Ποιειν Και Πραττειν - create and do

Der Weg bis zur Dissertation

Die Dissertationsschrift behandelt das Thema: „Artikulationsprobleme der Arbeitenden und die Tradition des Deutschen Gewerkschaftsbundes.“ (DGB). Berlin: Quorum, 1987. Erstgutachter: Johannes Agnoli; Zweitgutachter: Klaus Heinrich.

Die Dissertation kam auf Umwegen zustande. Dennoch lohnt es sich diese Geschichte zu erzählen, hebt es doch den Wert eines langzeitigen Studiums hervor. Außerdem zeigt das was geschieht wenn längst jemand, ich in diesem Falle, dem Status eines Studenten entwachsen ist und an sich selber aber auch an die Universität andere Ansprüche stellt.

Selten, wenn überhaupt, sind Universitäten in der Lage sich solchen Ansprüchen zu stellen. Jene werden nicht willkürlich gestellt. Eher leiten sich diese Ansprüche von einer Realitäts-Bezogenheit ab. Hierzu gehört Karl Poppers Hinweis, das Lernen sei nur dann möglich wenn die Wissenschaften nicht an Wirksamkeit und sozialer Relevanz verlieren. Das ist der Fall wenn sie nur noch mit sich selber beschäftigt sind, und darum nicht länger daran interessiert Lösungen für Probleme die außerhalb den Wissenschaften liegen, zu erforschen. Popper ergänzt das insofern seine Methode der Falsifikation genau das voraussetzt, nämlich eine Realitäts-Bezogenheit außerhalb der Universitäts- und Wissenschaftswelt weil weder die Deduktion noch die Induktion schlüssige Erkenntnisse zulässt.

Dieser andere, von außen heran getragene Blickwinkel beinhaltet eine andere politische und philosophische Urteilskraft. Sowohl Kant als auch Adorno waren der Meinung die praktische Urteilskraft kann nicht per Erziehung beigebracht bzw. vermittelt werden. Bliebe aber die 'Sophia', die Liebe fürs Wissen, ohne solch einer realen Basis, käme das gleich dem was Chomsky und auch Johannes Agnoli, der erste Begutachter meiner Dissertation, als eine Funktionalisierung der Intelligenz beschrieben haben. Das würde nur dem Funktionieren des Systems dienen. Dazu gehört die Aneignung abstrakter Modelle die über das Leiden der Menschen einfach hinweg sehen. Darum wird der Wechsel von Universität in das Berufsleben durch ein abstraktes Wissen, das von jeglicher Selbstreflexion und darum Selbstverständnis abgeschnitten ist, regelrecht als systematische Vorbereitung für die sogenannte Realität des Lebens, begriffen und als solches auch vermittelt. Einher geht mit solch einem flachen Wissen ein Vorbegriff des Machbaren. Die Anpassung soll leichter gemacht werden als was der einzelne denkt innerhalb den Systemzwängen schaffen zu können.

Infolgedessen ist dieser zu beschreibende Weg bis hin zur Dissertation auch eine Art Erzählung eines Emanzipationsversuches vom direkten und nicht so subtilen Vorgeschriebenen. Dazu gehört der Anspruch wissenschaftlich zu sein, obwohl dieser den Begriff der Objektivität entstellt und in Wirklichkeit einem Verdrängen der Realität gleich kommt. Popper meint der einzelne kann nur mit Hilfe der Kritik von anderen sich dieser Objektivität annähern, doch basiert jene immerzu auf einer Intersubjektivität die wiederum eine 'innere Reflexion des sozialen Seienden' voraussetzt. Das war zuerst mein erster Entwurf für eine philosophischen Dissertation die allerdings von den Philosophen am Heidelberger Seminar abgelehnt wurde. Prof. Fulda begründete das damit, dass "ich die Realität bräuchte, aber das Institut könne so etwas nicht anbieten." Somit zeichnete sich von Anfang an dieses langen Weges ein Ringen im geistigen Sinne mit der Vielfalt an Möglichkeiten ab.

Grundsätzlich bedeutet solch ein grundsätzliches Studium etwas, wenn der Zweifel zugelassen wird und die Theorie aus gelebten Erfahrungen abgeleitet wird. Bei Jean Paul Sartre gilt der Begriff 'le vecu' oder durchlebte Erfahrungen als wichtigster Ansatz für die Verbindung von Energie, Individuum, Gruppe und Geschichte, weil eben dadurch die praktische Urteilskraft zur Geltung kommt. Das setzt aber wiederum eine Freiheit den Fragen nach zu gehen, voraus.

Als philosophische Methode hat bereits Kant darauf hingewiesen, es sei eine Kunst solche Fragen zu stellen die den Menschen hervorbringt und ihn entfalten lässt. Das geschieht wenn das Wissen von der Vorstellungskraft getragen wird, zugleich dieser Bezug aufs Wissen von einem Selbstverständnis ausgeht. Genau das mündet aber bei Kant im Widerspruch. Bekannt ist sein Grundsatz, "Ich denke, ich kann überall hin meine Vorstellung begleiten", doch in der Realität erlebte er dass dies nicht möglich ist weil die beiden von mächtigeren Strukturen getrennt werden. Eine richtige Antwort auf diese Problematik ist bislang in der Philosophie ausgeblieben. Am philosophischen Seminar in Heidelberg wurde das zwar angesprochen, aber eine Konzeption die solch ein Zusammengehen von Denken und Vorstellen zuließe, blieb aus. Das hat unter anderem einerseits mit dem Verschwinden des Subjekts, anderseits mit dem Verlust an Phantasie zu tun. Jean Paul Sartre ist einer der wenigen Philosophen der sich der Problematik der Phantasie bzw. des Imaginären widmete.

Allzu oft wollen deshalb viele nur die subjektive Seite eines längst nicht voll und ganz begriffenen Lebens nach bereits gemachten Empfindungen verstehen. Sie versuchen den einzelnen auf eine Ich-Bezogenheit zu reduzieren und klammern zugleich die abstrakte Seite aus. Adorno hatte Recht darin wenn er meinte das Konkrete ist ebenso abstrakt wie das Abstrakte konkret sein kann. 

Interessant war allerdings der Hinweis von einem Mann der mich in seinem Auto mitnahm, als ich eines Tages zur Carleton Universität raus trampte. Er meinte zu studieren sei Erfahrungen zu machen, aber ohne die damit verbundenen Schmerzen selber durchlebt zu haben. Mit anderen Worten, das schmerzlose Aneignen von Wissen ist Kennzeichen für eine Überentfremdung vieler Studierenden die dann aus lauter Verzweiflung sich nur noch nach dem pragmatisch Vorgegeben orientieren, und deshalb für sichere Berufe studieren z.B. Jurist oder Mediziner. Ganz anders erwartet einen die Welt, wenn Offenheit für den Zweifel einen die Gewissheit zu leben erfahren lässt, aber dafür in solch einem System als untauglich erscheinen lässt.



Carleton Universität in Ottawa, kanada 1966 - 69

       

      Bibliothek der Carleton Universität

Als wir in Ottawa 1957 frisch ankamen, wurde gerade die Carleton Universität auf einem Gelände liegend zwischen Rideau Fluss und Rideau Kanal gebaut. Wer hätte gedacht, dass ich dort studieren würde, aber irgendwie war das bereits ein wichtiges Vorzeichen.

Einmal an der Carleton Universität in Ottawa, Kanada ab 1966, belegte ich das Grundstudium für einen doppelten Bachelor of Honors, und zwar in Wirtschaft und Politische Wissenschaft. Die Fächer der Ökonomie u.a. Makro- und Mirko-Ökonomie verlangten viel von den Studenten ab und manch einer kam nicht mit. Wir mussten außerdem Mathematik mit Statistik kombinieren. Leider versäumte ich es endlich zuzugeben, daß ich eine Brille benötige weil kurzsichtig. So fiel es mir schwer manche Rechnungen auf der Tafel zu lesen und kam in diesem Kurs folgedessen nicht klar. Leichter fand ich ohnehin die Seminare weil wir dann eher Kontakt zu unseren Professoren hatten.

Die Professoren waren allesamt enorm aufgeschlossen. Die Türen zu ihren Büros standen offen und oft kam es vor wenn einer von ihnen von einer Konferenz zurückkehrte, brachte er Bücher für einen mit im Wissen dies könnte einen interessieren oder den Horizont erweitern helfen. Vor allem Prof. Lithwick vom Fachbereich Ökonomie war der Meinung die Studenten sollten herausgefordert werden. Die Universität als intellektuelle 'Challenge', wie es auf Englisch heisst, war wichtig, um ein geistiges Fundament fürs ganze Leben zu haben. Ich genoss auf jeden Fall diese Studienzeit sehr.

Meine Abschlussarbeit hatte zum Thema: "Wann sind Städte zu groß und können darum 'New Towns' / Neue Städte die Lösung sein?" Die Arbeit wurde fürs Fach Stadtökonomie geschrieben und von zwei hervorragenden Professoren, Lithwick und Paquet, betreut. Das Honorsprogramm bedeutete damals den Bachelor nicht in drei, sondern in vier Jahren zu absolvieren. Ungefähr 400 Studenten der Ökonomie waren es am Anfang, im vierten Jahr waren es aber nur noch sechs.

Die Stadt-Problematik war damals höchst aktuell, brannten doch die Städte in den Vereinigten Staaten, vorab Detroit. Entscheidend war für mich die Einsicht, dass Städte benötigen eine Mitte zwecks Orientierung, eine Mitte die durch eine Vielfalt an Strukturen bestimmt wird, d.h. außer der wirtschaftlichen, ebenso die sozialen, politischen und vor allem die kulturellen Strukturen.

Als literaische Orientierung sagte die Aussage von Bertold Brecht mir sehr viel. Er betonte, dass die Wahrheit doch noch auf dem Marktplatz zu finden sei. In Erinnerung an die griechische Polis, die zusammen mit der 'Agora' das Gemeinwesen von Stadt und Politik bestimmte, war mir klar wenn Städte allzu groß werden, dann verlieren sie diese Orientierung. Später würde der Dichter Baptiste Marray sagen Paris verlor an Leben als der zentrale Markt 'Les Halles' in die Außenbezirke verlegt wurde. Zwecks einer empirischen Grundlage für meine These suchte ich ferner die Neue Städte Bewegung in England auf und bewunderte die Natur-Häuser architektonische Blendung in Finnland, während ich nicht außer Acht liess was sich alles in dieser Hinsicht in den Vereinigten Staaten tat. Es wurde zu einer ziemlich umfassenden Arbeit die fast den Rahmen sprengte.

Ohne Hilfe meiner Mutter hätte ich die Arbeit niemals abgeschlossen. Sie gab die Arbeit ab als ich bereits in London war und darum nicht an der Graduierten-Feier der Carleton Universität teilnehmen konnte. Das tat meiner Mutter sehr weh da sie bereits schwer krank war und innerlich wußte sie würde nicht mehr allzu lange leben.  

Das Interessante am Studium an der Carleton Universität war das ebenso berufstätige Menschen zum Abend-Studium in unsere Seminare kamen. Dadurch wurde ein Austausch zwischen theoretischen Überlegungen und praktischen Erfahrungen ermöglicht. Besonders im Seminar für Stadt-Ökonomie hatten wir Beamte aus den verschiedenen kanadischen Ministerien. Als ich mit einem von Tür zu Tür zog, dabei gewappnet mit einem Fragebogen um herauszufinden warum die Menschen das Wohnen in Vororten bevorzugten, ergab sich mit den Befragten immerzu interessante Gespräche. Sie nahmen uns beide nicht mehr als unreife Studenten wahr, und ließen sich dementsprechend auf weitere Fragestellungen ein.

Die meiste Zeit während dieses vier-jährigen Studiums verbrachte ich, wenn nicht in Seminaren oder bei einer Vorlesung, aber doch auf dem Campus, in der Bibliothek. Jene war mit offenen Regalen ausgestattet. Das war eine herrliche Einrichtung weil beim Suchen nach einem bestimmten Text wurde man geradezu durch Zufall auf relevante Texte gestoßen von denen man zwar noch nie zuvor gehört hatte, aber unmittelbar daneben standen und zum Themen Komplex ebenfalls etwas zu sagen hatten.

Da Honor-Student bekam ich ein besonderes Studium-Zimmer in der Bibliothek. Da jedes Zimmer vier bis sechs Tische hatte, wurde der Raum natürlich mit anderen geteilt. Darunter waren vor allem Freunde, einschließlich Konrad von Finckenstein und Ward Elcock. Die Beiden waren quasi Genies betreffs Kenntnisse jüngster Entwicklungen in der Welt. Insbesondere China schenkten sie ihre ganze Aufmerksamkeit.

Ein dauerhafter Freund aus dieser Zeit wurde David McNicoll, Chemiker, aber auch Photograph und Lichtexperte beim Film.

Die Professorin Theresa Harmstone für Probleme des Kommunismus war neben Lithwick und Paquet einer der einflussreichsten im Fachbereich Politische Wissenschaft. Sie hatte ihren Ph.D. an der Harvard bei Fainsod geschrieben. Ihre Grundthese war dass der Kommunismus und deshalb die Sowjet Union ein grundlegendes Problem nicht zu lösen vermochte und das war die Frage der ethnischen Minderheiten.

Einmal lud Sie den Politologen Löwenthal für einen Gastvortrag ein. Er beschrieb die Berliner Mauer und den Eisernen Vorhang als eine unbedingte Notwendigkeit um Frieden in Europa trotz des kalten Krieges zu bewahren. Ihm war nicht in den Sinn gekommen, dass eines Tages die Berliner Mauer es nicht mehr geben würde. In 1968 war 1989 noch weit entfernt.

Hinzu kamen noch andere Professoren die anregende Seminare und Vorlesungen gaben, insbesondere diejenigen die für Geschichte wirtschaftlicher als auch politischer Ideen zuständig waren. Sabine, Geschichte der politischen Ideen, war ein entscheidender Text der mir die Idee gab jede Epoche kennzeichnet sich durch eine bestimmte Formulierung des Gesetzes aus. Bei Hume war das die der Gewohnheit wodurch die Menschen sich quasi selber regulieren würden.

Was die Wirtschaftsgeschichte betraf, so waren Schumpeter, Myrdal und Polanyi maßgebliche Stimmen für mich. Schumpeter hob die Bedeutung des Haushaltes vor weil stets in der Geschichte die mächtigste und darum die bestimmende Stimme. Myrdal entfaltete so etwas wie eine holistische Herangehensweise an die wirtschaftlichen Probleme von Asien, inklusive Indien. Und Polanyi verglich Primitive, Archaische und Moderne Wirtschaft, um die Behauptung des Kapitals, dass das Geld als Entscheidungsträger ermöglich zugleich die komplizierteste, zugleich freiste Wirtschaft. Dem stellte er die reziprokative Wirtschaft gegenüber, also eine in der keiner sich mehr dem Tauschprinzip unterordnet, sondern denjenigen was gibt die was bräuchten und selber durch andere versorgt wird.

Im Wirtschaftsstudium konzentrierte ich mich besonders auf Arbeitsmarkt-bedingte Fragen und war enorm irritiert, dass es anscheinend keine Lösung für Arbeitslosigkeit gab. Zwar war Keynes einer der wenigen der das mit Betonung der Nachfrage durch den Staat das versuchte hatte. Häufig ging mir durch den Kopf sein ganz entscheidender Satz, dass selbst wenn es einem gut im wirtschaftlichen Sinne ginge, hiesse das noch lange nicht das ökonomische Denken aufzugeben weil es immer noch andere gibt die schlechter dastehen würden. Doch ein umfassendes Denken sowohl in der Makro- als auch in der Mikro-Ökonomie war nicht in Sicht. Nur indirekt hörten wir Studenten vom Strukturalismus der in Frankreich diskutiert wurde. Paquet kritisierte mich als würde ich der deutschen Schule des Historismus folgen. Er hatte nicht ganz unrecht, bedenkt man meine Vorliebe für die Geschichte ökonomischer und politischer Ideen.

