Ποιειν Και Πραττειν - create and do

Schäbig, schimmlig, schokoladig – (kein) Streit in der Bildungseinrichtung Museum von Wiebke Trunk

"Uncouth, foul, chocolate like - (no) dispute in the educational institute of a museum" by Wiebke Trunk *
 

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Kunstwerke können aufgrund ihrer Komplexität, ihrer Fragwürdigkeit und ihrer Widerständigkeit zu Veränderungen festgefahrener Auffassungen von Wirklichkeit führen und sie in Bewegung halten. Voraussetzung dafür ist, ihr dekonstruktives Potenzial zu akzeptieren und anzuwenden.

Durch die Auseinandersetzung mit Kunstwerken kann dann ein außergewöhnlicher Denk-Raum (1) geschaffen werden, der allerdings durch eine Präsentation, etwa in einem Kunstmuseum, immer schon einer bestimmten ritualisierten Betrachtung (2) und damit einem Disziplinierungsvorgang unterworfen ist. Dieser Vorgang kann dann als einschränkend begriffen werden, wenn (institutions-) kritische Ansätze in den Diskurs um Kunst und ihre Anwendung eingreifen. Die Ursachen für die bewusst und/oder unbewusst gelenkten affirmativen Prozesse sind vielfältig und können in Verbindung mit der Problematisierung des Begriffs Institution (3) und der Wirkmacht des Gebildes Museum gedacht werden. Grund ist vermutlich das noch immer nicht gänzlich abgelegte Image seiner anfänglichen Aufgabe: die repräsentative Funktion der Fürstensammlung. Die Präsentation von Objekten, die diese Institution seit ca. 200 Jahren für die bürgerliche Gesellschaft als Symbol von (exklusiver) Bildung (4) begreift, adaptiert die ursprünglichen Privilegien im Zuge des bourgeoisen Selbstverständnisses. Die Aneignung der Sammlung ist damit interdependent mit der Identifikation ihrer Rezeptionsmuster verknüpft. Damit lässt sich im Ansatz eine Erklärung für die bis heute in deutschsprachigen Kunstmuseen geltenden Herrschaftsverhältnisse finden, die die Häuser nicht selten zu unbeweglichen Gebilden macht. Gleichwohl tragen sie meist Schätze in ihren schönen Bäuchen, die verbunden und überdacht durch ihr Ausgestellt-Sein Erkenntnismöglichkeiten bereit halten, wie sie in keinem anderen öffentlichen Gebäuden möglich sind.

Die Mechanismen dieser Institution Kunstmuseum spiegeln nicht zuletzt den Widerspruch zwischen den präsentierten Objekten und ihrer potenziellen Verhandelbarkeit wieder, der – obwohl öffentlich eingerichtet – bis heute fortgeschrieben wird. Um diese Fortschreibung zu garantieren, müssen die in diesem Rahmen Agierenden ihre Interessen durch die im Museum festgelegten Arbeitsgebiete zuverlässig und der Institution loyal gegenüber durchführen. Die Selbstbezüglichkeit der Einrichtungen produziert so automatisch Aus- und Einschlüsse; und obwohl zunehmend ein öffentlicher Rechtfertigungsdruck (5) besteht, gepaart mit der Drohung finanzieller Kürzungen, müsste eine Reformierung dennoch, trotz der angeführten Paradoxien – wie das unausgeschöpfte Potenzial in der Auseinandersetzung mit Kunst, sowie die öffentliche Einrichtung neben einer erstarrten Selbstbezüglichkeit – längst geschehen sein. Die „Imagination“ des Musentempels ist allerdings noch nicht überwunden.

Die seit den 1970er Jahren wieder ins Gedächtnis gebrachte Aufgabe der Museen („Museum als Lernort“ (6)), einen Bildungsauftrag zu erfüllen, gilt bis heute. Die Ausführungen dazu gehören inzwischen zu den üblichen schriftlich fixierten Programmen auf Prospekten oder auch auf Webseiten. Allerdings besteht nach wie vor ein Unterschied zwischen der dort formulierter Absicht und ihrer Realisierung. Das jeweilige Selbstverständnis führt zur genannten paradoxen Situation. Ihre Nutzung wird demnach beschnitten, und sie werden gegebenenfalls im Vergleich zu ihrer kritischen Potenz kontradiktorisch gelesen.

