Ποιειν Και Πραττειν - create and do

Das Schicksal des Dichters in der Gesellschaft - Beispiel Hölderlin

Das Schicksal des Dichters in der Gesellschaft, und sei es die eines Hölderlins, wird oftmals zum Anlass genommen, kritisch zu fragen, inwiefern weder der Poesie noch der Philosophie gut beraten sind wenn sie sich voneinander abtrennen? Philosophie geht aus der Poesie hervor, doch das wird allgemein und insbesondere von der Philosophie oftmals geleugnet. Auch Hölderlin sagte sich von der Philosophie los und erlitt so viele Niederlagen, dass er die zweite Lebenshälfte nur noch in einem Turm in Tübingen verbrachte.

Noch deutlicher zum Schicksal des Dichters wird Goethe mit seinem "Leiden des jungen Werthers". Durch seine Beschreibung vom Dichter der nicht in der Gesellschaft existieren kann, zog er viele junge, angehende Dichter in einen fatalen Sog. Viele begingen Selbstmord weil sie ihre Existenz als aussichtslos ansahen. Die Existenzschwierigkeit des Dichters bleibt bis zur Gegenwart bestehen.

Die negative Einschätzung von was mittels der Poesie in der Gesellschaft getan werden kann, hängt eng mit der Philosophie zusammen. Stellvertretend für viele meinte Hegel, Poesie als auch die sinnliche Wahrnehmung kann keine Quelle von Wahrheit sein. Solch eine Verneinung spricht Bände was das prekäre Verhältnis zwischen Poesie und Philosophie auszeichnet.

Was die allgemeine Einstellung der Gesellschaft zur Poesie bestimmt, sind verschiedene kulturelle und wirtschaftliche Faktoren. In Deutschland, obwohl das Land der 'Dichter und Denken', neigen sehr viele Menschen dazu die Poesie aus oftmals kaum nachvollziehbaren Gründen abzulehnen.

Wenn ein Berliner Taxifahrer erfährt, dass ein Dichter außerstande sei damit sein Geld zu verdienen, ist für ihn die Poesie erledigt. Er hat selbstverständlich einen wirtschaftlichen Mehrwert im Sinne, einer der das poetische Element im Leben völlig ausschließt. Die Verneinung folgt dem Denken die Poesie tauge zu nichts weil von keinem Nutzen innerhalb des wirtschaftlichen Verwertungszusammenhanges.

Ganz anders hingegen ein Taxifahrer in Dublin. Während einer Fahrt erklärt er als allein stehender Vater mit drei Söhnen würde er sie mit Hilfe der Gedichte von Brendan Kennelly erziehen.

Bei der Philosophie läuft es entschieden anders ab als bei der Poesie da die akademische Option besteht, um die eigene Existenz zu sichern. Allerdings haben viele Dichter in letzter Zeit damit begonnen an Universitäten 'kreatives Schreiben' oder in besonderen Fächer z.B. Lyrik in der Frauenbewegung oder das Schicksal einer Sylvia Path zu unterrichten. Viele meinen diese Entwicklung sei zum Nachteil der Lyrik als auch die Philosophie denn beide wirken künstlich und leiden unter einem stark abstrakten Stil der nicht mehr reales erfassen lässt.

Nicht umsonst nehmen Dichter eine besondere Rolle ein. In Irland gilt die Stimme des Dichters neben des Priesters als genau so wichtig in der Gesellschaft weil imstande eine 'moralische' in Ergänzung zur 'religiösen' Orientierung zu geben. Obwohl es sich um den Dichter Brendan Kennelly dreht, bespricht Sandrine Brisset in ihrer Biographie ebenso die allgemeine Rolle, die ein Dichter in der Irischen Gesellschaft seit alt her einnimmt. (Siehe Sandrine Brisset „Brendan Kennelly: Behind the Smile." Dublin 2013 http://www.raglanbooks.ie)

Die Rolle kann soweit reichen, dass die Poesie die Tagesordnung des Stadtrates wenn nicht ganz bestimmt, so doch beeinflusst und dadurch eine ganz andere Betrachtung, gleichsam Beurteilung wie die Stadt sich verhält - im Englischen: 'perform' - evoziert. (siehe z.B. das Gedicht von Rita Anna Higgins nachdem Galway die Designation des Titels Kulturhauptstadt Europas für 2020 erhielt: "This is a pity city, shity city.")

