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Picassos Guernica: ein Symbol der Hoffnung auf Frieden von Katia David

Das von Picasso für den spanischen Pavillon der Pariser Weltausstellung 1937 geschaffene Bild zeigt Menschen und Tiere in Leid und Entsetzen angesichts des am 26. April desselben Jahres auf die spanisch-baskische Stadt Guernica niederprasselnden Bombenregens. Die Maße waren durch die architektonische Gestaltung des Pavillons festgelegt, ebenso der Besucherweg, weshalb das Bild von rechts nach links zu lesen ist.

Guernica ist eine eindringliche Anklage gegen Unmenschlichkeit, gegen die Brutalität, den Schrecken und die Hoffnungslosigkeit des Krieges. Die Grisailletechnik wurde vermutlich deshalb vom Künstler gewählt, um bewusst einen düsteren Kontrapunkt zu der sonst sehr farbig-bunten Weltausstellung zu setzen.

In vielen Interpretationen wird die Stute als das Sinnbild für die Frauen von Guernica gesehen, die den Großteil des Leides ertragen mussten. Sie ist das dominierende Hauptmotiv. Die zentrale Stelle im Bild, die im traditionellen Triptychon Christus zugekommen wäre, ihr plastisch, collagenartig durchgestalteter facettierter Körper, der von der Fläche gelöst ist, alle diese Mittel
sorgen dafür, dass das Interesse des Betrachters vor allem dieser Figur gilt.

Skizze in Picassos Atelier, Paris


Der Stier ist weitaus schwieriger zu deuten. Picasso hatte sich Jahre zuvor mit Freudscher Psychoanalyse beschäftigt. Der Stier beziehungsweise der Minotaurus verkörpert für ihn vieles: die Kraft, welche die Grenzen des Irrationalen sprengt, Aufsässigkeit, Revolution, Triebhaftigkeit oder Brutalität. Entgegen der Stute ist er nicht eindeutig als positive beziehungsweise negative Figur zu werten. Von Picasso wurde er auch wegen seines menschlichen Wesens, der Vitalität und seiner Männlichkeit verehrt. Picasso selbst lieferte fast keine Deutung. Er soll auf die Deutung angesprochen nur erklärt haben, dass der Stier die Brutalität bedeute, das Pferd das Volk.

Nach Meinung der Organisatoren der Berliner Guernica-Dokumentation von 1975 ist die Lichtträgerin eine traditionsreiche allegorische Figur, die für Aufklärung, aber auch für die politische Befreiung steht – ein vergleichbares Motiv zeigt sich in der New Yorker Freiheitsstatue. Eine andere Theorie besagt, dass die Lichtträgerin die Weltöffentlichkeit symbolisiert, die fassungslos auf die Geschehnisse in Spanien sah. Der Zusammenhang mit der Pariser Weltausstellung 1937, in dem das Bild steht, spricht für diese Deutung. Im Gegensatz zu vielen der anderen Motive war diese Figur von Beginn an im Bildkonzept angelegt. Der zur ausgestreckten Hand gehörige, tropfenförmige Kopf zeigt einen klagenden Gesichtsausdruck und kann als Bildzitat auf das surrealistische Gemälde "Der Schlaf" von Salvador Dalí aus demselben Jahr betrachtet werden. Der Krieger hält das zerbrochene Schwert in der rechten Hand, während in seiner geöffneten Linken die Zeichnung der Schicksalslinien stark hervortreten. Ursprünglich sollte der gefallene Krieger mit erhobener Faust mit Ähren die zentrale Figur des Bildes werden. Er sollte mit seiner Haltung für den ungebrochenen Widerstand des freien Spanien stehen und Hoffnung verkünden. Im Laufe der Arbeiten auf der Leinwand zerfällt die Figur in Körperfragmente und verliert ihre ursprünglich zugedachte Rolle. Grund dafür könnten die Unruhen in Barcelona vom Mai 1937 sein, als Stalinisten gegen die restliche Linke zur Waffe griffen, und damit erkennen ließen, dass ohne Zusammenhalt keine Hoffnung zu erwarten war. Es könnte aber auch
das Gebot der Weltausstellung, politische Stellungnahmen zu unterlassen, gewesen sein, das Picasso zwang, sein Konzept zu ändern. Vielleicht war er aber auch zum Schluss gekommen, dass die Aussagekraft von Schmerz und Qual stärker als die von Protest den Betrachter emotional ergreifen könnte.