Die Ausschlüsse, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Fortsetzung der Institution Museum bestehen, ereignen sich sowohl im Umgang mit den Besucher/-innen, als auch auf der Ebene von Objekten und ihren Produzent/-innen. Man könnte im Hinblick auf das Publikum überspitzt formulieren, dass diese durch die strukturellen und distinktiven (7) Einschränkungen aus einer selbstbestimmten Kommunikation über die Werke hinauskatapultiert werden, bevor sie überhaupt in den inszenierten Raum der musealisierten Objekte hinein gekommen sind. Der Arbeitsbereich, der sich unmittelbar mit der Begegnung zwischen Publikum und Objekten zu befassen hat, ist der der Vermittlung (8), der aber deswegen nicht automatisch Ausschlüsse mitdenkt. Die Analyse der hier stattfindenden Reglementierungen (9) geschieht also nicht in den herkömmlichen edukativen Praxen in Museen, sondern in der zeitgemäß kritisch-reflexiven Vermittlung (10). Hintergrund ist dabei die Überlegung, dass kritisches (11) Denken in die Auseinandersetzung mit Kunst von vorneherein einbezogen wird.

Das heißt aber, dass der Vermittlungsanspruch nicht affirmativ (12) in Bezug auf die Institutionen verstanden wird, sondern diese vielmehr als veränderbare Organisationen begreift, „bei denen es weniger darum geht, Gruppen an sie heranzuführen, als dass sie [die Museen] selbst – aufgrund ihrer durch lange Isolation und Selbstreferenzialität entstandenen Defizite – an die sie umgebende Welt […] herangeführt werden.“ (13) Carmen Mörsch, von der dieses Zitat stammt, nennt diese Form der Vermittlung „transformativ“.

Um diese Transformation umsetzen zu können, muss ein veränderter Vermittlungsanspruch vorausgehen, der sich selbst als widerständig handelnd begreift und den „Ärger“, der auch in der Auseinandersetzung mit Kolleg/-innen aufkommen kann, auszuhalten bereit ist. Mit der Hinwendung zu einer von Mörsch als „dekonstruktiv“ bezeichneten Vermittlung machen es sich Vermittler/-innen zur Aufgabe „Bildungs- und Kanonisierungsprozesse […] gemeinsam mit dem Publikum kritisch zu hinterfragen. Ausstellungsorte und Museen werden dabei in erster Linie in ihrer gesellschaftlich zurichtenden und disziplinierenden Dimension als Distinktions-, Exklusions und Wahrheitsmaschine begriffen. Kunst wird außerdem selbst in ihrem dekonstruktiven Potenzial anerkannt“. (14)


Dekonstruktion und Transformation müssen in der Institution dann beginnen, wenn diejenigen Entscheidungen getroffen werden, durch die Traditionen fortgeschrieben oder unterbrochen werden. In der kritisch-reflexiven Kunstvermittlung sind diesbezüglich Faktoren enthalten, die die notwendigen Veränderungen der Institution Museum unterstützen können, weil sie die Selbstreflexion programmatisch mitdenken. Die Kunstvermittlerin Nanna Lüth etwa konkretisiert in dieser Hinsicht kritische Vermittlung, indem sie sie durch die „fortwährende Dekonstruktion von Vorannahmen und die Verunsicherung dem Eigenen gegenüber [...] von der Medien- und Museumspädagogik herkömmlicher [affirmativer] Art unterscheidet.“ (15)

Der Kunstpädagoge Pierangelo Maset fasst dabei Kunst „als nahezu einzige Institution“ auf, „die stark genug sein könnte, jede Systemlogik zu perforieren“. (16) Das verweist auf das eingangs genannte Paradox des unausgeschöpften Potenzials. Ein entscheidender de/stabilisierender Faktor in diesem Komplex ist die der Bedeutungsproduktion durch die Interpretation von Kunstwerken beziehungsweise die sogenannte Deutungshoheit, die herkömmlicherweise im kuratorischen Arbeitsfeld stattfindet. Einige Aspekte im Prozess dieser Wahrheitsproduktion möchte ich im Folgenden anhand eines Beispiels aus meiner eigenen Praxis erläutern und Lösungsvorschläge für die hier m.E. aufscheinenden grundlegenden Probleme in einem Kunstmuseum anbieten.

Ende 2010 luden die Kunstkritikerin Adrienne Braun (17) und ich zu einem sogenannten „Streitgespräch“ in einem großen städtischen Museum in Baden-Württemberg (18) ein. Der Abend sollte den Auftakt einer neuen Reihe „Kunst kontrovers“ bilden. Die Veranstaltung war u.a. mit der Frage angekündigt worden, ob das, was im Museum hängt, seinen Platz „verdient hat oder nicht“. Das von Braun und mir entwickelte Konzept (19) für die Reihe bestand darin, Skepsis, Ablehnung oder auch Unverständnis für künstlerische Produktion und ihrer Präsentation neben Zustimmung und Genuss offen und selbstverständlich zu verhandeln. Durch provokante Fragen (zu Kunstbegriff, Kunstmarkt, kuratorische Praxis, Technik der Arbeiten etc.) (20), die wir zunächst selbst diskutierten wollten wir das Publikum anregen, so unbefangen wie möglich zu sprechen. Unser Ziel war es deshalb, ganz im Sinne der Arbeiten von Dieter Roth, sowohl das Werk, als auch die Institution Museum kritisch in den Blick (21) zu nehmen.