Ferner beschäftigte ich mich mit Wechselkurs-bedingte Probleme nach Bretton Woods. Einer meiner Forschungsarbeiten widmete sich der Frage, inwiefern die Vereinigung von Europa marktwirtschaftliche Vorteile erzielen würde. Stets war dabei die Rede von 'economies of scale': die Größenordnung der Kapital/Arbeit Ratio zwecks Produktion bestimmter Güter für einen Markt mit einer bestimmten Größe.

In dieser Zeit war der anti-Vietnam Krieg Protest sehr stark. Das hatte zur Folge keine Firma durfte auf den Campus der Universität kommen, um Studenten anzuwerben. Gleichzeitig machte sich der studentische Rat stark, um ein Gleichgewicht gegenüber der Macht der Professoren zu erzielen.

Ich spielte Fußball für die Universitätsmannschaft. Im ersten Jahr gewannen wir das Championship für ganz Ontario. Später wechselte ich über zum Squash Spielen entweder mit meinen Professoren oder vor allem mit Paul Henry den ich seit der Lisgar Zeit kannte und der einmal Junior Meister von Kanada im Tennis war. Mit ihm spielte ich auch leidenschaftliche Tischtennis. Die Platte dazu stand im Keller seines Elternhauses, leicht zugänglich für uns da er wie ich immer noch zuhause wohnte. Das war üblich wenn man in der selben Stadt studierte wo das Elternhaus sich befand.  So kam ich des öfteren nach Rockcliffe, eine reiche Wohngegend wo es keine Gehwege gab, dafür aber vornehme Häuser die fast alle eine Doppelgarage hatten. Das war nicht unwichtig, bedenkt man den harten kanadischen Winter.

Außerhalb der Universität gab es einige wichtige Zusammenkünfte. Eine enorme Wirkung hatte z.B. das Symposium „Ethics of Change / Ethik der Veränderung“ das in Kingston statt fand. Es sprachen die drei berühmten Intellektuellen: Arthur KoestlerRené Jules Dubos und Martin Meyerson. Koestler formulierte damals den Spruch, „Tradition ohne Veränderung sei Verstopfung, Veränderung ohne Tradition Durchfall“ aus. Dubos bezog sich auf ethische Fragen relevant für die Biologie, und Meyerson sprach über welche Probleme Stadtplaner in unruhig gewordenen Städten beschäftigten.

Weitere Forschungsarbeiten zum internationalen Handel und der Geldpolitik absolviderte ich an der Bank von Kanada. Die Bibliothek war eine hervorragende Informationsquelle. Nicht unweit entfernt vom Parlament, kam es mir vor als würde ich den Puls der Wirtschaft fühlen.

Ich kam außerdem in diese Gegend weil ich vorüber gehend in einem vornehmen Laden als Verkäufer am Pfeifenstand arbeitete, um etwas Taschengeld zu verdienen. Lustig war es wenn in meiner Gegenwart zwei meiner Professoren sich lange über die Vorteile verschiedener Pfeifen unterhielten. Es gab drei Kategorien an Frauen die Pfeifen kauften: die Beziehung war ganz frisch und sie wollte dass ihr Mann männlich wirkt; der Mann hatte vier bis fünf Pfeifen und sie wollte seine Sammlung als auch die Beziehung vertiefen; und die dritte Kategorie waren Frauen die schon lange verheiratet waren und immerzu ihren Mann tief versunken im Sessel die Pfeife rauchen sahen. Interessant fand ich recht unterschiedliche Menschen beim Verkauf von Pfeifen kennen zu lernen. Später fügte Michel Foucault mit seinem Aufsatz 'La Pipe' noch weitere Gedanken hinzu.

Als Politischer Berater von MP Turner nahm ich am Parteitag der Liberalen in 1969 teil. Damals wurde Pierre Eliot Trudeau gewählt. Er trat damit die Erbschaft von Lester Pearson an. Als Rechtsanwalt schaffte er es Kanada eine neue Verfassung und damit eine größere Unabhängigkeit von dem Vereinigten Königreich zu geben. Interessanter Weise wurde sein Sohn Premierminister von Kanada in 2015. Er löste Harper ab, und hob sofort die Stimmung der Kanadier die unter Harper stark gelitten hatte.

Wer sehr viel Einfluss auf persönliche Ebene auf mich auszuüben versuchte, aber nur teilweise erfolgreich, das war mein Onkel Tillo Kuhn. Er war Professor an der York Universität in Toronto. Er hatte mich dazu gedrängt Wirtschaft zu studieren. Im letzten Moment beim Bewerben des Studiums an der Carleton fügte ich noch Politische Wissenschaft hinzu und entwand mich so seinem Einfluss der sehr praktisch ausgerichtet war. Mein Onkel hatte Wirtschaft und Transport kombiniert und war Berater zuerst von Gewerkschaften der Lastwagenfahrer in Toronto gewesen. Danach nahm er Arbeiten fürs Kanadische Transportministerium auf, und schließlich wurde er Professor an der Berkeley Universität wo er Andreas Papandreou kennen lernte, weil der direkt im Zimmer nebenan Ökonometriks unterrichtete. Als Andreas Papandreou nach Griechenland zurückkehrte und KEP, ein Institut für Wirtschaftsforschung gründete, überredete er meinen Onkel ihm zu folgen. So kam die Verbindung nach Griechenland zustande. In 1966 besuchte ich meinen Onkel dort zum ersten Mal.

In der Familie lernte ich viel von meinem Großonkel Franz Kuhn, der als Sinologe viele chinesische Romane ins Deutsche übersetzt hatte. Die Räuber von Liang Schan Moor war einer meiner Lieblingsgeschichten. Immerzu ging es um den Kampf zwischen den ehrlichen und korrupten Beamten - ein dauerhaftes Thema auf der ganzen Welt.

Helmut Frieser, Professor für Chemie an der Technischen Universität von München, wurde von meiner Mutter geliebt und wollte ihn heiraten, doch schnappte sich eine Kousine meiner Mutter diesen hoch begabten und vielseitigen Mann. Helmut war nicht nur Wissenschaftler, sondern spielte das Cello, malte und interessierte sich sehr in meiner Entwicklung. Seine Fragen gaben mir stets eine wichtige Orientierung obwohl er nicht Adorno verstand. Mit ihm besuchte ich die Alte Pinakothek in München wo er mir meine Augen schulte auf Dinge in den Bildern zu achten die ich ansonsten nie bemerkt hätte.

Da war noch Hatto Kuhn der die Erbschaft von Franz Kuhns Nachlass bekam nachdem jener in 1961 auf wunderbare Weise starb. Franz Kuhn liebte den Süden, die Sonne, Orte mit wenigen Menschen. Er war unterwegs stets mit einem kleinen braunen Koffer und wohnte die meiste Zeit in Hotels. Als er in Freiburg zum Winter war, schaute er sich einen Film nicht nur einmal, sondern drei Mal an. Beim dritten Mal stand er inmitten des Filmes auf und ging ganz nach vorne. Kurz nachdem er sich in den bequemen Sitz nieder gelassen hatte, schlief er für immer ein. Als man ihn hinaus trug, läuteten Kirchenglocken gerade im Film.

Ein ganz entscheidender Einfluss übte auf mich Dostojewski aus. Als ich ihn entdeckte, fand ich endlich jemand der meine ganzen Gefühle für die Menschheit ansprach. Bis dahin kannte ich niemanden, auch nicht in meiner Familie, der diese Gefühle so klar hat ansprechen können. Den Roman 'die Brüder Karamasow' verschlang ich in drei Tagen hinter einander. Der 'Idiot' faszinierte mich und der 'Spieler' ließ mich über die Sucht des 'Gamblers' nachdenken. 

In dieser Zeit machte Konrad mich auf Solschenitzyn und seinen Roman über die Gulag in der Soviet Union aufmerksam. 'Der erste Kreis der Hölle' erinnerte mich an was Helmut Frieser ebenfalls durchstanden hatte. Er wurde als Wissenschaftler von den Russen verschleppt und ebenfalls in solch ein Wissenschaftslager gesteckt. All das passte zu unserem Studium des Kommunismus und seine Probleme. Es warf Fragen der politischen Ethik auf, etwas das später Gide als Reisender ins Land des Sozialismus beschrieb. Ich erwähnte bereits, dass ich in 1968 in Prag noch drei Tage vor dem Einmarsch Sovietischer Truppen gewesen war. Die Beendigung des Prager Frühlings wurde zum Signal daß der Kommunismus sich nicht reformieren liess. Das hatte später Konsequenzen als die DDR sich auflöste und doch keiner es schaffte einen eigenständigen Staat, unabhängig von Westdeutschland, entstehen zu lassen. Hinzu kam das Buch von Arthur Koestler, 'Sonnenfinsternis'. Es war umwerfend und zeigte wie gefährlich eine Partei sein kann wenn ihre Gefolgschaft oder Parteimitglieder meinen die Partei habe die Wahrheit gefunden und somit sei jeglicher Zweifel ausgeschlossen. Später kam zu dieser Lektüre noch Sperbers Buch 'Eine Träne im Ozean' hinzu. Einer der mutigsten, zugleich unabhängigsten Schriftstellern war Robert Musil der auf dem Kongress gegen Faschismus in Paris 1927 einer der ganz wenigen Autoren war der offen Stalin und das ganze System kritisierte. Andere, so auch Jean Paul Sartre, waren vorüber gehend einer Blindheit gegenüber der Wirklichkeit verfallen und unterstützten die kommunistische Partei. Da gab es noch viele andere Verirrungen, so auch die Intellektuellen im Westen die zum Beispiel für den Encounter schrieben und nicht ahnten jene Zeitschrift wurde vom CIA finanziert. Der kalte Krieg trieb leider viele in diese Entweder/Oder Falle und erst als der Eurokommunismus aufkam, gab es erste Anzeichen eines Versuches einen dritten, zugleich unabhängigen Weg zu gehen. Drei Beispiele dafür wurden damals schon genannt: Tito, Ghandi und Nasser. Doch alle drei hatten ebenfalls ihre Probleme mit der nationalistischen Gesinnung und Orientierung.

Wie soll es weitergehen?

Lange überlegte ich mir wie es weiter gehen soll. Ich liebäugelte mit einem Studium an jenen amerikanischen Universitäten die Stadtplanung anboten. Solch ein Studium wurde bereits damals schon Multi-disziplinär aufgebaut, und außerdem brannten die Städte in den USA, vorab Detroit.

Das war im Jahr 1969 in dem noch andere Themen die Diskussionen bestimmten, vorab der Krieg in Vietnam und was Kriegsdienstverweigerung beinhaltete. Viele US Studenten kamen nach Kanada um dem Kriegsdienst zu entgehen. Vor allem richtete sich der Zorn gegen Piloten die ohne zu wissen was sie unter Zivilisten anrichteten ihre Bomben abwarfen. Als das Bild vom nackten Mädchen (jüngst war das Bild eine Kontroverse weil Facebook das wieder entfernt als es gezeigt wurde) um die Welt ging, schwoll die Anti Vietnam Demonstration enorm an.

Gleichzeitig wurde ich von Crossroad Afrika ausgewählt Zivildienst in Kamerun im Sommer von 1969 zu leisten, um nach meiner Rückkehr auf eine Vortragsreise durch ganz Kanada zu reisen, um Aufklärungsarbeit über die Zustände in Afrika zu leisten.

Die Entscheidung nach London zu gehen

Eines Tages fand ich mich wieder auf einer Brücke. Nachdenklich schaute ich runter und dem fließenden Wasser nach. Ich überlegte mir was solle ich tun: nach Afrika gehen und darum anschließend in Kanada zu bleiben oder nach Europa? Ich hatte als Alternative ein 'Post-graduate' Studium in den USA mit dem Ziel Stadtplaner zu werden oder den Bescheid der LSE dass die Schule in London mich für einen Master in den Fächern Soziologie und Philosophie der Wissenschaft aufnehmen würde. Etwas schubste mich in Richtung von England.

Da war außerdem meine Finnische Freundin Meri die Englisch in London lernte und sich dort sehr einsam fühlte. Definitiv wollte ich mich anders entscheiden als was üblicher Weise Männer taten: zuerst die Karriere, dann die Frau. Doch als ich mich entschied nach London zu gehen, bekam Meri allzu viel Angst. Sie fürchtete dass ich allzu viel ihretwegen aufgegeben hatte und eines Tages würde ich ihr das zum Vorwurf machen. Eben wegen dieser Angst durfte ich sie nur einmal auf die Wange küssen und zwei Wochen verschwand sie. Sie kehrte nach Helsinki frühzeitig zurück und liess mich alleine in London stehen.

Natürlich wurde meine Entscheidung nach London zu gehen dadurch erleichtert, dass Tante Hamley hatte. Bei ihr konnte ich zuerst wohnen.

Noch mehr, ich war mit zwölf Jahren von München nach Ottawa mit meinen Eltern ausgewandert und hatte seitdem Europa nur zwei Mal besucht. Ich fühlte es war an der Zeit zum alten Kontinent zurück zu kehren.

Das erste Mal war ich in Europa in 1966. Zuerst arbeitete ich für zwei Monate an der Hypotheken Bank in München und anschließend besuchte ich für einen Monat meinen Onkel und Tante, Tillo und Naomi Kuhn, in Griechenland. In dieser Zeit lernte ich Meri in München und Jane aus Manchester in Griechenland kennen. Da war außerdem Jacqueline die bei Helmut Frieser gewohnt hatte als ich dort einzog. Sie stammte aus Lyon. Diese drei Frauen spielten weiterhin eine Rolle in meinem Leben.

Das zweite Mal war in 1968. Zuerst arbeitete ich im Schweizerischen Bankverein in Zürich und machte mich anschließend auf nach Wien. Dort wohnte ich für zwei Wochen bei Maridl, um mich auf meine nächste Reise vorzubereiten. Ich hatte vor per Anhalter nach Prag zu gelangen, um etwas vom Prager Frühling mit zu bekommen. In den zwei Wochen in Prag erlebte ich politische Versammlungen die drei Forderungen aufstellten: freie Wahlen, Abschaffung der Geheimpolizei und etwas mit der Jugend anzufangen. Letztere saßen den ganzen Tag wie Möwen auf einem Gelände und ließen ihre lange Haare laut Pasolini sprechen. Drei Tage vor dem Einmarsch der Russen und anderen Truppen des Warschauer Vertrages verließ ich Prag noch rechtzeitig. Viele sagten mir hätten sie die Möglichkeit, so würden sie ebenfalls abhauen. Im September und nicht im Mai war ich in Paris. Statt Poesie in den Straßen und das Imaginäre an der Macht waren sämtliche Verkehrsadern von Paris mit Autos erneut voll gestopft. Hier sah ich wieder Jacqueline und ihren Bruder.

Zwischen drinnen hatte ich die internationale Welt auf der Weltausstellung EXPO '67 in Montreal, Kanada sechs Monate lang genossen da tätig als Host am Kanadischen Pavillon. Das gab mir einen Vorgeschmack auf eine internationale Lebenshaltung. Jegliche nationale Gesinnung empfand ich immer mehr als ein Art offenes Gefängnis.

Noch andere Faktoren seien zu erwähnen was mich bewog nach Europa und darum zuerst nach London zu gehen. Vor allem fühlte ich mich in Kanada außerstande eine lebendige Philosophie zu entwickeln. Es fehlte vor allem an Kultur. Inzwischen hat sich das nach 1967 enorm geändert, aber Ottawa war im Vergleich zu Toronto oder Montreal eben eine Hauptstadt voller Beamten. Jene zogen es vor sich in ihre Häuser in den Vororten oder auf ihre Cottages zurück zu ziehen, statt ein gesellschaftliches Leben in der Stadt zu ermöglichen.

