besteht bei jeder Metaphysik die Gefahr das individuelle Leben zu vergessen, insofern sich eine Meta-Kontinuität von Leben beschwört und darum den Versuch unternimmt sich über alles hinwegzusetzen. Das kann nicht gelingen, doch die wirklichen Brüche der Zeit nach werden nicht thematisiert. Dazu trägt bei ein Schein der Kontunität die andersrum bei aller Polemik die These beinhaltet, nichts neues wird zustande kommen und somit bleibt alles beim alten. Das wäre die Problematik einer Sage wenn die Unschuld nicht im Schweigen, dann sprichwörtlich unter Erde verschüttet bleibt. Zwar spricht sich Hagelstange für eine Rückkehr der verlornen Unschuld im Kriege aus, und zwar in der Hoffnung mit der neuen Sage würde ein Kind des Lichtes geboren werden, aber ist das keine Gewißheit ob das die begriffliche Unschuld auf der Ebene der Sinne fürs Wahre stärkt? Ja, ist es überhaupt solch ein Kind denkbar, gegeben die mythische Manipulation mittels des Lichtes einer Fakel die der Nationalsozialismus benutzte, um den Übergang in die Dunkelheit zu inszenieren?

Ganz anders dagegen der Unschuldsbegriff bei Elytis:

Ich betrachte die Lyrik als eine Quelle kämpferischer UNSCHULD, die ich in meinem Bewußtsein gegen eine schuldige Welt richte, um diese unter ständigen Verhandlungen so umzuformen, daß sie mit meinen Träumen in Einklang steht. Es geht um eine moderne Art von Magie, deren magischer Mechanismus auf die Offenbar-machung unserer wahren Wirklichkeit zielt. Ich glaube – bis zur Form der Idealisierung – an die Sinne und versuche, sie in einer bis heute unerforschten Richtung zu entwickeln. Ich hoffe, daß ich so eine Freiheit, die allen Regierungen entgegengesetzt ist, und eine Gerechtigkeit, die mit dem absoluten Licht identisch ist, am Leben erhalte.“

Das besagt für Elytis haben die Sinne und die Träume eine andere Qualität als was sie für Hegel hat. Der bestreitet nämlich, daß die Sinne und die Poesie eine Quelle der Wahrheit sein können. Insofern Hegels Bestreitung eine dramatische Folge für die deutsche Poesie hat, und hier sei nur ans Schicksal von Hölderlin zu erinnern, spielt der Traum in Hagelstanges Ballade eine ganz andere Rolle als bei Elytis. Der Traum bei Hagelstange ist keine Wirklichkeit im Sinne einer Gewißheit der Werte wie Gerechtigkeit und Freiheit, sondern eine Wiese der Illusion worauf Werte nur durch Fallschirme eines Löwenzahns weiterhin die Erde befruchten können. Allerdings gibt es da das Gedicht von Traudel Bichler die einmal sagte:

Worte

Meine Fallschirme

Mit Euch springe ich ab

Wer Euch öffnet

Schwebt

Dies wäre eine erste, zugleich hoffnungsvolle Öffnung der Sprache für was die Sinne zu sagen verstehen, wird ihnen einmal nicht die Negation durch die Philosophie aufgebürdet. Es gibt so etwas wie eine sinnliche Gewißheit aber als Ausdruck verbindet Elytis nach Surrealistischer Leseart dies mit einer Art Magie und einem politischen Gegenüber zu sämtlichen Regierungen. Dieser politische Inhalt seiner Aussage gilt zu beachten und zu bedenken, weil darin der poetische Widerspruch zum falschen Leben enthalten ist. 

Wiefern diese Auslegung dann in Richtung einer nationalen Politik tendiert, sobald das zum Glauben ans eigene Recht wird, mag eine Untersuchung der Entwicklung Griechenlands nach dem Zweiten Weltkrieg erläutern. Was aus der Sicht im Jahre 2013 dazu gesagt werden kann, ist folgendes: Griechenland ist der Europäischen Union beigetreten und eben diese neue Staatengemeinschaft mit all ihren unterschiedlichen Regierungen steht ebenso schwierigen Zeiten bevor, nur findet jetzt statt kein militärischer sondern ein finanzieller Krieg statt. Es käme darauf an welche eine Orientierung die Lyrik geben kann, und zwar zugunsten einer Vertiefung der Sinne. Letztere erleiden einen Nachteil weil besonders in der Wirtschaftskrise das Geld eine abstrakte Macht darstellt, und kaum sinnlich vermittelbar ist.

Günter Dietz zitiert in seinem Nachwort den Schluß des siebenteiligen Gedichtes 'Orion' von Elytis. Darin heisst es:

"Als sei das irdische Lärmen vergangen

Als sei die Bosheit des Gedächtnisses zu Ende

Rein pocht

Unser neuer Traum

Eine unsichtbare Hand zieht uns fort

Wo makelloser Himmel zur STILLE wird

Wo sich die Seele erweist als nie wandelbar."

Stille heisst hier der Gegensatz zum Schweigen. Elytis hat sich dazu häufig geäussert. Auch das gilt zu beachten wenn die Axion Esti gelesen wird.

 

Hatto Fischer

10.8.2013

^ Top

« Mystery of Light by Elytis | Getting up - In honor of Elytis by Hatto Fischer »