Gerade Roths Arbeiten bieten sich aufgrund der Verwendung von organischem Material und der Infragestellung von traditioneller Malerei oder Skulptur an, um kontrovers diskutiert zu werden. Während unserer Vorbereitung im Ausstellungsraum bewahrheitete sich dieser Eindruck, denn wir mussten zum Beispiel feststellen, dass die Besucher/-innen mit Gelächter oder aber mit Unverständnis auf seine Arbeiten reagierten. Deshalb schienen seine Objekte, Plastiken und Bilder geradezu ideal, um solche und andere Meinungen miteinander zu konfrontieren.

Gerade der Umstand, dass es ein nicht einfach ist, eine Gruppe, in der sich die Teilnehmer/- innen nur teilweise kennen und die möglicherweise eher ein Zwiegespräch erwarteten, im Museum zum Mitdiskutieren zu bewegen, sollte durch unsere eingangs gesetzte provokante Kontroverse gelockert werden. Wir wagten damit ein Experiment, das an diesem Abend jedoch durch einige überraschend anwesenden Vertreter/-innen des Hauses beeinflusst wurde – als da waren: Die Kuratorin, die Mitarbeiterin der Öffentlichkeitsarbeit, die Leiterin der Museumspädagogik und die Direktorin des Hauses.

„Schäbig, schimmlig, schokoladig: Über den Wert des Materials und den Wert der Kunst von Dieter Roth“ (22) so der Titel des ersten Abends. Seine Arbeiten füllten damals einen ganzen Raum.

       

        Bild 1 – Adrienne Braun und Wiebke Trunk vor der Arbeit: „Karnickelköttelkarnickel“, 1972 von Dieter Roth Basel · ab 1972 · In Hasenform gepresstes Kaninchenstroh, Kaninchenköttel (21 x 10 x 19 cm · Auflage: 250 · Hersteller: Walter Moser, Basel · Verlag: Eat Art Galerie, Düsseldorf/Dieter Roth

Die Besucher/-innen nahmen unsere Anregung zunächst an, allerdings mischten sich die Verantwortlichen – v.a. die Kuratorin – relativ schnell in diesen Dialog ein. Auf unsere kritische Betrachtung (wie etwa durch folgende Fragen: Welchen Sinn hat die Verwendung von Stallmist in Hasenform? Geht das Auftragen von Schokolade oder Rotkohl auf einer Bildfläche über den Aspekt des Humorvollen hinaus? Welche Aussage verbirgt sich hinter einem Arbeitstisch, der sich nicht einer unaufgeräumten Werkbank unterscheidet?) reagierten sie mit Feststellungen, in denen sie die schimmelige Oberfläche von Schokolade als malerisch ansprechend konstatierten. Das war ernst gesagt und gemeint – der mögliche ironische Aspekt wurde beiseite geschoben. Die Aussage (23) wurde mit dem Ausdruck einer Setzung vorgetragen und beanspruchte, die Wahrheit über Roths Arbeit zu formulieren. Wichtig war im Folgenden, dass damit die Möglichkeit, kontroverse Standpunkte oder auch Unverständnis zu äußern und zu diskutieren, verschlossen wurde. Der Diskurs hatte sich also durch diese Einwürfe in eine von uns nicht gewollte, andere Richtung gedreht. Unser Versuch, eine andere als die sich kunsthistorisch autorisierende Aussage zuzulassen, wurde so zerschlagen. Wir waren außerdem weder auf die überraschend massive institutionelle Anwesenheit, noch auf eine solche Reaktion auf unser Vorhaben vorbereitet, welches ja zuvor mit Repräsentant/-innen der Institution besprochen worden war. Die Einmischung der Kuratorin war zwar unsensibel, aber gleichzeitig verpassten auch wir – indem wir diese Setzung zuließen – die Chance, eine Kontroverse anzustiften, in der man über das Problem der Deutungshoheit vortrefflich hätten streiten können. Der Streitraum war perdu.