Wie gesagt, ich war als zwölfjähriger Junge nach Kanada im Jahr 1957 angekommen. Damals waren noch sehr deutlich die Folgen des Zweiten und des Ersten Weltkrieges zu spüren.

Im Schulhof meiner ersten kanadischen Schule, nämlich Osgoode, musste ich oft etwas unangenehmes durchstehen. Wann immer ich besser Fußball als die anderen Jungs spielte, rächten die sich indem sie mir plötzlich ins Gesicht "Heil Hitler" riefen. Das war weniger verwunderlich Anbetracht der vielen Hetzfilme die im Fernseher gezeigt wurden. Meine Eltern halfen mir dabei überhaupt nicht das zu verstehen. Es herrschte weitgehend ein Schweigen zuhause was alles in Deutschland unter Hitler geschehen war. Mein Vater zeigte mir nur sein Fotoalbum in dem er seine Beteiligung als Wehrmachtsoldat fest gehalten hatte. Ich hatte allerdings viele Freunde die mich zu sich nach Hause nahmen und oftmals wurde ich eingeladen zum Abendessen zu bleiben. Darunter waren etliche jüdische Familien. Immerzu bekam ich zu hören wer in der Familie im KZ umgekommen war oder wer es halt nicht geschafft hatte ins Exil zu gelangen. Vor allem war Naomi von der Loeb Familie eine gute Freundin. Ihre Familie war reich nicht nur im materiellen Sinne da ihr eine große Lebensmittelkette gehörte, sondern die Schlichtheit des Reichtums ließ Raum für die Kunst, sei es fürs Spielen am Klavier oder für eine Diskussion über just gemalte Bilder vom Vater.

Ganz im Kontrast dazu herrschte Schweigen über den Holocaust zuhause. Das Bild das mein Vater vermittelte war eingeschränkt auf die Professionalität der Wehrmacht die nichts mit Hitler und der SS angeblich zu tun hatte.

Ferner lernte ich an meiner Oberschule Lisgar Collegiate wie sehr Kanadier am Ersten Weltkrieg beteiligt waren. Unser Physik-Lehrer erzählte uns statt Physik liebend gerne von Vimy Ridge weil eines der Symbol-trächtigsten Schlachtfelder das vermutlich für immer in Erinnerung bleiben wird, und das aus einem bestimmten Grund. Herr Meng schilderte wie zu Weihnachten die Soldaten aus ihren Gräben heraus kletterten, um gemeinsam mit den Soldaten von der anderen Seite gemeinsam Weihnachten zu feiern. Doch am dritten Tag kehrte wieder das Mißtrauen zurück: ihr werdet zuerst schießen, nein ihr! Als sie zu ihren Gräben zurück kehrten, gingen sie rückwärts um den wieder entdeckten Feind im Auge zu behalten. Ich dachte seitdem wie seltsam: da feiern an einem Tag die Menschen Weihnachten gemeinsam und am nächsten sind sie nur noch Feinde. Dieser Eindruck eines Rätsels betreffs Krieg und Frieden verließ mich nicht mehr. Er wurde verstärkt durch die Tatsache, dass die Lisgar Collegiate obendrein im vierten Stock noch eine komplette Schießübungsstelle, wo Kadetten für den Ersten Weltkrieg ausgebildet wurden, hatte. Dieser Stock wurde nicht mehr benutzt weil der Boden morsch war aber es diente als Museum für unsere Requisiten für die jährliche Theaterinszenierung. 

Kurzum, vieles zog mich nach Europa zurück. Ich dachte zuerst sei das in England möglich weil in Europa und dennoch mir die Möglichkeit bot in der Englischen Sprache zu verbleiben. Ich wollte definitiv mein Leben schreibend gestalten.

 

LONDON SCHOOL OF ECONOMICS 1969 - 70

Mein Onkel Tillo Kuhn hatte bereits an der LSE studiert, so vermutlich folgte ich seinen Fußstapfen, aber aus umgekehrter Richtung. Er hatte im Zweiten Weltkrieg einer Mutter und Tochter das Entkommen nach England ermöglicht, und als Dank lud die Tochter ihn zu ihrer Hochzeit in 1948 nach London ein. Er kam als Deutscher unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, so war es um so erstaunlicher dass er es schaffte sich faktisch illegal dort aufzuhalten, um an der LSE zu studieren. Er verdiente sein Geld als Zeitungs-Verteiler, Brötchen-Verteiler und als Hauswirt in einem großen Mietshaus. Wann immer der Besitzer außer Haus war, klopfte er an die Tür der Mieter so dass sie wussten jetzt konnten sie in die Badewanne springen weil Tillo extra einheizte. Das rettete ihn. Als die Polizei ihn endlich schnappte und er nachweisen musste dass er in England sein kann ohne irgend einen Verdienst nachgehen zu müssen, verschaffte ihm ein Lord der im ersten Stock dieses Hauses wohnte, ein Stipendium. Er konnte dann noch sein letztes Jahr an der LSE ohne viele Probleme absolvieren.

Nach der Erfahrung auf der Carleton Universität war für mich die LSE eher eine Enttäuschung. Es schien als würde sie vom Ruf der in der Vergangenheit erworben war, leben, statt in der Gegenwart neues zu wagen.

Ein wichtiger Einstieg ins philosophische Geschehen war als ich eines Tages am 6. August ins Seminar kam und ein deutscher Student mich fragte, weißt Du wer heute gestorben ist? Ich zuckte die Schulter denn ich wusste von nichts. Die Antwort war: Adorno. Ab dann fing ich an mich mit diesem Philosophen zu beschäftigen. Adornos Tod wurde vermutlich durch zwei schreckliche Erfahrungen ausgelöst.

Der erste hing eng mit der Studenten Bewegung zusammen die ihn zuerst fast wie ein Gott verehrt hatte. Seine Vorlesungen in Frankfurt waren berühmt, stellte er doch die deutsche Gesellschaft samt der jüngsten faschistischen Vergangenheit in Frage. Doch als Adorno davor warnte nicht aus einem theoretischen und darum komplexen Zusammenhang nur ein Element herauszugreifen, um danach zu handeln, weil dass nur zum Reaktionären verleiten würde, wendete sich das Blatt. Die Studenten wollten Aktionen sehen und dafür die bedingungslose Unterstützung von Adorno bekommen. Da er das nicht tat, entzogen sie ihm ihre Zustimmung. Ab dann erfuhr er nur Protest der dann völlig ausartete als ein Student und zwei Studentinnen in einer Vorlesung zu ihm vordrangen und die Frauen ihre Busen nicht nur entblößten sondern sie in sein Gesicht streckten. Bei Adorno wurde eine Erinnerung wach. Als er seine Mutter die Opernsängern war, begleitete und die Beiden in einem Hotel wohnte, streckte eines Tages der Hotelbesitzer eine von ihm tot geschlagene Ratte in sein Gesicht. Hier zählt philosophisch gesagt der bei Hegel vorkommende Begriff der Unmittelbarkeit. Klaus Heinrich würde sagen ohne Vermittlung kann die Unmittelbarkeit gewaltsam wirken z.B. wenn ein Kind über die Straße rennt und direkt in ein Auto. Ähnliches geschah als die Frauen ihre Busen in sein Gesicht drückten. Nicht nur war das äußerst aggressiv und durch nichts zu rechtfertigen, sondern obendrein grotesk.

Der zweite Vorfall ereignete sich an der Universität von Oxford (oder war es Cambridge). Adorno sollte einen Vortrag geben aber bereits im Vorfeld war bekannt das die angelsächsische Philosophie völlig die kontinentale und insbesondere die westliche Variante einer marxistisch angehauchten Philosophie ablehnte. Auch Popper trug zu dieser Grundstimmung bei. Er hatte in seinem Buch "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde" behauptet, dass Hegel als auch Plato zur Bildung einer Totalitären Ideologie und damit zum Faschismus beigetragen hätten. Diese These wurde entscheidend für meine weiteren Untersuchungen des Faschismus, insofern die Frage bis heute besteht, inwiefern die Philosophie dafür verantwortlich ist. Doch zurück zu Adorno der eine besondere Kritik am Faschismus gemeinsam mit Horkheimer vor allem in 'Dialektik der Aufklärung' entwickelt hatte. Als er seinen Vortrag gab, erfuhr er vermutlich das Schlimmste was einem passieren kann: das Publikum schwieg. Er erhielt absolut keinen Beifall. Es muss für ihn fürchterlich gewesen sein, so als sei er im geistigen Sinne gegen eine gläserne Wand geknallt.

Am 6.August 1969 starb Adorno in der Schweiz.

Noch vor Beginn der Universität wohnte ich bei meiner Tante Hamley die als einzige in ihrer Familie bestehend aus sechs Brüdern und fünf Schwestern geheiratet hatte. Als sie einen Englischen Mann auf einer Schiffsfahrt nach Honduras kennen lernte, schloss sie die Ehe noch ehe ihre Brüder das hätten sabotieren können.

Tante Lotte war eine rege Person bis zu ihrem letzten Lebensjahr. Sie spielte Klavier, lebte in ihrem typischen Londoner Haus auf sämtlichen Etagen - Frühstücksraum ganz unten, Empfangsraum Parterre, Klavierraum erster Stock, Schlafzimmer zweiter - und vermietete dabei Zimmer an Studenten oder andere. Als ich sie fragte warum sie nicht ihre komplette Wohnung auf ein Stockwerk verlegen würde, schaute mich verduzt an und fragte mich dann ob ich wolle, dass sie alt werde. Offentsichlich gewann sie dem Treppensteigen etwas ab. Lustig war es mit ihr wenn ich ihr ins Ohr flüsterte, dass ich jemand mit gebracht hatte. Sofort kam die Frage, ob das ein junger Mann sei? Kaum hatte sie mein Ja vernommen, verschwand sie und alsbald wieder zu kommen aber dieses Mal mit rot geschminkten Lippen und ihrem Lieblingsschaal kokett um den Hals. So machte sie ihren Auftritt. Beim Warten auf die berühmten Doppeldecker Buse hielt sie Ausschau ob da noch andere Menschen an der Haltestelle warten würden. Engländer sind bekannt für ihre Höflichkeit aber sie tat als sei sie blind und sehe die nicht, um sich dann ganz frech vorne anzustellen. Sie hatte zwei Töchter, Maya und Giovanna. Maya Dean lebte mit ihrem Mann der ebenfalls Architekt war, in London. Die Beiden hatten drei Kinder mit denen ich häufig in Swiss Cottage schwimmen ging. Als einzige Verwandte in London stehe ich vor allem noch heute mit Kate Parker in regelmäßiger Verbindung.

Um etwas Geld zu verdienen fing ich an in einer Kleiderfabrik in den Londoner Docks zu arbeiten. Die Zustände entsprachen was Charles Dickens bereits in seinem Roman als Ausbeutung von den Ärmsten der Armen beschrieben hatte. Ein Österreicher der Hitler geflohen war, arbeitete neben mir. Wir mussten Kleider in Kartons einpacken und dann verschließen. Der Lohn war so niedrig wie die Arbeitszeit unter armseligen Bedingungen lang. Der Österreicher sagte mir wann immer wir Überstunden machen müssten, und das war sehr oft, würde er den letzten Nachtbus versäumen und dann war er gezwungen eine Stunde lang nach Hause zu laufen. Jedes Mal wenn er das täte, rechnete er sich aus war das ein Jahr weniger in seiner Lebenserwartung. Er wohnte in seinem dieser billigen Hochhäuser mit seiner Frau. Das Schicksal vom Exil in England hatte ihn dorthin gebracht.

Adorno, Popper, Habermas, Der Positivismus Streit

Adorno, Minima Moralia

Adorno, Negative Dialektik

Popper, Conjecture undand Refutation

Popper, Open Society and its Enemies

Carnap, Bedeutung und Notwendigkeit

Thomas Kuhn, Struktur wissenschaftlicher Revolutionen

Bertrand Russell, Philosophie

Orwell, Down and out in Paris and London, 1984, On the Road to Wigham Pier, Mein Katalonien, Farm der Tiere

Huxley, Schöne neue Welt

Thomas Mann, Dr. Faustus

Karl Popper war gerade in den Ruhestand gegangen, zurück blieben für das Fach Philosophie der Wissenschaften Musgrave, Watkins und Imre Lakatos. Letzterer versuchte in seinen Vorlesungen bis zum letzten Tag seine spannende These zurück zu halten, um sicher zu gehen die Studenten bleiben bis zum letzten Tag dran. Er war nicht ganz mit Poppers Falsifikationsmethode einverstanden.

Prof. Glass für Demographische Erhebungen war einfach fantastisch wie er es vermochte Sozialpolitik mittels Gebrauch von Kategorien und Statistik zu erklären vermochte.

Miliband war stets bemüht den Marxismus aufrecht zu erhalten, aber so ganz überzeugend war das nicht.

Johnson zeigte seine Expertise auf dem Gebiet der internationalen Ökonomie, und obwohl er der Chicago Schule von Milton Friedman nahe stand, merkte das man ihm nicht sofort an. Seine Vorlesungen behandelten internationale Entwicklungsfragen.

Gellner wurde berühmt als Autor von 'Thought and Change', aber unter den Studenten machte er sich einen Namen mit dem Spruch ein Revolutionär sei jemand der nicht an der Türschwelle zum Schlafzimmer Halt machen würde.

Martin war für Soziologie zuständig, aber er überzeugte wenig als er den Versuch unternahm der Studenten Bewegung von '68 religiöse Motive zu unterstellen. Solche Erklärungsversuche waren schon immer suspekt, politisch gesagt, aber durch Popper im Streit mit Adorno nahm dann doch die Soziologie eine besondere Rolle ein. Aber statt gesellschaftliche Phänomene zu erklären, schien es mir eher dass Studenten der Soziologie die Gefahr liefen ohne Verbindung zur Gesellschaft im Nichts zu enden.

Im Statistik-Kurs untersuchten wir den Mietstreik im sozialen Wohnungsbau und lernten allerdings mehr vom Film 'Cathy come home' von Kenneth Loach.

Zwar war Bobby Blackburn im Munde aller die die LSE mit der Studentenrevolte in Verbringung brachten, aber er war nicht wirklich unter den Studenten gegenwärtig. Eine kleine Anekdote kann dabei etwas erhellen. Eines Tages als ich mit der 'Northern Line' nach Golders Green fuhr, stieg bei der nächsten 'Tubestation' eine alte Dame ein und setzte sich neben mir hin. Ich war dabei ein Buch zu lesen doch spürte ich wie sie mich ständig musterte. Dann sagte sie im typischen Englischen Akzent: "Pardon! May I ask you a question." Ich schaute auf und sagte, "yes, of course!" "Are you a student?" "Yes." "O, at what university are you at?" "London School of Economics." Da gab sie sich ganz erstaunt und sagte: "O, you don't look like a revolutionary at all." 

Außerdem gab es eine enorme Kluft zwischen den ausländischen und heimischen Studenten. Letztere blieben eher unter sich. Eine Ausnahme war Teresa Copestake die Sozial Administration studierte und anschließend nach Sheffield zog, um dort Sozialarbeit vor Ort unter den Bergbau- und Stahlarbeitern machte.

Der griechische Widerstand im Exil formierte sich u.a. um Andreas Papandreou der einen Vorläufer von PASOK gründete. Mein Onkel Tillo E. Kuhn hatte ihn aus dem Gefängnis der Junta an die York Universität in Toronto geholt. Papandreou trat in London auf und wurde in seinem Vorhaben vor allem von Melina Mercouri unterstützt. Die Junta war an die Macht in 1967 gekommen und blieb bis 1974. Andreas Papandreou verfasste dazu ein vielsagendes Buch mit dem Titel 'Democracy at gunpoint' / Demokratie vor der Gewehrmünde. Nach dem Sturz der Junta kehrte Papandreou nach Griechenland zurück, gründete PASOK und kam mit ihr an die Macht in 1981. In der Londoner Zeit war es offensichtlich ein eklatanter Widerspruch für viele im Land das als Geburtsort der Demokratie galt eine militärische Diktatur zu haben.