Die Motivgruppe, die das reale Geschehen symbolisiert, wird erst spät im Bild hinzugefügt. Die nicht anatomisch korrekte Darstellung dient einer Überakzentuierung wichtiger Körperteile. Zusätzlich dienen die Gesichter als Ausdrucksträger. Vorbilder für die Repräsentanten des Leides könnten Bilder gewesen sein, die Picasso als Dreijähriger während des Erdbebens von Málaga
Kids’ Guernica 1884 wahrgenommen hatte. Damals erlitt er ein lebenslanges schweres Trauma, das bei jedem plötzlichen Knall zum Vorschein kam.

Mutter mit totem Kind (Pietà): Diese Figur erinnert an die christliche Darstellung der trauernden Maria, der Mutter Jesu. Sie steht für den Verlust von nahen Angehörigen, den in der Bombennacht die ganze Bevölkerung Guernicas erleiden musste, als das Leben eines Großteils ihrer Familien ausgelöscht wurde.

Fliehende Frau: Auf der rechten Seite des Bildes tobt eine Feuersbrunst, symbolisiert durch sieben Flammen. Die Fliehende tritt aus den brennenden Häusern heraus und in den von der Lichtträgerin erzeugten Lichtkegel. Passend zur Figur legt Picasso den Akzent auf ihren Bewegungsapparat. Das unproportional vergrößerte rechte Bein scheint sie wie ein Gewicht daran zu hindern dem Tod zu entkommen. Diese Figur könnte für Todesangst stehen.

Brennende Frau: Konträr dazu verhält sich die in den Häusern verbrennende Frau. Ihr Kopf erscheint stark vergrößert, der restliche Körper wird optisch zurückgestuft. Wie auch bei der Fliehenden Frau ist bei der Brennenden Frau die Physiognomie der zentrale Ausdrucksträger. Diese Figur steht für die Opfer und deren Tod, die der Angriff verursachte.

Die Deckenlampe befindet sich an der Position im Bild, wo ursprünglich ein Sonnenmotiv mit Strahlenkranz die Faust des gestreckten Armes des Kriegers umfasste. Mit der Veränderung der Rolle des Kriegers wurde aus dem Sonnenmotiv ein Innenraumrequisit, wie der Tisch auf der linken Seite des Bildes. Dadurch bekam das Bild einen verstärkten Bühnenbildcharakter. Die Deckenlampe ist als einziges Objekt unserer Zeit zuzuordnen. Sie ersetzt das irreale Licht der Altarbilder mit seinem Heilsaspekt durch ein „reales“ Licht. In manchen Interpretationen wird sie daher als die Darstellung einer heillosen Welt ohne christliche Erlösung gesehen. Sie deutet auf die von Flugzeugen abgeworfene Bomben, worauf auch das im Spanischen offensichtliche Wortspiel "la bombilla/la bomba" (bombilla=Glühbirne) hinweist.

Der Olivenreis wächst aus der Faust des Kriegers. Es ist das einzige verbliebene Symbol der Hoffnung, dass der Krieg bald ein Ende nehmen möge.

Der Speer dringt von oben rechts vom Wundmal in das Pferd ein. Er könnte daher für die Bomben stehen, die den Tod "von oben" brachten.

Der Vogel ist eine Figur aus dem allgemeinen kulturellen Gedächtnis. Er könnte für die alte griechische Legende des Phönix stehen oder für die aus der biblischen Tradition kommende Friedenstaube. In Form der sterbenden Taube könnte sie nicht für Frieden, sondern für die Vernichtung, den Tod, den Friedensbruch stehen.

Picasso liebte Kinder, bewunderte und respektierte ihre Kreativität ...

 

Katia David, Aufzeichnungen zur Kids' Guernica Aktion in Wedding-Berlin, Sept. 2010

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