Es sollten in der Reihe anhand geeigneter Kunstwerke (24) temporäre Sprach- und Streiträume eröffnet werden. Wir wollten Raum für Konflikte geben ohne einem harmonisierenden Anspruch zu unterliegen beziehungsweise ohne mit kunsthistorischen Wahrheiten aufzutrumpfen. Unsere Absicht, auf diese Weise ein Format zeitgemäßer Vermittlung zu etablieren, das den Bereich der kulturellen Bildung mit gesellschaftspolitischen Zielsetzungen – nämlich mit demokratischer
Meinungsbildung und Streitkultur (25) verband – war fehlgeschlagen.

Angesichts der Abstriche, die sich dadurch für die Schnittstelle von kultureller mit
politischer Bildung ergeben und die auf zahlreiche andere deutschsprachige Museen übertragen werden können, müssen die traditionellen Aufgaben darin reflektiert werden. Es muss danach gefragt werden, wie eine Institution die Anpassung an zeitgemäße Herausforderungen neu gestalten kann. Die im „Streitgespräch“ im Museum von uns gestellte Frage ob das, was im Museum hängt, diesen Platz „verdient hat oder nicht“, ist ebenso einfach wie komplex. Wir verwiesen mit dieser provokanten Formulierung zum einen auf die Nobilitierung künstlerischer Objekte durch ihre Einordnung in das Museum und zum anderen auf die Entscheidungen bei der Präsentation. Die vorliegende Präsentation schien insofern problematisch, als die Objekte durch ihre Vereinzelung im Raum eher einer „ordentlichen“ musealen Form entsprachen als dem programmatisch gewachsenen Chaos in Roths Werk.

Obwohl also gerade die museale Präsentation der Arbeiten von Roth die kritische
Wahrnehmung herausfordert, wurde diese Wirkung durch das Diktat musealer Autorität erschwert.

Die Pädagogin des Hauses hatte die ganze Zeit geschwiegen, sich nicht in die Diskussion eingemischt und sich also ebenso der Kuratorin untergeordnet. Ihre Verantwortung für die Einladung an uns kam damit nicht zur Sprache. Sie lieferte mit ihrem Schweigen ein Abbild der musealen Hierarchie und dem Machtgefälle unter legitimierten Sprecher/-innen. Ihre anfängliche Unterstützung der Reihe „Kunst kontrovers“ hätte vermuten lassen, dass sie sich als kritische Vermittlerin versteht. Allerdings muss hier berücksichtigt werden, dass sie Teil der Struktur war und bleiben wollte. Diese Situation beschreibt Carmen Mörsch in einem Text über mögliche Allianzen zwischen Kurator/-innen und Vermittler/-innen: „Der Grat zwischen Störung und Stabilisierung dominanter Ordnungen ist für die kritische Praxis im Neoliberalismus grundsätzlich schmal. Kritische KunstvermittlerInnen navigieren dabei besonders viele Ambivalenzen. Sie sind Repräsentant_innen der Institution, haben also nicht die Möglichkeit, sich ein unkompromittiertes ‚Außen‘ für ihre Arbeit und sich selbst als heroische Figuren zu imaginieren.“ (26)

Adrienne Braun und ich hatten im Setting dieses Abends den Part, der von außen
kommenden „Heroinnen“ übernommen. Wir mussten deshalb scheitern, denn unsere Einschätzung der Verankerung traditioneller Kommunikationsmuster über Kunst zu sprechen, deckte sich nicht mit unserer Vorstellung einer kontroversen Debatte, die in einem Kunstmuseum stattfinden kann.

Ebenso waren sich die Vertreterinnen des Hauses – gleichwohl zunächst offen – nicht über die mögliche Bedrohung ihrer Stellung durch den Zwiespalt institutioneller Interessen bewusst gewesen.

Vor allem die Kuratorin fühlte sich in ihrer Kompetenz angegriffen und pochte auf ihre Definitionsmacht. Die Folge war, dass ihre Autorität vordergründig bestehen blieb (aber wozu soll das gut sein?), dass aber die Fragen und eine Diskussion des Publikums ausgeklammert blieben und unser Angebot der kontroversen Debatte sich nicht wie angekündigt einlöste. Um der Kommunikation vor und über Kunstwerken auf die Spur zu kommen, müssen deshalb zunächst zwei Punkte näher beleuchtet werden, durch die die Komplexität der Ablehnung eines vordergründig einfachen Vorschlags begriffen werden kann.

Das Beispiel macht klar, wie schwerwiegend die Widerstände sind, die gerade in kulturellen Einrichtungen die Nutzung von Denk- und Streiträumen für mögliche Kontroversen bereit halten. Der Grund dafür ist die Furcht vor der Kritik an der Präsentation, der alle unterliegen, die in einem Kunstmuseum arbeiten – mehr oder minder. Sie unterwerfen sich damit der kollektiv fortgeschriebenen Strategie institutioneller Aufrechterhaltung. Die folgenden Überlegungen der amerikanischen Philosophin Judith Butler lassen sich m.E. auf das Feld der im Kunstsystem Tätigen übertragen und hier genauer noch auf das Verhältnis zwischen Kunstvermittler/-innen und Kurator/- innen und ihrer Furcht vor Kritik.