Eine Gruppe formte sich die Psychoanalyse von Freud mit der Philosophie von Bertrand Russell zusammenbrachte. Unter den Mitwirkenden waren zwei Lehrer die in Sommerhill unterrichteten, ein Komponist, die Kunsthistorikerin Annela Twitchen, der Mahler-Liebhaber Misha Horenstein (dessen Onkel der berühmte Dirigent Horenstein war und der stets mit Solti im Streit über die richtige Mahler Interpretation lag wenn entweder der eine oder der andere in den Royal Festivals Halls das Orchester dirigierte). Darunter befand sich außerdem die Nichte von Anna Freud und durch sie unterhielten wir Kontakt zum Tavistock Institut. Wir versuchten aus unseren verschiedenen Herangehensweise eine Konzeption für eine neue Erziehungsmethode zu entwickeln und nannten es mit der Zeit 'Psyche-Pädagogik'.

Oft trafen wir uns im Schallplattenladen in Hamstead wo Misha Horenstein arbeitete und wodurch wir noch andere Personen, so auch den Übersetzer von Dostojewski, kennen lernten.

Die Wohngemeinschaft am Rande von Hamstead Heath und Nahe zu Golders Green bestand außer mir aus drei Männern die alle beim BBC als Filmschneider arbeiteten, aber selber gerne Filmproduzenten eigener Filme sein wollten. Ihre ganze Frustration richtete sich allerdings gegen die englische Klassengesellschaft die denjenigen von unten kommend keine wirkliche Aufstiegschancen gewährleistete.

Sie organisierten etliche Filmfestivals in der Wohnung. In jedem Zimmer surrte ein Filmprojektor. Interessant war der Filmmacher der in Kuba die Revolution mit nur zwei Tänzern dokumentierte, um die Zeit vor und nach der Revolution plastisch vorzustellen. Zuerst bewegte sich der Mann mechanisch und die Frau war innerhalb eines Hola-hoops gefangen. Nach der Revolution war sie davon befreit und befreite dann auch den Mann von seinen mechanischen Bewegungen.

Sehr viel Aufsehen erregte Kenneth Loachs 'Cathy come Home' aus der dann die Organisation 'Shelter' hervorging, um Obdachlosen und denjenigen die ihre Wohnung verloren hatten, ein neues Zuhause zu geben. Dieser soziale Impuls der von einem Filmmacher ausgeht, ist ein guter Beweis dafür dass die Kunst auch die soziale Frage angehen kann.

Ganz anders hingegen der Film 'Women in Love' von Ken Russell der auf dem gleichnamigen Roman von D.H. Lawrence basiert und was wiederum auf die Richthoven Geschwister verweist, wovon eine davon Max Weber heiratete. Der Film behandelt das Befremden gegenüber einer eiskalten Liebe die oftmals mit einer deutschen Umgangsweise mit Sexualität gleichgesetzt wird. Hier überlagern sich Englische und Deutsche spät-romantische Vorstellungen und werden zu Schlüsselbegriffe fürs Verstehen sowohl von einer Klassengesellschaft als auch von Grundtendenzen in Europa mit Faschismus im Kommen.

Etliche Wochenende war ich gar nicht in London, sondern in Paris. Oft gab es eine Kombination von Zug und Flugzeug, oder der Kanal wurde per Schiff überquert. Die Reisetickets holte ich regelmäßig vom Studenten Reisebüro nahe des Britisch Museums ab. Fast immer gab es ein besseres Wetter in Paris. In London wollte ich oftmals mit einem Besenstock die Wolken über einem durchlöchern. Zurückblickend ist erstaunlich mit welcher Leichtigkeit wir alle damals gereist sind, notfalls auch per Anhalter. Stets war vorhanden ein tiefes Vertrauen in Menschen. Außerdem gab es viele Freunde wo jederzeit Unterkunft zu finden war. In einem Hotel zu übernachten kam gar nicht in Frage. 

Ein Freund arbeitete in Paris für eine Bank. wir hatten uns bereits während meiner Arbeit bei der Bayerischen Hypotheken Bank in München 1966 kennen gelernt. Später sollte ich bei ihm in Zürich wohnen und beim Schweizerischen Bankverein 1968 für zwei Monate arbeiten. In Paris wohnte er nahe dem großen Zentralmarkt genannt 'Les Halles'. Das lud zum vortrefflichen Frühstück mit dem obligatorischen Baguette ein. Auch wurde jenes Leben im Film Irma La Deuce wieder gegeben.

Einmal besuchte ich ihn mit meiner finnischen Freundin Meri Krusius deswegen ich nicht nach Afrika sondern nach London ging, und sie darum zurück wich aus Angst ich hätte zuviel ihretwegen geopfert und würde ihr das eines Tages zum Vorwurf machen. Es stellte sich heraus mit diesem Freund konnte sie sich eher oder sogar besser als mit mir unterhalten. Die Beiden taten sich dann tatsächlich zusammen und ich erhielt erst von ihm, aber auch dann von ihr einen Brief ich möge aufhören mit ihnen zu kommunizieren da ich ihr zuviel bedeute.

Als Meri und ich uns in München in 1966 kennen lernte, und zwar in der Hängematte in Schwabing, ein Lokal wo viele Studenten hinkamen und sie ebenfalls in München als Werkstudenten war, verliebte ich mich in sie alleine wegen ihrer bebenden Nase. Sie war klein mit großem Humor. Zugleich war sie enorm scheu. Ihre Mutter war Finnin, aber der Vater ein strammer Deutscher der seinen drei Söhnen untersagte zu weinen. Männer täten so was nicht. Folglich bekam sie einiges von dieser Einschüchterung mit und hielt aus Angst vor dem Vater ihre Emotionen zurück. Das erschwerte enorm die Beziehung. Als ich dann aus Ottawa nach London in 1969 kam - zwischen drinnen hatte ich sie mit diesem Freund in Begleitung in Helsinki August 1968 besucht, also unmittelbar nach dem Einmarsch russischer Truppen in Prag und war alleine bei ihr in Helsinki zu Weihnachten 1969 gewesen - wartete sie nicht auf mich am Ausgang vom Flughafen sondern glücklicherweise am Busterminal. Als ich sie küssen wollte, gab sie mir nur die rechte Wange. In den zwei Wochen die darauf folgten, kein einziger Kuss, kein Ausdruck von Liebe, geschweige dass sie emotionale Nähe zeigte. Doch als sie mich dann in London besuchte, und ehe wir gemeinsam nach Paris fuhren, sahen wir uns den Film 'Women in Love' von Kenneth Russell an. Plötzlich sagte sie laut jetzt sehe sie welche Fehler sie machen würde und ich bekam solch einen leidenschaftlichen Kuss wie ich mir das hätte niemals vorstellen, geschweige wünschen können. Was das im Film ausgelöst hatte, erging mir. Die plötzliche Offenheit dauerte allerdings höchstens zwei bis drei Tage an, dann verschloss sie sich oder versteckte sie sich hinter ihrem Humor.

In Paris erlebte ich einmal die Trommler aus Straßburg. Wir saßen in der Mitte in einer länglichen Halle und am Fuß als am Kopf und auf beiden Seiten waren insgesamt sechs Trommler. Es ging an als würden afrikanische Dörfer Kontakt miteinander aufnehmen wollen. Dann entstanden Gespräche, Dialoge, wilde Tänze bis der ganze Raum von kreisenden Tönen in gegensätzliche Richtungen gefüllt war und wir ins Universum abheben.

Als Pablo Neruda im Round House auch die Gedichte von Ritsos, seinem Bruder vortrug, war unmittelbar Griechenland unter einer militärischen Diktatur präsent. Die Lesung hinterließ einen bleibenden Eindruck.

Ich fing an Kunstkritiken zu schreiben. Natürlich ist London reich an Galerien und außer der National Galerie gab es damals die Tate Galerie (noch vor der Tate Modern). Hier studierte und schrieb ich über einen Künstler der abermals die Lehre der Farbe und der Materie aufnahm, so als stünde die Kunst am Anfang ihrer Entwicklung und nicht im Bannkreis einer Sättigung der Moderne. 

Auf den Stufen der National Galerie während ich auf Jane aus Manchester wartete, lernte ich die holländische Künstlerin Philippine Hering kennen. Sie wollte Barock Musik einkaufen, so nahm ich sie zum Laden wo Misha Horenstein in Hamstead arbeitete. Dadurch entstand eine derartige geistige Verwandtschaft, dass Philippine sich nach ihrer Rückkehr von ihrem Mann hat scheiden lassen, und zwar wegen wie sie es nannte 'spiritual adultery': sie dachte fortlaufend an mich. Ihr Vater, ein strenger Minister der Evangelischen Kirche, erklärte sie für verrückt und zwang sie in die Psychiatrie der Anthroposophen bei Basel zu gehen. Wir sahen uns dort wieder nachdem ich von London nach München wechselte und sie von dort aus eines Tages aufsuchte. Als Künstlerin wehrte sie sich verzweifelt gegen die auferlegte Symbol-Sprache einer Gemeinsamkeit die eher ans Jenseits vom Leben dachte, und dabei den Körper im 'hier und jetzt' vernachlässigte.

Das Geld verdiente ich mir indem ich quasi Nachunterricht Hilfe für Educational Tutorial gab. Die Studenten sollten auf ihre Prüfungen für die O- und A-Level als Bedingungen für den Eintritt in die Universitäten vorbereitet werden. Das Niveau war ziemlich hoch. Ich gab Übungen in Politischer Wissenschaft und in Wirtschaft. Die Leitung von Educational Tutorials hatte Irish Beushaw inne. Als ehemalige Krankenschwester studierte sie nach dem Krieg Psychologie an der Cambridge Universität und war enorm dynamisch was Umgang mit den Studenten betraf. Über zwei Jahre besprachen wir am Telefon nicht nur die Studenten die ich unterrichtete, sondern die Themen berührten vor allem die von Freud aufgeworfenen Fragen insbesondere bezüglich der Sexualität. Am Ende dieser zwei Jahre unterrichtete und wohnte ich in einem Haus mit Studenten zwecks intensiver Vorbereitung in einem Badeort außerhalb von London. Eines Tages kam dann Iris Beushaw und wir begegneten uns zum ersten Mal in 'real life'.

Der Tod meiner Mutter kam nicht überraschend aber dann doch war er ein entscheidender Einschnitt in meinem Leben. Nachdem ich Ottawa plötzlich für London verlassen hatte, litt sie sehr unter meiner Abwesenheit. Oft ging sie solange sie noch konnte in die National Galerie in Ottawa und setzte sich vor meinem Lieblingsbild, um mit mir zu kommunizieren. Zu meinem Geburtstag am 21.9.1969 schickte sie mir als Geschenk ein Buch über Matisse. Sie erkrankte an Amyloidose deren primäre Ursache unbekannt ist. Meine Schwester Dagmar Forget informierte mich per Brief was mit meiner Mutter los war, aber im Nachhinein stellte sich heraus sie wurde einem langwierigen und oftmals schamlosen Diagnose Prozess unterzogen u.a. musste sie sich im Krebszentrum von Toronto nackt ausziehen und sich auf einen Hocker mit nur einem kleinen Handtuch vor über 30 Ärzte hinsetzen. Beim Befragen vermochte sie nur etwas heraus stottern denn sie war im Grunde genommen zutiefst moralisch in sexueller Hinsicht und schämte sich nackt vor diesen Ärzten zu sitzen. Dennoch verstieg sich ein Ungarischer Arzt ihr zu sagen sie sei gar nicht krank sondern nur verrückt da sie nicht einmal normal sprechen könne. Dabei hatte meine Mutter ehe wir nach Kanada ausgewandert waren bereits als junge Frau ein Jahr in Amerika und ein halbes Jahr in England verbrachte, also sprach sie perfekt Englisch. Die Lehre die ich aus ihrer Behandlung zog kein Patient solle sich durch den Diagnose Prozess körperlich so sehr schwächen lassen, dass der Körper nicht länger auf irgend eine Therapie reagieren kann wenn die einmal gefunden und entschieden, angesetzt wird. Wir verbrachten gemeinsam noch ein Monat Urlaub im Dorf Völs am Schlern in Süd Tirol. Sie konnte nur noch mühsam gehen aber sie liebte es aus ihrem Hotelzimmer rüber zum Schlern zu schauen. Sie erfüllte sich damit auch noch den Wunsch Kirchenglocken noch ehe sie sterben würde, zu hören. Das hatte sie in Ottawa am meisten vermisst. Allerdings war sie gegen eine Rückkehr nach Deutschland abgeneigt. Dennoch folgte sie einem Arzt in Rheinhausen der ihr geschrieben hatte er glaube eine Therapie für ihre Krankheit entdeckt zu haben. Sie ging nach Rheinhausen nach dieser Urlaubszeit während ich nach London zurückkehrte. Ein Monat später rief das Krankenhaus mich und auch meine Schwester in Ottawa an, wir mögen kommen da unsere Mutter am Sterben lag. Wir verbrachten am Krankenbett die letzten drei Tage ihres Lebens bei ihr. Hatto Kuhn war auch zugegen und er erledigte die Beerdigungsfragen. Meine Mutter wurde zu Ruhe gelegt im Familiengrab in Bad Reichenhall. Das Grab verlegte später Hatto Kuhn nach Lenggries wo er sich ein Haus gekauft hatte.

Der Tod meiner Mutter war ein tiefer Einschnitt. Sie war meine letzte Brücke des Verstehens meiner Person zur restlichen Familie. Ich verließ London ohne meine beiden Abschlussarbeiten für die LSE erledigt zu haben. Später versuchte ich das gut zu machen indem ich nach London für eine Extra Prüfung zurückkehrte. Weil in Hamburg 1976 erreichte mich die Nachricht dass ich sie nicht bestanden habe. Die Nachricht traf mich wie eine Harpune in meiner Seele.

Zur Entscheidung London zu verlassen kam noch hinzu das Buch Dr. Faustus von Thomas Mann. Wissend wie sehr die Beschreibung von Levenkühn als Schönberg in Realität von Adorno beeinflusst war, bewog mich etwas beim Lesen die Entscheidung zu fällen in die Bundesrepublik Deutschland zurückzukehren, und zwar nach München wo ich her kam. Zuvor hatte ich noch Weihnachten 1970 bei Maridl aus Wien und eine gute Freundin aus der Expo' 67 Zeit in deren Winterhaus in den Österreichischen Bergen verbracht. Ein tiefer Traum vom Leben in solch einer Hütte mit Pferd und Hund hatte mich damals sehr im Griff. Ich wollte einfach inmitten der Natur und weit weg vom Stadtleben schreiben. Das war eine innere Vorbereitung meines Abschieds von London obwohl viele mir damals den Ratschlag gaben zu bleiben weil meine Englische Sprache sich gerade zu formen begann.

 

Münchner Zeit 1971 - 72

Als ich in München ankam, wohnte ich zuerst bei meiner Tante Gina. Sie hatte ihre Wohnung im ersten Stock auf der Kaulbachstraße und schaute stets aus dem Fenster wenn ich geklingelt hatte. Da die Wohnung ganz nahe zum Englischen Garten lag, ging ich dort oft spazieren, um nachzudenken.