Butler schreibt über die Sehnsucht nach Anerkennung (27) – das ist die Angst vor der Nicht-Anerkennung – in ihrem Buch „Die Macht der Geschlechternormen und die Grenzen des Menschlichen“ (28). Sie bezieht sich dabei auf eine Arbeit der amerikanischen Psychoanalytikerin Jessica Benjamin, in der diese die Möglichkeit intersubjektiver Anerkennung zu ermitteln versucht und dadurch „einen philosophischen Maßstab“ auf einen therapeutischen Diskurs anwendet.

Anerkennung sei „nicht die simple Darstellung eines Subjekts für ein anderes, die Anerkennung des Subjekts, da es sich selbst darstellt, [was] durch den anderen ermöglicht [wird]. Es ist vielmehr ein Prozess, der sich einstellt, wenn das Subjekt und der Andere sich als gegenseitig reflektiert begreifen, in dem aber diese Reflektion nicht damit endet, dass der eine mit dem Anderen zusammenfällt […] oder mit einer Projektion, die die Andersheit des Anderen auslöscht. […] Anerkennung impliziert, dass wir den Anderen als getrennt, aber psychisch in einer Weise strukturiert betrachten, die wir teilen.“ Damit ist „Anerkennung [...] weder eine Tat, die man ausübt, noch ist sie ein Ereignis, durch welches wir einander ‚sehen‘ und ‚gesehen‘ werden. Sie findet durch – vor allem aber nicht ausschließlich – verbale Kommunikation statt, in der Subjekte durch eben kommunikative Praxis, mit der sie beschäftigt sind, transformiert werden.“ Butler beschreibt damit Anerkennung als einen dynamischen Vorgang, der v.a. durch Kommunikation stattfindet. Auf die Machtstruktur des Kunstmuseums übertragen, bedeutet dies, dass die Umsetzung einer kritischen Reflexion, wie sie durch das widerständige Potenzial bestimmter Kunst vor Augen steht, nicht unbedingt akzeptiert wird, sondern aus der Perspektive bestimmter Subjektpositionen vielmehr den Verlust von Anerkennung befürchten lässt. Konkret folgt daraus, dass die Aufgabenverteilung in musealen Institutionen, die damit verbundene Verantwortung und ihre Anerkennung neu überdacht und verändert werden müssen. Das bedeutet auch, aus der Verschließung durch Selbstbezüglichkeit herauszutreten und sich für die Äußerungen und Interessen v.a. von Besucher/-innen zu öffnen; es bedeutet weiter, Ansätze dekonstruktiver Vermittlung umzusetzen und somit Fragen der Auswahl und der Wahrheitsproduktion beim Sprechen über Kunst zuzulassen. Damit also eine nachhaltige Öffnung den Verschluss musealer Einrichtungen ablöst, muss deren interne Kommunikation externe Impulse einer demokratischen Gesellschaft aufnehmen. Sinnstiftend wäre es deshalb, den bislang herrschenden diskursiven Konformismus dadurch zu ersetzen, dass die daran Teilhabenden – unabhängig von ihrer mehr oder weniger anerkannten Position im kulturellen Feld – zu verantwortlichen Gestaltenden werden können. Diese potenzielle Reform wäre vielschichtig, wobei die Widerstände dagegen ebenso sorgfältig analysiert werden müssten, wie die Beachtung konstruktiver Kritik, um aus dem Status der Erstarrung zu einer selbstreflexiven, beweglichen Einrichtung werden zu können. Deshalb schlage ich vor, ein Museum zu gründen, das von Beginn an anders strukturiert ist, als ein herkömmliches. Es sollte durch gegenseitige Anerkennung kuratorische mit vermittelnde Aufgaben fruchtbringend ineinandergreifen und die Teilhabe der Besucher/-innen an der (Debatte über) Kunst an Stelle einer verordneten Wissensproduktion treten lassen. Das alles ist denkbar, wenn auch noch nicht wirklich begonnen und vielleicht utopisch, allerdings ist es notwendig und längst überfällig.