Einer meiner ersten Erfahrungen hinterließ tiefe Spuren. Ich suchte eine Buchhandlung auf der Ludwigstraße auf und fragte den Buchhändler welches Buch er mir empfehlen würde. Der sagte Herrmann Broch, der Tod von Virgil. Ich kaufte mir das Buch und lernte eine neue Kunst des Schreibens kennen. Noch etwas blieb haften. Ich fragte den Buchhändler was sei seiner Meinung nach das größte Problem der neuen Bundesrepublik die seit 1945 quasi aus der Asche entstanden war? Er meinte viele hätten zwar ihre Häuser wieder aufgebaut, aber die Bücherregale blieben leer. Vieles kann damit assoziert werden aber gewiss erklärt das einiges was das geistige Klima in der Bundesrepublik betrifft. Mitscherlich traf da einen wunden Punkt als jener meinte die Unfähigkeit zu trauern liesse die Menschen ohne Vertrauen zueinander im Leeren stehen. Ein Schlüsselwort war Freuds Begriff des Verdrängten, etwas das sich zugleich als ein Unbehagen an der Kultur bemerkbar machte. Freud wiederum lernte viel von Frazers Buch, der goldene Zweig, insofern dies zum Schreiben von 'Totem und Tabu' verhalf. Aber Brochs Buch war einmalig. Vergil beim Sterben zu beschreiben, zeigte auf wie leicht alles der Lächerlichkeit preis gegeben werden kann. Herrmann Broch war außerdem ein außergewöhnliche Intellektuelle. Wie die anderen zu ging er ebenfalls ins Exil in Amerika wo er eine politische Psychologie-Fachrichtung gründete. Später, als ich in Heidelberg war, sollte ich seinen Thesen noch gründlicher nachgehen, da er den Begriff Esktase mit dem Faschismus in Verbindung brachte und eine von innen hoch kommende, nicht zu kontrollierende Angst beschrieb. Wichtig in diesem Zusammenhang ist zu sehen was geschieht mit einem Menschen wenn einmal das Libido gerissen ist, und damit die menschliche Verbindlichkeit dahin. Broch fasste das in Esch oder die Anarchie zusammen und benannte damit ein Grundproblem der Arbeiterbewegung weil eher einer naiven Romantik zugeneigt und darum leicht verfänglich für die Menschen verachtende Aktivitäten z.B. Ringkampf im Schlamm von nicht Männern sondern Frauen als Folge der Arbeitslosigkeit. 

In München durchlief ich sehr schnell drei Stadien an Arbeit und sozialisierte mich dadurch um die Nachkriegsgesellschaft in der Bundesrepublik kennen zu lernen. Natürlich hatte ich nicht die selben Filme in diesen vierzehn Jahre Abwesenheit in Kanada und England gesehen. Auch hatte ich München als zwölf jähriger verlassen. Damals mochte ich gar nicht meine Schule und wollte am liebsten auf eine private Schule gehen, um auch dem Streit der Eltern zuhause zu entfliehen. Oft genug floh ich zu Tante Gina weil es da ruhiger war und ich außerdem stets etwas süßes bekam. Sie hatte ihren Mann im Zweiten Weltkrieg verloren und zog ihren einzigen Sohn Paul Kneitinger alleine auf. Der heiratete Helga aus unserem Wohnblock auf der Arcissstraße / Ecke Adalbert in Schwabing wo wir gewohnt hatten und die eine enge Freundin von Dagmar war. Die beiden lernten sich kennen als sie gemeinsam Dagmar in Griechenland besuchten. Das war 1965. So gesehen war diese Anknüpfung an vergangene Zeit zugleich die beste Möglichkeit gleich ins Münchner Leben einzusteigen.

Ich arbeitete zuerst in einem anti autoritären Kindergarten in Oberföhring. Ich kam dorthin per Fahrrad und durchquerte jeden Tag den Englischen Garten. Als ich mit den Kindern ähnlich zu meinen Erfahrungen in Kanada als ich im Ferienlager Tawingo gearbeitet hatte, mit den Kindern sprachlich einfühlend umgehen wollte, erlebte ich wie ich sanft mit Empathie eher dazu neigte Befehle in einem harten Ton zu geben. Da entschied ich mich mein Akzent zu verändern und viel mehr meine Aussprache an die Englische Sprache anzupassen. So kam es danach immer dazu dass Leute den Kommentar machten ich würde zwar ausgezeichnetes Deutsch sprechen, aber wegen des Akzents vermuten sie ich sei Ausländer: woher würde ich denn kommen? Bayerisch hatten wir niemals zuhause gesprochen, dennoch war ich auf einer Dorfschule unter lauter katholischen bayerischen Bauernkindern und das färbte sich im Unbewussten ab, so dann spricht Jean Amery für meine Begriffe etwas an, wenn er von einer Vertrautheit in die Dialektik zwischen Vermittlung und Unmittelbarkeit in seinem Aufsatz, "Wieviel Heimat braucht der Mensch? Nur so viel wie er sie nicht nötig hat!" schreibt. All das trug zu meinem Entwurf für meine philosophische These die ich in Heidelberg entwickelte, bei.

Inzwischen fand ich meine eigene Wohnung am Rotkreuzplatz und fing an in der Psychiatrie auf der Nussbaumstraße zu arbeiten. Ich war Pfleger auf der geschlossenen Abteilung wo eine Nonne die Schlüsselgewalt hatte. Sämtliche Schlüssel trug sie an ihrer Schürze und nur sie konnte die Tür aufsperren. Ein wichtiger Eindruck vermittelten mir viele der Patienten denn es schien als sei der Zweite Weltkrieg erst gestern zu Ende gegangen.

Die dritte Arbeit war dann am Max Planck Institut für Psychoanalyse unter der Leitung von Paul Matussek. Er war genial was das Herausholen von komplexen psychischen Abläufen betrifft, doch er war auch spätesten dann höchst umstritten als er für die Versicherungsgesellschaften die Spätschäden von ehemaligen KZ Häftlingen feststellen sollte. Er versprach allen nachdem sie sich in seiner Praxis geöffnet hatten, dass sie anschließend eine Rehabilitation bekommen werden, doch in Wirklichkeit hielt er nicht sein Versprechen. Folglich traten all seine Assistenten aus Protest von ihrer Arbeit zurück. Ich selber arbeitete nicht direkt für ihn sondern erstellte die Kategorien für David Mantell der an einem Friedensprojekt zur Wehrdienstverweigerung im Unterschied zu Kriegsfreiwilligen arbeitete, und was später das Buch 'Familie und Aggression' wurde. David Mantell hatte am berühmten Imgram Experiment in Chicago teilgenommen.

 

Das Philosophische Seminar in Heidelberg 1972 - 75

Ich ging nach Heidelberg aus zwei unterschiedlichen Gründen: ersten, ich wollte nicht mein Wissen privatisieren lassen bzw. der automatische Besitz des Institutsleiters, und entschied mich deswegen eine Dissertation zu schreiben mit dem Ziel sie zu veröffentlichen; und zweitens, ein Bekannter schickte mir solch interessante Beschreibungen von Gadamers Seminare, so dass ich Lust bekam das philosophische Seminar an der Universität von Heidelberg etwas näher kennen zu lernen.

Zuerst wohnte ich im ersten Jahr bei den Buddenbrooks, und das in unmittelbarer Nähe zum Schloss. Das Haus ragte in die Höhe entlang des Berges. Von meinem Zimmer aus konnte ich direkt zum Schloss rüber schauen, aber auch auf den Balkon des Nachbarhauses wo oft abends die Studentenverbindung ihre Fechterei übte. Bekannt dass sie gerne ein Haar in die einmal geschlagene Wunde im Gesicht legen, so dass es eine permanente Narbe als Kennzeichen ihrer Zugehörigkeit ergibt, verdeutlicht ihre Existenz, dass die Strukturen die den Faschismus hervorbrachte, längst nicht überwunden sind. Hier werden die Jüngeren von den Älteren eingeweiht in Rituale die nach einem Muster von Sadismus und Masochismus absolviert werden. Die Verbindungen stehen im Kontakt mit einer Elite die sich aus dem Militär, Aristokratie und Industrie rekrutiert und darum mit wenigen Ausnahmen eine erzkonservative Haltung reproduziert.

Ein Jahr später zog ich nach Handschuhheim und wohnte in einem Kellerzimmer bei Kriegers. Das war im Mühltal und wurde benannt nach den sieben Mühlen. Ein munterer Bach floss am Haus vorbei und lag darum am Stadtrand. Ich konnte von dort aus leicht vorbei am Spielplatz hinauf ins Tal gehen und mich an einen Picknick Tisch nahe einem Bach setzen, um dort zu lesen und zu schreiben.

Die gesamte Heidelberger Zeit war faktisch ein Leben dies und jenseits der normalen Realität. Als ich endlich aus dieser Welt heraustrat und mich in die Küche der Apothekerin Ulrike Roth eines Tages befand, war ich erstaunt was es alles an Geräten gab. Bis dahin hatte ich niemals von einer Kaffeemaschine gehört, geschweige benutzt. In diesen drei Jahren hatte ich mich derartig von der realen Welt entfernt. Fast kam ich mir vor als sei ich ein Mann vom Mond. Diese Fremdheit zur Welt kam zustande weil ich mich in die Welt von Kant und dem neunzehnten Jahrhundert hinein versetzen wollte. Das war meine Art der Hermeneutik um mittels gelebter Erfahrungen - der Begriff 'le vecu' bei Sartre wurde hierfür zum Inbegriff meiner Auffassung von Philosophie zwecks Vermittlung zwischen Theorie und Praxis - nicht nur die Texte von damals zu interpretieren, sondern laut Popper stets darauf zu achten welche Probleme außerhalb der Universität galt es in der Gesellschaft zu lösen, um dann zu sehen wie die Philosophie darauf reagierte. Schließlich war der kritische Vorbegriff in meiner Begegnung mit den deutschen Philosophen die These von Popper, dass die Philosophie für das Aufkommen des Faschismus verantwortlich gewesen sei. Darum teilte ich auch nicht die Auffassung von Habermas der die These aufstellte, dass die Philosophie politisch unwirksam sei. Damit verschleierte er nur die gedanklichen Determinationen die von der Philosophie ausging. Alleine wenn Menschen in ihrem alltäglichen Sprachgebrauch 'an-und-für-sich' sagen, wissen sie vielleicht nicht, dass dies eine Denkfigur seit Hegel ist. Doch die unbewusste Verwendung besagt welch eine falsche Erinnerungsmethode verwendet wird, um doch nicht auf das zurückzukommen, was im Moment des Aussprechen, Hörens und Sagens nicht verstanden wurde. Es handelt sich nicht nur um ein leeres Versprechen, sondern um eine Verhinderung auf dieses Versprechen 'inhaltlich' zurückzukommen. Die Gedächtnisarbeit kommt deshalb nicht zustande weil das 'an-und-für-sich' eine absolute Setzung ist und somit jeglichen Zugang als auch Ausgang verschließt.

Dieter Henrich

Hegel Kenner kam er in den Philosophischen Seminar mit seinem Porsche. Bezeichnend war dass er in Vietnam ebenso unterrichtete und der Hegel Gesellschaft bevor stand. Er machte sich einen Namen mit einer Interpretation von Hegel als auch was er zu Hegel schrieb. Gegenüber den Studenten nahm er eine typische Manager-Haltung ein, insofern er den Unruhen und insbesondere den dogmatischen Marxisten mit der Forderung konfrontierten, "sie müssen sich ausweisen" ob überhaupt imstande philosophische Texte zu lesen und zu interpretieren. Dieser geistige Ausweis kann durchaus mit der Funktion eines Ausweises das die Polizei jederzeit von einem abverlangen kann, um sich auszuweisen, gleich gesetzt werden. Es verkörpert eine Reaktion die nach 1968 unter den Professoren einsetzte und zum Beispiel sich im 'Bund der Freien Wissenschaften' nieder schlug. Henrich war sehr akribisch betreffs der Text Interpretation insbesondere von Hegel, und ergänzte, wenn nicht übertraf darin regelmäßig Theunissen wenn die beiden zusammen einen Seminar abhielten. Henrich erinnerte mich an die Macher-Generation meines Onkels die durch den Krieg kamen und mit Intelligenz es verstanden sich in der Nachkriegszeit zu behaupten.  

Fulda

Die schweigende Figur im Hintergrund mit sehr eingeschränktem Verstand für was die Philosophie dringend nötig hätte: einen Hauch an menschlicher Realität. Fulda war auch derjenige der meinen Vorschlag zur Dissertation mit folgender Ablehnung antwortete: "ich bräuchte die Realität, und das Institut könne mir nicht das anbieten." Als ich meine Dissertation an der Freien Universität abgeschlossen hatte und ihm schrieb ob er jetzt bereit war den kritischen Dialog aufzunehmen, erhielt ich keine Antwort.

Tugendhat

Wikipedia berichtet nicht, dass er am Heidelberger Seminar unterrichtet hatte, sondern lediglich am Max Planck Institut in Starnberg war. Gewiss, er war da gemeinsam mit Habermas und Weizsäcker für fünf Jahre gewesen, doch das Institut scheiterte aus mehrfachen Gründen. Tugendhat ging ebenfalls an die Freie Universität von Berlin wo er gemeinsam mit Theunissen Kurse zu Hegels Rechtsphilosophie gab. Doch er war auch in Heidelberg. Deutlich erinnere ich mich an den ersten Abend als die Studenten in auf informeller Ebene begegneten und er ihnen bereits seine nachdenkliche Denkweise in kleinen Gesprächen vermittelte. Dieser bedachte, oft zurückhaltende Mann voller analytischer Schärfe gab dem Heidelberger Seminar eine andere Vermittlung von Philosophie. Ausgehend vom Kernansatz, nicht Worte für sich seien verstehbar, sondern nur ganze Sätze, versuchte er sich und den Studenten in seinem Umkreis vom dominierenden Jargon Heideggers und von einer Begriffslogik des Deutschen Idealismus zu befreien. Es gelang ihm nur halbwegs eben weil Theunissen mit seiner Text Exegese und Henrichs Hegel Kenntnisse die Sprache in den Seminaren bestimmten und es schien als wolle er oftmals bei all diesen Finessen nicht mithalten. Es lag aber auch daran dass seine sprachlich vermittelten Einwänden nicht als deutlicher Widerspruch rüber kam. Er beließ allzu viel bei bloßen Denkansätzen und wenn er einmal ausholte, so verlor er sich in der Muse des Nachdenkens und riskierte zusätzlich den Zusammenbruch seiner vorgestellten Komplexität des Sachverhaltes.

Theunissen

Am Heidelberger Seminar waren sämtliche Diskussionen eher Text-Exegesen als eine auf Probleme außerhalb der Philosophie und der Universität ausgerichtete Denkschule. Nach der Studentenrevolte von 1968 kam es auf Universitätsebene zu einer interdisziplinären Entwicklung. Vermutlich wird das in der Aufarbeitung dieser Zeit oftmals übersehen, aber es galt die geistige Zusammenarbeit. So gab es am Philosophischen Seminar Kurse die sowohl von Philosophen als auch von Psychiatern gleichzeitig bestritten wurden, ähnliches geschah in anderen Fachbereichen z.B. Historiker und Kunsthistoriker taten sich zusammen. Einmal wurde der Zeitbegriff bei Heidegger und bei schizophrenen Patienten untersucht und im Kurs kamen sie zum Schluss beide hätten eine große Ähnlichkeit.

Theunissen folgte einem Trend an der Universität und widmete sich der philosophischen Exegese der Texte von Marx. Natürlich gab es die dogmatischen Marxistischen Gruppen die den Unterricht zu stören drohten, aber Theunissen hatte geschickt Andreas Wildt zum Vermittler eingesetzt, so dass der Austausch zwischen dem Philosophen und den Studenten doch dem Verlauf nach getreu der Text-Interpretation stets allem die politische Sprengkraft beraubte. Das wurde so geschickt gemacht, dass es fast keinem diese Neutralisierung auffiel. Vom Arbeiter selber war kaum die Rede außer im abstrakten Selbstbezug und dann wurde er nur als Begriff wie jeder andere auch abgehandelt. Diese Systematische Immanenz bestimmte dann die Logik ohne das diese Rechenschaft über sich selber ablegen musste. Darum wurde eher ein bürgerliches Wissen vermittelt. Verstärkt wurde das Ganze weil in Heidelberg so etwas nicht nur an der Universität gelehrt wurde, sondern die gesamte Atmosphäre bedeutete es wurde in dieser selbstbezogenen, gleichfalls abstrakten Vermittlung von Philosophie und Anschein von praktischen Wissen gelebt. Da weit ab von der gesellschaftlichen Realität konnte vieles vergessen oder ausgeklammert werden, obwohl das Industrieviertel in Mannheim sehr leicht mit der Straßenbahn oder dem Regionalzug zu erreichen war. In Heidelberg selber gab es das Heidelberger Zementwerk aber ansonsten waren es eher die vielen wissenschaftlichen Einrichtungen die das Gebilde der Stadt bestimmten. Vieles davon spielte sich allerdings im Kontrast zwischen den dahin schlendernden Touristen auf der Hauptstraße in ihrer Suche nach Spuren des Studentenprinzen und der ganz anderen Welt in den Seminaren ab. Manchmal wirkte das wie ein Schock doch Theunissen schien das gar nichts auszumachen. Er runzelte die Stirn, hob seine Finger zum Vorderkopf, um dann seine gedanklichen Erörterungen nochmals anhand von einem Reichtum an Wissensbezügen zu belegen. Theunissen hatte aber definitiv Angst vor mir, konnte ich doch seine Seminare nach belieben mit kritischen Fragen sprengen. Ich brauchte nur meine Stimme zu erheben, um den geregelten Diskurs der im Seminar praktiziert wurde und stets Theunissen fast ungefragt sämtliche Interpretationsbefugnisse gab. Ich tat es wenn mir seine Interpretation nicht passte oder er einer wirklichen Antwort schuldig blieb. 

Gadamer

Adorno und die Frankfurter Schule spielte am Heidelberger Seminar nicht solch eine entscheidende Rolle denn der Einfluss von Gadamer und seiner Hermeneutik enthalten im Grundtext 'Wahrheit und Methode' war allzu stark. Es war um so befremdender dass Rüdiger Bubner nach seiner Habilitationsrede den Lehrstuhl von Adorno an der Frankfurter Universität erhielt. Gadamer hatte überall Einfluss und galt praktisch als Papst der Philosophie in Deutschland. Als Heidegger Schüler gab er zu verstehen warum er Heidegger so sehr bejahte, eben weil er von ihm lernte endlich seinen eigenen Vater argumentativ zu schlagen. Gadamer schien dabei nicht zu reflektieren, was Michel Foucault damit meinte als folgendes formulierte: "man redet nur dann mit dem anderen wenn man keinen Sieg nötig hat!" Die Jugendrevolte in Deutschland hatte immer ihre gefährliche Seite, leitete sie doch den Faschismus ein. Statt den Dialog zwischen den Generationen zu fördern, war das Schlagen des Vaters faktisch was auch Derrida meinte als er im Streit mit Foucault sich dazu bekannte, dass eines Tages der Sohn zurück schlagen würde. Diese falsch verstandene Revolte der jüngeren Generation unterstrich allerdings was viele Söhne wegen ihren autoritären Vätern erlitten, und was wiederum bei Foucault vortrefflich zum Ausdruck gebracht wird, wenn er in 'Wahnsinn und Gesellschaft' darauf verwies, dass "der Vater nicht mit dem Sohn redet, sondern ihn zum Vernunft-Repräsentanten, den Psychiater, delegiert." Die Vernunft und der Wahnsinn bildeten das Schisma des neunzehnten Jahrhunderts und lieferte die einfache Definition, wer nicht der Vernunft entspricht, der sei krank. Diese Negation des anderen, sprich der Sohn der seine Unabhängigkeit von seinem Vater erlangen will, machte das Leiden vieler berühmter Männer aus. Viele Söhne litten wegen eines Vaters, und so kam es zu jener von Gadamer beschriebenen Revolte, aber mit den verheerenden Folgen.

Bertrand Russell hat in seinem Aufsatz "Die Väter des deutschen Faschismus" gesagt, während des Ersten Weltkrieges wurde offensichtlich dass die Technologie eine enorme Machtausübung über die Massen von Menschen erleichtern würde. Folglich stürzten sich viele hoch intelligente Männer nach dem Krieg in die Forschung, doch sie hätten allesamt einen Fehler, nämlich keine Ethik.

Gadamer selber verschwieg seine umstrittene Rolle als Direktor eines Gulag ähnlichen Lagers für Wissenschaftler im Zweiten Weltkrieg. Seine Haltung zu Hitler ist nirgendwo belegbar, aber wenn er als Direktor der wissenschaftlichen Forschung diente, dann kommt er nahe dem was Reid in seinem Buch übers Gewissen der Wissenschaftler beschrieb. Sie hatten nämlich das Gewissen neutralisiert und sogar ganz und gar negiert.

Gadamer sagte mir dass Paul Celan drauf und dran wäre die Deutsche Sprache zu zerstören. Erstaunlich ist um so mehr sein Buch über Paul Celan das mit dem Titel 'Flaschenpost zu verstehen' versehen ist. Paul Celan berührt unmittelbar die Aussage von Adorno dass nach Auschwitz keine Poesie mehr möglich sei. Doch Gadamers Auffassung von der deutschen Sprache ging weiter. Er behauptete jemand der das Wort 'ganz' nicht richtig zu verwenden wüsste, der würde auch nicht die ganze deutsche Sprache verstehen. Noch mehr Gadamer zeigte seine Platonische Haltung insofern er einen Unterschied zwischen gewöhnlichen Menschen und den Gelehrten zog, insofern Erstere nur vom Kopfschmerzen ob nun stark oder schwach sprachen, konnten Letztere sich sehr differenzierter artikulieren. Das hieße selbst körperliches Selbstbefinden macht deutlich den Klassenunterschied in der Gesellschaft. Kein Wunder warum Gadamer so sehr bei den gehobenen Schichten der Bundesrepublik beliebt war.

Vor allem sämtliche Schriften von Kant und von Hegel wurden akribisch studiert. Manchmal ging es über zwei Semester, und doch war man nicht weiter gekommen als diese eine Textstelle z.B. der Satz des Widerspruchs bei Hegel. 

Wunderbar war die Bibliothek des Heidelberger Seminars da auch Sonntags geöffnet und weil unmittelbar gegenüber einer Kirche gelegen, konnten die Studierenden stets den Chor und den Gottesdienst nebenan mit anhören. Solch eine 'heilige Stimmung' beschreibt leicht die Atmosphäre von Heidelberg, insbesondere wenn die Töne dem Berghang zum Schloss rauf stiegen.

Im ersten Kurs bot ich den Studenten an Michel Foucaults 'Wahnsinn und Gesellschaft' zu behandeln. Der Text enthält wichtige, zugleich Programm-ähnliche Sätze z.B. "wir müssen die Orte des Schweigens ausfindig machen, noch ehe der lyrische Protest sich darüber verdichtet." Seitdem schauen ich mir Gedichte entsprechend anders an.

Foucault zeigt auf welche strukturellen Widersprüche es in der Psychiatrie seit langem gibt z.B. wenn der Arzt Pinel die Psychiatrie reformieren will und die Anordnung gibt dem schrecklichen Mann seine Ketten abzunehmen, doch das Personell fürchtet sich davor, doch Pinel beschwichtigt sie und verlangt nur seinen Ratschlag zu folgen. Der lautet auf keinste Weise auf den Mann zu reagieren wenn einmal die Ketten abgelegt sind. Ohne die Ketten kann er den Menschen keine Angst einjagen. Binnen zwei Wochen ist er ein gebrochener Mann denn ohne 'Feedback' auf seine wilden Gesten wird er sprachlos und verliert an Identität. Es ist bezeichnend dass eine philosophische Fakultät nicht einmal dieses Problem erkannt hat, geschweige sich Gedanken macht darüber was Anerkennung des anderen als Menschen alles beinhaltet. Anerkennung spielt eine enorme Rolle in Hegels Rechtsphilosophie, aber so weit kamen die Seminare in ihren Abhandlungen nicht. 

Überraschend, doch wegen der Thematik nicht ganz unerwartet, war die Teilnahme am Kurs von einer Gruppe aus dem versprengten Sozialistischen Patienten Kollektiv. Unter ihnen befand sich eine junge Frau die unter Epilepsie litt aber getreu dem Prinzip des SPK sich weigerte irgendwelche Medikamente zu nehmen. Sie fixierte sich ziemlich stark auf mich, so dann war es schwer eine Distanz zu bewahren. Eines Tages hatte sie einen leichten Anfall im Seminar. Nach diesem Vorfall bat ich die Gruppe mal bei mir zuhause die ganze Situation zu besprechen. So sahen sie später ein als der nächste Anfall kam, dass es doch notwendig war sie ins Krankenhaus in Mannheim zu bringen. Die Angst vor der Institution schien dabei eine geringere Rolle als zuvor zu spielen.

Epilepsie ist eine schwer zu erklärende Erkrankung. Dostojewski hat sie insbesondere im 'Idiot' beschrieben, litt er doch selber darunter. Er meinte der Idiot würde davon befallen weil er sich ständig der Liebe ausschloss, während er imstande war gerade wegen seiner allgemeinen Menschenliebe andere Menschen zusammen zu bringen. Immerzu der Dritte zu sein, kann also zu solchen Spannungen beitragen die nicht mehr nervlich auszuhalten sind.  

Michel Foucault mit 'Ordnung der Dinge' verlässt die formale Philosophie und bringt wieder den Inhalt zur Sprache. Auf Französisch heißt der Text 'Les Mots et Les Choses'. Ausgehend von Vicos Geschichtsauffassung bespricht er am Anfang das Bild von Velasque, das Hoffräulein oder »Las Meniñas« (1656) um den Machtzerfall des Königs  und dessen Ordnung zu deuten.

Michel Foucault, Geburt der Klinik

Michel Foucault, Überwachen und Bestrafen

Michel Foucault, Phänomenologie der Sexualität

Derrida, die Schrift und die Differenz - Spannung mit Foucault

Kosseleck, Politische Ikonographie und die Reise nach Verdun zwecks Untersuchungen von Kriegsdenkmälern

Philosophie der Mathematik

Biologie: Zufall und Notwendigkeit

Der Philosophenweg und Hölderlin

 

I Mensch und seine Methode

II Die innere Reflexion des sozialen Seienden

III Philosophie des Schreibens

Hierzu muss einiges gesagt werden weil schade dass diese Arbeit nicht von den Professoren am Heidelberger Seminar angenommen wurde. Prof. Fulda sagte zur Begründung der Ablehnung, ich bräuche Realität, aber das Institut könne so etwas nicht anbieten.

Siehe

Ass. Prof. am Schiller College

Jean Paul Sartre und die Dialektik der Phantasie - die Geschichte vom Regentropfen von Doug, einem Studenten, und Doina Popescu als einer der ersten Studentinnen die später Kulturleiterin im Goethe Institut in Toronto wurde.

Arbeit an der Psychiatrie und die Anwendung des Konzeptes der Psyche Pädagogik, indem ich Englisch Unterricht für Patienten der geschlossenen Abteilung gab.

Forschungsarbeiten betreffs Karl Jaspers Grundlehre zur Psychiatrie und die Nazi Vergangenheit von Ärzten

Am Philosophischen Seminar gab es eine Abhandlung des Zeitbegriffes bei Heidegger und schizophrenen Patienten wobei festgestellt wurde beide hätten ähnliche Merkmale.

Dreijährige Psychoanalyse von Manfred Schlick, Lastwagenfahrer - Aufzeichnungen als Gedächtnisprotokoll

Ich nahm kurzfristig eine Arbeit bei DANZAS in Mannheim. Das hieß Lastwagen end- als auch zu beladen. Oft machten wir Überstunden. In den Pausen lernte ich die Arbeiter kennen. Einer schrieb Gedichte und machte sich täglich Notizen. Oft wunderten sie sich bei so vielen Schuhen die wir abladen mussten, wer all das kaufen würde. Das Denken schien dieser Übermacht an Qualität kaum noch gewachsen zu sein. Doch interessant war schon welche Fragen sie sich stellten, um die Wirtschaftsordnung bzw. die Marktgesetze zu begreifen.

 

Hans Haufe, Kunsthistoriker, hängte aus Protest gegen den Einmarsch der Warschauer Truppen in Prag August 1968 als Dadaist beim Eingang zum Schlosspark in Dresden einen Friedensengel auf. Der bestand aus Schweinekopf, die Flügel einer Gans. Er wurde sofort von der Stasi gesucht. Hans entkam als er über die Donau schwamm indem er Zweige nutzte um sich als Hirsch zu tarnen. Als Kunsthistoriker unternahm er etliche Reisen nach Mexiko und berichtete von dort welch einen Reichtum manche Banditen gesammelt hatten. Er pflegte im Studentenwohnheim alles mögliche oftmals zum leichten Ärger seiner Mitstudenten anzuregen. Wie viele die aus der DDR in den Westen gekommen war, kannte er Unterschiede die wir nur im Westen sozialisierten Studenten kaum nachvollziehen konnten. Gemeinsam mit Bernd unterhielten wir uns oft über diesen Unterschied oder was getan werden kann um die Unfreiheiten in der DDR zu beheben.

Bernd, der Mathematiker der ein Auge im Gefängnis der Stasi verloren hatte, ging oft nach Ost Berlin um dort mit FDJ Mitgliedern auf dem Alexanderplatz zu diskutieren. Sein Vater hatte eine enge Verbindung zur obersten Riege der SED, sodann war seine Kritik an der DDR zugleich scharfsinnig als auch persönlich. Er war ein sehr guter Mathematiker und liebte Gespräche in kleiner Runde.

Pawel, der Rechtsanwalt aus Prag der das Medizinische Studium aufnahm und stets fragte, "was ist?"

Christina Holste lernte ich auf der Fahrt nach Verdun kennen als wir Kriegsdenkmäler untersuchten. Sie ging viel früher nach Berlin wo ich sie in 1976 besuchte, und Dank ihr besuchte das Theaterstück 'Hölderlin Lesen' inszeniert von Michael Krüger an der Schaubühne als die noch am Hallischen Ufer war.

Christa Kleinbub-Dunkl

Thomas Kesselring kam aus der Schweiz, genauer aus Bern. Seine Dissertation verglich Hegel mit Piaget. Letzteren hatte er gekannt und sogar in Bern in seinem VW Käfer mitgenommen. Thomas war ein leidenschaftlicher Höhlenforscher. Eine Tages gab er bei mir zuhause einen Dias-Vortrag wodurch einem bewusster wurde was es wirklich heißt unter die Erde zu gehen. Thomas selber verglich Höhlenforschung mit dem Lesen philosophischer Texte denn in beiden Fällen brauchte man ein genaues Gedächtnis um den Weg wieder herauszufinden. Eines Tages erlebte ich etwas merkwürdiges. Thomas und ich waren im öffentlichen Bad von Heidelberg schwimmen gegangen und befanden uns bereits im Wasser als wir Theunissen sahen. Er war im Begriff am anderen Ende des Beckens mittels einer Leiter ins Wasser zu gehen. Thomas kletterte sofort aus dem Schwimmbad weil es für ihn unvorstellbar war im selben Wasser mit dem Professor zu schwimmen. Er hatte solch eine Ehrfurcht vor dem Professor. Interessanterweise wurde er Assistent von Theunissen nachdem jener an die Freie Universität in Berlin gegangen war, aber anscheinend erlitt deren Beziehung einen Bruch. Thomas war grundehrlich und aufrichtig was immer er betrieb und in der Philosophie sehr genau, wenn auch oftmals sehr trocken. Zuletzt hat er versucht eine Brücke zwischen dem Gerechtigkeitsbegriff wie von der Philosophie verstanden und behandelt und der globalen Entwicklungspolitik zu bauen. Siehe

Thomas Kesselring

Ethik der Entwicklungspolitik

Gerechtigkeit im Zeitalter der Globalisierung. Ethik im technischen Zeitalter

 

1972

Besuch von Philippine Herring, Künstlerin und Querflöte Spielerin. Gemeinsam mit Rudolf Gorbach machte sie ein Kinderbuch wo im Regal zu lesen sind Hatto Fischer Spiele.