 

  1. Vgl., Trunk, Wiebke: „Räume für transkulturelle Diversität und Dissens in der Kunstvermittlung“, in: Brenne, Andreas; Burckhardt, Sara; Fritzsche, Marc u.a. (Hg.): teilhaben, kooperieren, transformieren, München 2012, S. 213- 224.
  2. Vgl., Sturm, Eva: „Das Subjekt muss sich an die Regeln des musealen Rituals halten“, in: Dies.: Konservierte Welt – Museum und Musealisierung, Berlin 1991, S. 107.
  3. Vgl., Douglas, Mary: Wie Institutionen denken, Frankfurt/M. 1991.
  4. Insbesondere die Frage, wie Bildung durch Kunst für wen und durch wen aufbereitet wird, ist ein höchst komplexer Prozess, der durch die Machtpolitik einer Institution bestimmt wird. Die Regulierung von Bildung in diesem Geflecht: sprich die Entwicklung von einem Ort der Repräsentation hin zu einem der Bildung, die mit dem Oberbegriff Vermittlung von Kunst überschrieben wird, wird spätestens seit Alfred Lichtwarks Arbeit an der Kunsthalle Hamburg zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts diskutiert. Die in den 70ger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts dann auftauchende Bezeichnung „Lernort“ für ein Museum verweist schließlich auf die Fortsetzung eines Spannungsfeldes, das nach wie vor zwischen (exkludierenden) bildungsbürgerlichen Ansprüchen und transkulturell diversen Perspektiven kritischer Kunstvermittlung agiert. Am Umgang mit Arbeiten der Bildenden Kunst lässt sich demnach ablesen, wie durch politische Strukturen der in ihnen angelegte Bildungszugang geregelt wird und wie sich diese Leitlinien an der Schnittstelle Museum/Publikum abbilden. Kulturelle Bildung ist damit ein in höchstem Maße politisch gebundener, subversiv geregelter Vorgang, in dem gerade im Kunstmuseum nach wie vor die traditionell strukturierten Vorstellungen der Bedeutung von Kunst, der Bedeutungsproduktion durch sie und die Bildungszugänge zu ihr hin, gesellschaftlich verankert sind.
  5. Vgl. Haselbach, Dieter; Opitz, Stephan; Klein, Armin; Knüsel, Pius: Der Kulturinfarkt: Von allem zu viel und überall das Gleiche. Eine Polemik über Kulturpolitik, Kulturstaat, Kultursubvention, München 2012; oder auch Ausstellungen wie: „Braucht Gesellschaft Kunst?“ in Baden- Baden http://www.swp.de/ulm/nachrichten/kultur/Was-hinter-den-Bildernsteckt; art4308,1836766 [5.4.13].
  6. Vgl., Hense, Heidi: Das Museum als gesellschaftlicher Lernort. Aspekte einer pädagogischen Neubestimmung, Frankfurt/M. 1990.
  7. Vgl., Bourdieu, Pierre: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt/M. 1982 sowie Bourdieu, P.; Durbal, Alain: Die Liebe zur Kunst. Europäische Kunstmuseen und ihre Besucher, Konstanz 2006.
  8. Mit dem Begriff „Vermittlung“ ist sowohl die vermittelnde Arbeit im Museum (die Museumspädagogik) gemeint, als auch solche, die außerinstitutionell Formate der Auseinandersetzung mit Kunstwerken entwickeln.
  9. Mit „reglementiert“ meine ich die kontextuelle Konditionierung von Betrachtung durch in Ausstellungsorten Verantwortliche. Damit möchte ich auf die bewusst oder unbewusst statthabende Disziplinierung musealisierten Objekten gegenüber hinweisen. Der Begriff ist nicht negativ gemeint, sondern will auf die Tatsache verweisen, dass es eine unreglementierte Betrachtung in Institutionen nicht gibt. Vielmehr geht es um das Bewusstwerden dieser Tatsache und damit um ein akzeptierten, weil reflektierten Umgang mit Kunstwerken im institutionellen Kontext.
  10. Vgl., dazu die Definition der Kunstwissenschaftlerin Carmen Mörsch: „Seit Ende der 1990er Jahre wird die Diskussion über eine zeitgemäße, kritisch agierenden Praxis der Museumspädagogik und Kunstvermittlung wieder verstärkt geführt. „Zeitgemäß“ meint dabei: unter kritischer Reflexion der historischen und gegenwärtigen Diskurse um Kunst, Kunstvermittlung, Öffentlichkeit, Partizipation und Lernen.“ aus: Mörsch, Carmen: Künstlerische Kunstvermittlung: Die Gruppe Kunstcoop ©. Im Zwischenraum von Pragmatismus und Dekonstruktion, in: Viktor Kittlausz: Kunst-Museum-Kontexte, Bielefeld 2006, S. 182. Vgl. zu den Begriffen (kritische) Kulturvermittlung außerdem die seit März 2013 online gestellte, umfassende und herausragende Auseinandersetzung mit den Begriffen Kunst- und Kulturvermittlung: http://www.kultur-vermittlung.ch/infothek/zeit-fuervermittlung.html [5.4.2013].
  11. Vgl., Foucault, Michel: Foucault, Michel: Was ist Kritik?, Berlin 1992.
  12. Affirmative Vermittlung meint eine Kunstvermittlung, die an ein Haus (räumlich wie ideologisch) gebunden bleibt und ihren Arbeitsbereich durch die Unterstützung der traditionellen Aufgaben eines Museums – Bewahren, Forschen, Sammeln, Ausstellen und Vermitteln – glaubt ausreichend zu erfüllen.
  13. Mörsch, Carmen: „Am Kreuzungspunkt von vier Diskursen: Die documenta 12 Vermittlung zwischen Affirmation, Reproduktion, Dekonstruktion und Transformation“, in: Mörsch, Carmen und das Forschungsteam der documenta 12.Vermittlung (Hrsg.): Kunstvermittlung 2. Zwischen kritischer Praxis und Dienstleistung auf der documenta 12. Ergebnisse eines Forschungsprojekts, Zürich-Berlin 2009, S. 10.
  14. Ebd.
  15. Lüth, Nanna: Kunstvermittlung für das Edith-Ruß-Haus für Medienkunst – Kritische Kunstvermittlung „von Kunst aus“, in: medien kunst vermitteln. Lüth, Nanna; Himmelsbach, Sabine (Hg.). Oldenburg 2011.
  16. Maset, Pierangelo: „Bewegungsabläufe nervöser Kunstbegriffe“, in: Sturm, Eva; Rollig, Stella: Dürfen die das? Kunst als sozialer Raum, Wien 2002. S. 86.
  17. Adrienne Braun ist Kunst- und Theaterkritikerin; sie schreibt für die Stuttgarter Zeitung und die Süddeutsche Zeitung und für das Kunstmagazin art.
  18. Es ist m.E. nicht wichtig, welches Kunstmuseum das war. Durch die Anonymisierung wird die Überlegung, dass das Praxisbeispiel exemplarisch ist noch unterstrichen.
  19. In der Ankündigung hieß es: „Es streiten: Adrienne Braun (Kunstkritikerin) und Wiebke Trunk (Kunsthistorikerin). Was im Museum hängt, hat diesen Platz verdient. Oder etwa nicht? Bei den „Streitgesprächen“ ist Widerspruch erlaubt. Denn bei dieser dialogischen Kunstbetrachtung werden künstlerische Positionen und Fragestellungen nicht erklärt, sondern die beiden Gesprächspartnerinnen treten mit gegensätzlichen Meinungen an – und versuchen, das Publikum zu überzeugen. Am Ende des Streitgesprächs wird Farbe bekannt und die Besucher dürfen ihre Argumente gleichfalls in den Ring werfen. Überraschungen sind dabei immer möglich – und es kann gut sein, dass plötzlich jemand gegen seine eigene Meinung diskutiert.“
  20. Der Vorgang war im Ansatz performativ, da wir bewusst ganz unterschiedliche Ansichten vorbesprochen hatten und deren Aufführung inszenierten. Vgl. dazu: Sözen, Deniz: „Das Tänzerische in der Kunstvermittlung”, In: Mörsch, C., a.a.O., S. 35-46.
  21. Vgl. dazu den Text von Andrea Fraser: „From the critique of institutions to the institution of critique“. Art Forum, Vol. 44, September 2005. S. 278-283.
  22. Karl-Dieter Roth (1930-1998) war ein deutsch-schweizer Künstler (Dichter, Grafiker, Aktions- und Objektkünstler), der in Hannover geboren wurde und später in der Schweiz und in Island lebte. In den 1960er Jahren war er maßgeblich an Fluxusveranstaltungen beteiligt, wurde u.a. bekannt wurde durch seine Kunstobjekte (z.B. Werke der Eat-Art) aus organischem Material (Schokolade, Rotkohl, Wurstwaren, Zucker, Gewürze etc.), die sich durch den Zerfall unaufhaltsam und allmählich verändern. Ab 1970 entwarf er zahlreiche Buchobjekte, die dem Dadaismus nahe stehen. Bezeichnend für seine Arbeit ist der Prozess des Bauens in Verbindung mit Vernichten, Zerfall und Transformation. Insofern sind Gegenstände und Materialien, die vor allem im Alltag vorkommen wie etwa Lebensmittel oder auch ganze Einrichtungen einer heimischen Werkstatt als endloses Sammeln und damit als Übersetzung eines nicht fassbaren Kosmos zu