Das Schicksal des Sozialistischen Patientenkollektivs und die Rolle von Theunissen als Vorsitzender der Heinrich Heine Gesellschaft indem er die Finanzierung für das SPK entzog und damit deren Kollaps aber auch polizeiliche Verfolgung provozierte.

Ich war in München um die Olympischen Spiele zu erleben, denn das war ein alter Traum von mir gewesen als ich in Kanada noch der 4-Minuten Meile immer näher kam doch dann wegen einer Knie-Verletzung und folgenden Operation am Minuskel jäh unterbrochen wurde. Dann kam es zur Geiselnahme. Acht Mitglieder der palästinensischen Terrororganisation „Schwarzer September“ nahmen elf Athleten des Israelischen Olympia-Teams als Geiseln und fordern die Freilassung von 232 Palästinensern. Die Geiselnahme endet mit einer gescheiterten Geiselbefreiung auf dem Flugplatz Fürstenfeldbruck, bei der alle Geiseln, fünf Terroristen und ein Polizist starben. Genau dieser Link zwischen Deutschland und Israel wurde dadurch auf die höchste Probe gestellt. Seit dem Holocaust beeinflusste eine aktive Versöhnungsabsicht die deutsche Außenpolitik und ließ sie auf Grund eines Schuldkomplexes einseitig gegenüber den Interessen der Palästinensern sein. 

1973

Nach dem Putsch von Pinochet und Allendes Tod in Chile Mitglied des Chiles Komitees und der Besuch von Konrad von Finckenstein

Es fand statt eine Studenten Revolte gegen die griechische Militärdiktatur an der Polytechnik in Athen. Das bildete den Anfang des Sturzes des Regimes was dann in 1974 folgte.

1974

Die Reise nach Paris per Anhalter und zu Fuß um Adornos Beschreibung der Impressionisten in Jeu de Pomme nachzugehen. Einmal da, unterhielt ich mich einen ganzen Tag lang mit einem Maler der eine Kopie von Renoirs Frau auf der Schaukel malte. Er sagte Renoir sei so schnell mit seinen Pinselstrichen durch geeilt, dass er gar nicht die genialen Grundzüge genießen konnte. Das kann er aber jetzt tun.

 

Französische Literatur

Viktor Hugo, die Elenden

Rousseau, Emile (in Verbindung zu Kants philosophischen Auffassungen) - die Frage nach Spracherwerb wenn völlig losgelöst von der Gesellschaft, das Kind nur in der Natur aufgewachsen ist. In Deutschland wurde diese Thematik durch die Verfilmung von Kaspar Hauser angesprochen.

Flaubert, Madame Bovary - auch wenn es die dreißigste Frau ist die zum Mann sagt, sie würde ihn lieben und er hat das so oft schon bevor gehört, schreibt Flaubert im Roman dann sind noch immer die Gefühle, die hinter dieser Form stehen, andere als jegliche andere Frau die ihn zuvor und danach mit Liebe umworben hat.

Proust, Suche nach der Verlorenen Zeit - die Verbindung zum Jardin du Luxemburg in Paris

Samuel Beckett wegen Adornos Abhandlung das Endspiel zu verstehen

Peter Weiss, Marat-Marquis de Sade und im Zusammenhang damit Simone de Beauvoirs Abhandlung der Gewaltfrage und Sexualität

Gaston Bachelard, La Poétique de l’éspace. Paris 1957; dt. Ausgabe: Die Poetik des Raumes. Übers. von Kurt Leonhard. Hanser, München 1975. (als Taschenbuch: Fischer, F/M 1997. [fi 7396])

Jean Paul Sartre und sein umstrittener Besuch in Stammheim am 4.Dezember 1974, siehe Wolfgang Kraushaar SARTRE IN STAMMHEIM, Lettre Frühjahr 2008, https://www.lettre.de/content/wolfgang-kraushaar_sartre-stammheim

1975

Nachdem ich auf einer Konferenz zur Philosophie der Wissenschaft nahe zu Genua war und da Carlo Penco kennen lernte, er mich wiederum in Heidelberg besuchte, reifte heran die Entscheidung nach Genua zu gehen. Nach drei Jahren Aufenthalt in Heidelberg brauchte ich Realität, denn das ganze Leben in dieser Universitätsstadt glich einer Glasglocke unter der das 19.Jahrhundert präserviert wurde.

 


Zuerst Genua, dann Europa  1975 - 77

Nach drei Jahren Heidelberg konnte ich nicht mehr diese Atmosphäre aushalten. Es schien mir als hätte ich unter einer Glaskugel gelebt und wurde dabei vollkommen von der Realität abgeschnitten. Das Bedürfnis endlich mal raus in die Welt hatte sich so sehr gesteigert, dass ich kurzerhand mich nach Genua aufmachte, um dort bei Carlo Penco und Anna in deren Wohngemeinschaft mal zu leben.

- Russell Tribunale

- Psychoanalyse

- Anna und Basaglia

- Studie des Hafens von Genua

- die Altstadt von Genua und ihre Geschichte

Zurück nach Heidelberg, aber nur vorübergehend - die Theologen die Seelensorge im Gefängnis machen und der Psychosomatische Arbeitskreis um Dr. Hübschmann.

Die Arbeit über die Sozialpolitik in Frankreich / in Erinnerung an Prof. Glass an der LSE

Nach England und die Studie der Landwirtschaft die zu einem industriellen Betrieb gemacht wurde und darum ließen sich all die Probleme voraussagen, die dann später die englische Landwirtschaft heimsuchten.

Zurück in Heidelberg und der Mannheimer Parteitag der SPD: Werte Wandel in der Bundesrepublik und das Aufkommen von Helmut Schmidt.

Die Weiterentwicklung der katholischen Akademie nicht nur in München sondern auch ihre Präsenz in Hamburg.

Die Arbeit im Sommer an der Kieler Förde für die Arbeiterwohlfahrt und die Kinderzeitung mit dem Namen 'Käseblatt'.

Ulrike Roth und die Greif Apotheke am Dreiecksplatz in Kiel

Das Leben an der Förde und das Kieler Wirtschaftsinstitut wo Jokel arbeitete.

Die Arbeit in der geschlossenen Abteilung der Psychiatrie in Hamburg - die Einsamkeit des Alkoholikers und Hermann Brochs Roman 'Esch, oder die Anarchie'.

Studie von Marx während dieser Zeit in Hamburg

Das solide Fundament für eine Philosophie: der Bibliothekar der philosophischen Fakultät an der Universität von Hamburg, Abteilung Philosophie.

Die Wohngemeinschaft in Eppendorf und die Ärztin, aber auch Eberhard Geisler der später zum Spezialist der katalanischen Sprache und Kultur wurde.

Die Nachricht aus London glich einer Harpune die mich in der Seele traf.

 

Religionswissenschaftliche Institut an der Freien Universität von Berlin 1977 - 80

Als ich nach Berlin kam, ging ich zuerst ins Otto-Suhr Institut und sprach mit Prof. Göhler. Der gab mir den wertvollen Rat, wenn ich schon Interesse an Michel Foucault u.a. habe, dann soll ich doch mal im Religionswissenschaftlichen Institut vorbei schauen, denn dort gäbe es Leute die eine ähnliche Interesse hätten. Als ich dann das Institut aufsuchte, und beim Verlassen eine Notiz bemerkte, dass die Stelle für einen studentischen Tutor frei war, bewarb ich mich und nach einem Vorstellungsgespräch wurde ich von den Studenten als Hoffnungsträger ihrer Politik gewählt. Als sich dann sehr bald heraus stellte, dass ich mich nicht von irgend einer Gruppe instrumentalisieren lasse, begehrten Studenten auf und wollten mich wieder absetzen. Hier dann zeigte zum ersten Mal Klaus Heinrich seine wahre demokratische Haltung denn am Institut herrschte die Viertelparität. Es war eine einmalige Verfassung die jedem ein Stimmrecht gab, und zwar den Professoren eine, den Assistenten eine, den Sekretärinnen eine und den Studenten eine. Aber er wehrte sich zugleich gegen Gruppen-Terrorismus wenn alle gegen einen sich vereinigen. So konnte ich am Institut für drei Jahre bleiben. Es war meine erste und einzige permanente Stelle mit einem festen bzw. regelmäßigen Einkommen.


WS 1977/78

11 869 T

Zur Dialektik der Säkularisierung: Gewissenskonflikte und Geschichte (zur Bedingtheit sozialer Probleme im 20.Jahrhundert)

 

11 870 S

Kinderpädagogik und Psychoanalyse: Religionsbegriffe bei Kindern

SS 1978

11 870 T

Moderne Gebrauchsmusik und das Problem zeitgenössischer religiöser Erfahrungen

 

11 871 S

Eurokommunismus und die Religion handhand von Beispielen in Polen und Italien (zum Kirche-Staat Verhältnis)

WS 1978/79

11 871 T

Zu den epistemologischen Grundlagen einer politischen Philosophie (von Piaget zu Foucault)

 

11 872 T

Gebrauchsmusik und religiöse Erfahrungen, Teil II (Spuren im Sand und Töne aus dem Wind)

SS 1979

- T

Dostojewski und die Frage nach der Säkularisierung in seinem Roman „Die Brüder Karamasow“

 

- T

„Die Frau in der Philosophie“: Neue Erkenntnisse der Frauenbewegung und ihr sprachliches Selbstverständnis

 

- S

Philosophie und Erkenntnistheorie seit Kuhn (I)

WS 1979/80

11 856 T

Die Handlungs- und Artikulationsschwierigkeiten der Arbeiter und Arbeiterinnen in der Bundesrepublik Deutschland und Italien

 

11 857 T

Materialismus Problem und Erkenntnistheorie, Teil II: Das Dilemma von Philosophie, Naturwissenschaften und Interdisziplinarität

Dialektik der Säkularisierung ist ein spannendes Gebiet, zumal das Institut der Religionswissenschaften noch ergänzende Sujets anbot u.a. Kolonialisierung des Subjekts, Vernunft und Recht, Psychoanalyse, usw. Hinzu kam dass die Religionswissenschaften das Haus mit den Islam Wissenschaften teilte, und zu einem fruchtbaren Dialog über das verstärkte Aufkommen des Islams beitrug. Stets beschäftigte mich die Grundthese erst die Differenz von Kirche und Staat ließe dem einzelnen die Gewissensfreiheit, um sich selber frei entscheiden zu können. Aus diesem Grunde bot ich u.a. in einem Seminar ein Vergleich des Kirche-Staat Verhältnis zwischen Italien und Polen an. Gleich zu Beginn des Seminars wurde ich stark von fragenden Augen einer wunderschönen Frau angesprochen. Ich stellte eine Studienreise entweder nach Italien oder nach Polen zur Wahl. Sämtliche Studenten mit Ausnahme dieser wunderbaren Frau waren für eine Reise nach Warschau. Folglich blieb sie von dann alle weiteren Seminar-stunden fern.

Vergeblich hielt ich Ausschau nach ihr bis wir uns zufällig ein Jahr später, inmitten eines eiskalten Winters mit viel Schnee, auf dem Weg zum Institut in Dahlem begegneten. Wir tauschten Adressen aus. Sie schrieb mir auf einen Zettel ihren Namen und Adresse. Sie lautete Knesebeckstr. 17. Als ich sie bald darauf dort aufsuchen wollte, fand ich keine Klingel mit ihrem Namen. Das war noch die Zeit des Steckdurchschlosses und somit keine Möglichkeit in den Hinterhof, wo sie wohnte, zu gelangen, falls nicht jemand zufällig entweder rein ging oder raus kam. Einmal drinnen suchte ich vergeblich eine Wohnungstür mit ihrem Namen. Erst viel später klärte sich das auf als sie mich in meiner Wohngemeinschaft auf der Zeughofstraße in Kreuzberg aufsuchte. Sie wohnte praktisch illegal in der Wohnung einer Freundin und hatte die Furcht von der Vermieterin entdeckt zu werden. Das war Rosemarie. Nach ihrem Kommen nach Kreuzberg zog ich zu ihr. Bis heute ist mir eine Wohnung in der Knesebeckstr. 17 erhalten geblieben. Was aus dieser Beziehung zu Rosemarie wurde, nun, das ist eine andere Geschichte. Damals schrieb sie ihre Magister Arbeit ebenfalls bei Agnoli und behandelte ein Thema das uns immer häufiger nach Griechenland nahm.

Die Reise mit den Studenten nach Warschau war milde gesagt mehr als nur Ereignis-reich weil Eduardo Substritas, Philosoph aus Katalonien, dabei war und wir das Glück hatten enorm wichtige Kontakte während unseres Aufenthaltes Dank meiner bereits bestehenden Verbindungen machten u.a. mit Vertretern von KIK, die Organisation junger Katholiken die den einflussreichen Intellektuellen sehr nahe stand. Damals gab es bereits ein Vorläufer zu Solidarnosc, nämlich die Fliegende Universität, die ich später, während den Jahren als das Kriegsrecht in Polen ab Dezember 1980 herrschte, ebenfalls in Berlin für vier Jahre zu einem festen Bestandteil machte. Jeden Freitag Abend gab jemand in meiner Knesebeck Wohnung einen Vortrag worauf dann eine lebhafte Diskussion erfolgte. Die Idee dahinter war vor allem Studenten den Rücken zu stärken so dass sie sich trauten in den Seminaren Fragen zu stellen. Eine Voraussetzung dafür und um Mut zu schöpfen war meiner Ansicht nach eine Erfahrung der Differenz zwischen Dialog und Diskurs. Nach jedem Vortrag und Diskussion fertigte ich ein Gedächtnis-Protokoll an, um als Vorlage für die nächste Diskussion zu dienen. Dadurch war eine gewisse Kontinuität gesichert.

Auf Universitätsebene zeichnet sich eine neue Entwicklung ab. In der Zeitchronik wird folgendes angegeben:

Im Mai 1976  wurde der Professor für Vergleichende Literaturwissenschaft, Eberhard Lämmert, zum neuen Präsidenten der FU gewählt. Zugleich formierte sich der Bund der Freien Wissenschaftler als Gegengewicht zum Einfluss insbesondere marxistischer Gruppen an der Universität. So lautet der offizielle Text zu Lämmert, er sei aufgeschlossen für die bildungs- und gesellschaftspolitischen Forderun­gen der "68er"-Studentengeneration und hat wesentlichen Anteil an der Reformierung der Lehrinhalte und des Seminarbetriebs. Außerdem wendet er sich gegen politische Überprüfungen im Öffentlichen Dienst ("Radikalenerlass"). Lämmert amtierte als Präsi­dent bis 1983.

Gleichzeitig vertiefte sich der Streit zwischen Taubes und Heinrich. Eines Tages fragte mich Klaus Heinrich ob etwas an diesem Vorwurf dran sei. Taubes warf Heinrich vor er würde seine Studenten wie Jüngere um sich versammeln und das hätte bereits faschistische Züge. In der Verherrlichung eines Professors ist immer etwas wahres dran, meinte ich.

Klaus Heinrich entschied sich dann für Zinser als Nachfolger fürs Institut, doch daraus wurde eine herbe Enttäuschung für Heinrich. Zinser kannte sich im Kleinkrieg an der Universität seit der Studentenbewegung aus und vermutlich fiel deshalb die Wahl auf ihn. Doch da gab es noch einen anderen Grund. Anscheinend hatte Zinser seinen wahren Familiengrund verschwiegen, was um so schwerer wiegte weil es ein gegenseitiges Vertrauen stark einschränkte. Zwar sagte Derrida über sein Verhältnis zu Michel Foucault, irgendwann kommt die Revolte des Sohnes, aber es wird gemunkelt Zinser hätte doch das Heinrich anvertrauen sollen. Der Grund hat nicht nur wegen der Kritik von Taubes zu tun, sondern weil Heinrich nach einem fünf jährigen Kolloquium zur Faschismus Problematik doch die Kontinuität dieser Arbeit sichern wollte. Schließlich hatte er daraus die Schlussfolgerung gezogen, der Faschismus sei nicht in 1945 besiegt worden, sondern habe gelernt sich besser zu maskieren. Als Autor von "Die Schwierigkeit 'Nein' zu sagen" hatte Klaus Heinrich bereits einen praktischen Umgang mit Faschisten angedeutet. Es sei eine Kunst Nein zur Aktion, sei das Selbstzerstörung oder Mord eines anderen Menschen, zu sagen, aber nicht Nein zur ganzen Person. Dahinter steckte eine bürgerliche Vorstellung von Bündnispolitik und möglicher Versöhnung. Heinrich orientierte sich ohnehin an Paul Tillich der für sein Buch "die Sozialistische Entscheidung" bekannt war.

Am Institut wirbelte ebenso Rene Schlesier die Sigmund Freud wegen dessen Haltung gegenüber Frauen aufs Korn genommen hatte.

Ferner lernte ich den Griechen Spyros Bokos kennen als er dabei war aus spontaner Wut auf das Institut und die Verschleppung seiner Dissertation einen Schneeball einen Schneeball in Richtung Türeingang schmetterte. Spyros wollte epistemologische Arbeit machen indem er den Gesundheitsbegriff seit dem zweiten Jahrhundert durch die Geschichte verfolgen wollte. Leider beendete er niemals seine Doktorarbeit und lebt heute einsam in einem Heim für ältere Menschen in der Nähe zur Nürnbergerstraße. In seinem Zimmer sind nur Bücher der griechisch orthodoxen Kirche ausgebreitet. Er war schon immer fast ein Mönch aber mit einem kolossalen Wissen was Religion insbesondere der Orthodoxen Kirche angeht.

 

Otto-suhr Institute: politische Philosophie 1980-85

Nach Abgang vom Religionswissenschaftlichen Institut bekam ich einen Lehrauftrag am Otto-Suhr Institut zum Thema "Lehre der Materie bei Ernst Bloch". Fast 80% der Studenten gingen unter die dann aufkommende Hausbesetzer-Szene. Im Nebenzimmer versuchte Eppler etwas zur Entwicklungspolitik zu unterrichten, doch wurde sein Seminar ständig von einer MG - Marxistische Gruppe - gestört.

Es waren schwierige Zeiten in West Berlin. 1981 gewann Richard von Weizsäcker zum ersten Mal als Christ Demokrat das Bürgermeister Amt das einst von Willy Brandt für die SPD ausgefüllt war. Mit der Wahl von Weizsäcker kam Lummer als Innenminister und damit eine harte Linie gegenüber den Hausbesetzern. Die von Vogel gepriesene Vernunft-Linie wurde zugunsten einer harten Konfrontation aufgegeben. Die Demo gegen US Präsidenten Reagan wurde zu einer ganz tägigen Straßenschlacht mit der Polizei nachdem die die Demonstranten mit Nato Draht eingekesselt hatten. Statt einer wirklichen Analyse wurden die Fernsehbilder so sehr manipuliert, bis nur noch die Bilder der Gewalt von selber sprachen. Gleichzeitig begann die Renovierung der Häuser. Das System des Steckdurchschlosses wurde abgeschafft und von Klingelanlagen mit Sprechmöglichkeiten ersetzt. Danach musste keiner mehr runter laufen um die Tür zu öffnen. Außerdem wurden neue Fenster eingesetzt und die Zentralheizung installiert. Diese Verbesserungen bedeuteten einen gewaltigen Anstieg im Mietpreis. Das veränderte nicht nur die Lebensqualität Berliner Wohnungen sondern auch die kulturelle Lebensqualität. Jetzt musste viel mehr gearbeitet werden um für die Miete aufzukommen.

In dieser Zeit schrieb ich meine Dissertation. Die angewendete Methode war eine Gegenwarts-bezogene Geschichtsschreibung wie anhand den Veränderungen im Grundsatz-Programm des DGB festzumachen. Ich hatte bereits in Heidelberg bei Danzas in Mannheim gearbeitet, um die Kluft zwischen der theoretischen Wahrnehmung der Dinge und dem Leben der Arbeitenden zu überbrücken. Parallel dazu verfasste ich eine über drei Jahre dauernde psychoanalytische Studie des Lastwagenfahrers Manfred. Gleichzeitig nahm ich Kontakte mit Gewerkschaften auf als ich besonders in Kiel und Hamburg auf die Werften aufmerksam wurde. Da kam mir die in Genua angefertigte Studie zu den Veränderungen im Hafen von Genua nach Umwandlung von Kargo- zu Containerfracht zugute. Jim Dunn, Gewerkschafter bei Massey Fergusen in Coventry und was sich durch Solidarnosc in Polen gezeigt hatten, halfen mir die These zu den Artikulationsschwierigkeiten von Arbeitenden empirisch zu belegen. Sobald Arbeitende sich bei Solidarnosc engagierten, wuchs deren täglicher Wortschatz von 200 bis 500 Wörtern auf mindestens 2000. Aktive Partizipation und Mündigkeit macht allemal einen Unterschied in Hinblick auf politisches Engagement in aller Öffentlichkeit aus. In Deutschland war aber diese politische Tradition des Widerstands nur sehr schwach ausgebildet.

Einen wichtigen theoretischen Hintergrund gab mir die Analyse totalitärer Sprachen von Jean Pierre Faye. Ausgangspunkt war sein Wunder warum so viele Tat-Kreise plötzlich überall in der Weimar Republik gegründet wurden. Sie folgten dem Grundsatz, Politiker würden nur reden, doch die Menschen wollen Taten sehen. Es gibt auch diesen berühmten, zugleich anrüchigen Satz vom 'er schreitet zur Tat'. Das entspricht einem Heldenepos schlimmster Art. Faye zeigt dann auf wie sich aus diesen Tat-Kreisen eine totalitäre Sprache zu entwickeln begann. Sie bedingt vom einzelnen solch eine vollständige Anpassung, dass dieser Mensch sich zu hassen beginnt weil er allzu viel mit sich geschehen lässt. Er wird wie ein Gewehr mit Hass aufgeladen, so Jean Pierre Faye. Alles was dann nur noch braucht sei ein geeignetes Objekt um diesen Hass zu entladen: der Jude.

Peter Weiss zeigt auf in 'Ästhetik des Widerstands' wie die aufkommende totalitäre Sprache immer mehr seine Mutter schweigen lässt. Sobald nämlich eine Befehls- und darum Gewaltsprache alles zu beherrschen beginnt, werden die Menschen nicht mehr eine Sprache pflegen mittels derer sie imstande wären ihr menschliches Selbstbewusstsein anzusprechen. Das ginge nur laut Marx wenn die Sprache in sich Kategorien der Produktivität und Kreativität zusammen bringt. Ansonsten wäre der Befehlsempfänger ähnlich zum Arbeiter nur einseitig ansprechbar als Soldat bzw. Arbeitender, und die völlig von der Kunst und somit von Erfahrungen der Kreativität abgeschnitten sind. Auch das erklärt bereits Artikulationsprobleme wobei die Grundthese von Ernst Bloch noch hinzu kommt. Bloch meinte Hierarchie sei das größte ungelöste Problem in der Philosophie. Noch mehr, solange Menschen in der Sklaven-Sprache sich verständigen, maskieren sie ihre wahre Motive und verhindern so eine offene Aussprache die auf einer Ehrlichkeit im Sinne von Simone Weil basiert. 

Artikulationsprobleme können nicht auf linguistische bzw. sprachliche Probleme reduziert werden. Denn in der Politik gilt es allemal welch eine Tagesordnung besteht denn nur dann hat jemand das Recht zu sprechen und nur zu diesem Punkt wenn der auf der Tagesordnung steht. Darin liegt begründet eine Form der Anerkennung die das Artikulieren von Gedanken zu einer bestimmten Problematik erleichtert bzw. ermöglicht. Wiederum besagt Blochs Schichten des Möglichen dass dabei Nuancen in der gegenseitigen Verständigung eine enorm wichtige Rolle spielen. Dies ist nur zu begreifen wenn die Lehre der Materie auch den Unterschied zwischen Tag- und Nachttraum aufgreift weil dadurch das Prinzip Hoffnung geltend gemacht werden kann. Hier unterscheidet Bloch ebenso eine begründete Hoffnung von einer unbegründeten. Letztere endet stets in einer maßlosen Enttäuschung während eine begründete Hoffnung wird selbst beim Scheitern ein Weitergehen, also auch ein Lernen aus dem Scheitern bedeuten.

Der Einfluss meiner Zeit am Religionswissenschaftlichen Institut machte sich ebenso bemerkbar insofern ich im Anhang die These von Paul Tillich, Tradition sei ein Mittel den Blick auf die Gegenwart zu verstellen, untersuche, bespreche und rückwirkend mit der These von Cassirer verbinde. Cassirer hebt hervor erst wenn jemand eine freundliche Einstellung gegenüber der Welt hat, gibt es ein positives Denken.

Natürlich neigen Arbeitende stets jenen das Wort zu lassen weil die anscheinend studiert und darum alles besser als sie ausdrücken könnten. Adorno nannte das ein Ergebnis der Erziehung hin zur Unmündigkeit. Zugleich liegt Sonnemann nicht weit davon wenn er Deutschland als das Land der unbegrenzten Zumutung nannte, wobei einer der größten Zumutungen nach 1945 jene war man könne einfach zum normalen Alltag übergehen, so als sei nichts zwischen 1933 und 1945 geschehen.

 

Veröffentlichung der Dissertation 1985 - 87

Nach bestandener mündlicher Prüfung mit fünf Professoren die verschiedene Schwerpunkte abdeckten (Altvater: Wirtschaft; Bolle: Arbeitslosigkeit; Diallo: Ethnologie; Agnoli: politische Philosophie, ...), erhielt ich die Auflage, die 800-seitige Dissertation solle auf 250 Seiten reduziert und veröffentlicht werden.

Isolde Arnold hatte mich bei der mündlichen Prüfung begleitet, und zugleich eine Sekt-Flasche nach bestandener Aufgabe parat. Ihr ist auch die redaktionelle Arbeit zu verdanken. Sie hatte bereits in der DDR im kirchlichen Verlag gearbeitet und wir hatten im Rahmen des Bildungswerkes Demokratie und Umweltschutz das kleine Büchlein mit dem vielsagenden Titel "Die andere Wirklichkeit" (ein Versuch die DDR mittels eigener Begriffe wahrzunehmen, also ohne Vergleich mit der BRD oder Bundesrepublik Deutschland) bei Quorum Verlag in Kreuzberg veröffentlicht. Dort sollte auch die Dissertation heraus gegeben werden.

Carsten Frerk als Verleger hatte eine sympathische Offenheit für das Unkonventionelle. Er engagierte sich in vielerlei Hinsichten für viele Nebenthemen und zeigte was eben ein kleiner Verleger im Unterschied zu großen Verlagen tun kann. Das zeigte sich dann auch als das Buch endlich raus kam und zwar gleichzeitig mit einem weiteren Buch von mir. Letzteres enthielt Kurzgeschichten und wurde unter dem Titel "Schauend in den Süden, schreibend in den Norden" veröffentlicht. Auf dem Umschlag war eine Zeichnung von Hasso Bruse zu sehen. Beide Bücher stellten wir am Stand vom Quorum Verlag auf der Frankfurter Buchmesse vor. 

Zur Vorbereitung der Druckvorlagen ging ich in den Stodiek Buchladen wo Dank Wojtek aus Polen ich deren neuen Computer benutzten konnte. Ich tippte dementsprechend die Vorlage für jede einzelne Seite ein, um dann Seite für Seite das ganze Buch ausgedruckt zu bekommen. In der letzten Phase arbeitete ich drei Tage und zwei Nächte durch. Eine enorme Unterstützung erhielt ich von Isolde und ihrer Tochter Annegolde. Nachts blieben sie bei mir und schliefen neben mir auf dem Boden der Buchhandlung die sich besonders polnischen Büchern widmete.

Finanzielle Unterstützung erhielt ich von Hatto Kuhn. Er verwaltete die Erbschaft von Franz Kuhn und kam oft in Berlin vorbei, nachdem er in Leipzig beim Insel Verlag gewesen war. Oft trafen wir uns in Ostberlin um das Ostgeld in einem vornehmen Restaurant für DDR Verhältnisse auszugeben. Er durfte keine Ost-Mark in den Westen rüber nehmen, also sammelte sich einiges an Honorare wegen den Büchern von Franz Kuhn an. In 1985 organisierten wir dann eine Ausstellung zu Franz Kuhn in der Staatsbibliothek im Rahmen von Horizonte '85. Auf dem Podium saß ich gemeinsam mit dem Autor Hans Christoph Buch der in Franz Kuhn einen Kollegen wegen seiner Reiselust erkannte. Anschließend lud der Chinesische Schriftsteller-Verband auf einem Treffen in meiner Wohnung auf der Knesebeck Hatto Kuhn nach China ein. Diese Einladung nahm er tatsächlich wahr. In diesem Kontext entstanden ebenso Kontakte zu den Sinologen.

In dieser Zeit fing ich etwas an wovon ich stets träumte: Vorlesungen zur Kunstgeschichte an der freien Kunstschule, 'Die ETAGE' am Südstern zu halten. Die Möglichkeit dankte ich Andjei Woron, polnischer Maler und Bühnenbildner beim Transform Theater von Henryk Baranowski. Andjei wollte seinen Studenten nur schlicht sagen können, male nicht wie ein Van Gogh, ohne erklären zu müssen wer Van Gogh gewesen sei. Das wäre meine Aufgabe. Ich fing an mit dem Aufspüren bekannter Künstler u.a. Picasso. Die Dias für den Vortrag holte ich mir von der Amerikanischen Bibliothek. In einem Semester entwickelten die Studenten eine Interesse an Kunsttherapie und luden dazu Karin Danneker ein. Sie schaffte es später eine eigene Fakultät / Institution zwecks Qualifizierung als Kunsttherapeut im Rahmen der Universität der Künste aufzubauen.

Im letzten Semester in 1987, also noch ehe ich in die Vereinigten Staaten reiste, um an der Cornell Universität zwei Monate zu verbringen, gab ich einen Kurs zu den griechischen Dichtern Elytis, Seferis und Ritsos. Es war ein Vorgeschmack auf was noch kommen würde: der Wechsel nach Athen ab 1988 wegen meiner Heirat zu Anna Arvanitaki. Ich kehrte nicht der ETAGE den Rücken denn das Management hatte mich mit einem Hausverbot belegt. Sie taten es aus Furcht, ich würde eine Revolte anrühren, insofern ich mehr Information, spricht Transparenz verlangte, was alles auf die Schule zukäme, falls sie sich für das BAFÖG System qualifiziere und darum eine bestimmte Auflage von Seiten der Behörde zu erfüllen habe.

In dieser Zeit war ich außerdem weiterhin am Bildungswerk für Demokratie und Umweltschutz aktiv.

 


 

 

 

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