verstehen, der uns unausweichlich umgibt. Vgl. zu seinem Oeuvre z.B. folgende Publikationen/Ausstellungen: Schwarz, Dieter: auf der Bogen Bahn: Studien zum literarischen Werk von Dieter Roth. Zürich, 1981; Dobke, Dirk: Schokolade, Schallplatten und die gesamte Scheisse. Anmerkungen zu einigen Augenobjekten von Dieter Roth, in Ausstellungskatalog. Sammlung Eckardt, Kunstmuseum Bayreuth 2001; Lütgens, Annelie: Abenteuer Alltag, in Ausstellungskatalog Fluxus und Nouveau Réalistes-Sammlung Cremer für die Hamburger Kunsthalle, Hamburg 1995; vgl. dazu auch die Webseite des Kunstmuseums Stuttgart: http://www.kunstmuseum-stuttgart.de/index.php?site=Sammlung;Kuenstler_Details&id=10 [5.4.2013] sowie die aktuelle Ausstellung: „Dieter Roth. Björn Roth“, Galerie Hauser & Wirth New York, 18th Street, 23. Januar bis 13. April 2013 http://www.hauserwirth.com [5.4.2013].
  23. Es gab noch weitere Einmischungen in unser Gespräch, und das Publikum bemerkte schnell, dass es sich nicht um normale Besucher/-innen handelte. Darauf kann ich aus Platzgründen aber nicht eingehen.
  24. Geplant war weiter, über Werke von Jonathan Meese zu sprechen und zu streiten.
  25. Vgl. hier die Überlegungen der Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe, die sich mit aktuellen Anforderungen an Demokratie befasst. Entscheidender Unterschied zwischen der von ihr entworfenen „radikalen Demokratie“ und bisherigen Vorstellungen demokratischer Praxis ist dabei der Gedanke, „dass Konsens stets nur als vorübergehendes Resultat einer vorläufigen Hegemonie existiert, als eine Stabilisierung von Macht, die immer auch eine Form von Exklusion mit sich bringt“. Mouffe folgert daraus, dass „wir die Gestalt der öffentlich-demokratischen Sphäre neu konzipieren“ müssen, um zukunftsfähig zu sein. „Die Spezifizität der modernen Demokratie liegt in der Anerkennung und Legitimierung des Konflikts sowie der Weigerung, ihn durch die Setzung einer autoritären Ordnung zu unterbinden.“ Mouffe fordert die Vereinheitlichung durch Mehrheitsbeschlüsse abzulösen und stattdessen ein Verständnis dafür zu entwickeln, wie transkulturell diverse politische Identitäten strukturiert sind. An anderer Stelle spricht sie deshalb von einem notwendigen Pluralismus, der „Diversität und Dissens aufwertet und nicht versucht, eine öffentliche Sphäre zu errichten, aus der sie verbannt wären. Denn dieser Pluralismus erkennt, dass ohne Dissens eine Demokratie mit lebendiger Streitkultur nicht möglich ist.“ Mouffe, Chantal: „Pluralismus, Dissens und demokratische Staatsbürgerschaft”, in: Martin Nonnhoff (Hrsg.): Diskurs radikale Demokratie – Hegemonie, zum politischen von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe, Bielefeld 2007, S. 48. Dieses komplizierte Gleichgewicht kann m.E. problemlos auf das Sprechen über Kunst übertragen werden, da gerade auch hier die Frage der Sprachmacht/Sprecher/-innenmacht zentral ist.
  26. Carmen Mörsch, Allianzen zum Verlernen von Privilegien: „Plädoyer für eine Zusammenarbeit zwischen kritischer Kunstvermittlung und Kunstinstitutionen der Kritik“, in: Nanna Lüth et al., a.a.O., S. 27.
  27. Vgl. dazu den Artikel auf der Webseite: Zeit für Vermittlung, 2. Frage: Für wen Kulturvermittlung – für Verweilende unter http://www.kultur-vermittlung.ch/zeit-fuer-vermittlung/v1/?m=2&m2=6&lang=d [5.4.2013] mit dem Titel: Arbeit in Spannungsverhältnissen 2: „Adressierung und das Paradox der Anerkennung“.
  28. Butler, Judith: Die Macht der Geschlechternormen und die Grenzen des Menschlichen, Frankfurt/M. 2009, S. 215 ff.

 

* Mit Genehmigung der Autorin.

Dieser Artikel erschien zuerst in:

Sara Burkhardt/ Torsten Meyer / Mario Urlaß (Hrsg.): convention. Ergebnisse und Anregungen, #Tradition #Aktion #Vision, Schriftenreihe Kunst Pädagogik Partizipation: Buch 03: München 2013, 320 Seiten ISBN 978-3-86736-161-3.

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