Faktisch genügt es nicht den Menschen bloß zwischen Produktion und Reproduktion, Arbeit und Konsum eingeklemmt zu sein. Sie verlangen den Puls des Lebens zu fühlen, und wollen statt düstere Aussichten das Schöne am Leben erleben. Vor allem sehnen sie sich nach dem Licht um die Dunkelheit zu vertreiben. All das gleicht einem Wunsch nach dem poetischen Leben. Aber erst wenn intensiv gelebt wird, und das Leben selber zu dichten beginnt, werden Erinnerungen an die Zukunft Einsichten in menschliche Potentialitäten ergeben. In diesem Zusammenhang zeigt die Poesie wie auf Herausforderungen und Ereignisse im Leben reagiert werden kann.

Etwas kann die Poesie geben: Verzweiflung vertreiben und Mut machen, indem Zuversicht vermittelt wird, hieße nicht aufgeben selbst wenn Rückschläge erlitten werden. John Berger zitiert hierzu Charlie Chaplin als eine legendäre Figur die immer wieder aufsteht nachdem sie zum Fallen gebracht wurde (siehe John Berger, "Einige Anmerkungen über die Kunst zu fallen", Edition 21, Berliner Festspiele 2016, s. 30-35).

Gleichfalls das Eingestehen das Fehler gemacht wurden, eröffnet Möglichkeiten aus Fehlern zu lernen. Vor allem muss ein Scheitern in der Praxis noch lange nicht das Aufgeben des Anspruches auf eine gerechte Gesellschaft bedeuten. Den Impulse zum Lernen aus solchen Erfahrungen macht eine enorme Differenz, langfristig gesehen.

Vor allem poetische Wahrheiten können wichtige Impulse geben, so dass die Gesellschaft sich von einer die Menschen zwingenden Gewalt befreit (siehe Poetry and Violence by Brendan Kennelly) und sich in Richtung Frieden entwickelt.

All das setzt aber voraus Dichter des 21.Jahrhundert begehen nicht die selben Fehler wie das Dichter zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg taten z.B. Erza Pounds Befürwortung von Mussolini, Eliot bei den extremen Christen und Yeats ein Förderer von kultischen Zeremonien zwecks Wiedergewinnung originärer Identitäten, und das im Anliegen an Hitler's National-Sozialistischen Ideologie. Ähnliches gilt für die Philosophen.

Aussicht auf Zukunft besteht wenn die Menschen imstande sind sich auf die Poesie als Ausdruck 'gelebter Wahrheiten' zu beziehen. Wichtig ist dabei ob Poesie im Alltag wahrgenommen wird. Einher geht damit ein differenziertes Verstehen der Nuancen im Leben. Einmal von der Dichtung hervor geholt, können poetische Botschaften dem Leben eine sinnlich wahrnehmbare Bedeutung geben.

John Berger meint zusätzlich eine Blume oder Stein spricht nicht die Sprache, die die Menschen verwenden um sich zu verständigen, aber sie enthalten Botschaften die mittels der Poesie entschlüsselbar sind. Ähnliches verhält es sich mit dem ganzen Leben das erst wirklich gelebt wird, wenn Poesie und Philosophie imstande sind Botschaften zu entschlüsseln. Während die Poesie aus dem Rätsel von Mensch und Leben oftmals ein neues Rätsel macht, aber dieses Mal frei von der Angst vor einem Nicht-Wissen, arbeitet die Philosophie offen mit dem Zweifel und kann so dazu beitragen, dass die Menschen imstande bleiben trotz offener Fragen die niemals vollständig beantwortet werden können weiterhin praktisch zu leben. Als kulturelle Synthese wäre das eine Kunst zu leben aber praktisch kommt darauf an, dass die Poesie gemeinsam mit der Philosophie eine Deutungspraxis in Richtung gelebter und lebbarer Wahrheiten ermöglicht.

 

Hölderlin

Hölderlins Leben kann beschrieben werden als ein Dichter der durch 'Passagen' der Zeit und des eigenen Leidens dahin wandelte, aber niemals wirklich in der Realität jenseits seines Antikenbildes ankam. Passagen, um einen Begriff von Walter Benjamin aufzugreifen, könnten auch in Anbetracht seiner Hinterlassenschaft 'Fragmente' genannt werden. Drei Mal versuchte er seine Abhandlung von Empedokles zu beenden, aber es gelang ihm nicht die griechische Fassung einer Tragödie zu imitieren. So blieb es beim Fragment. Neben Gedichten und Übersetzungen gab es etliche philosophische Entwuerfe, die manchmal nur zwei Seiten betrugen und wegen ihres fragmentischen Charakters schwer zu entschlüsseln sind. Der Philosoph Dieter Henrich hat das versucht.

Sowohl Hölderlin als auch Benjamin haben eines gemeinsam: ein besonderer Schicksalsbegriff. Sie umfasst die ganze Tragödie von Dichtern in Deutschland. Um nur ein Beispiel zu nennen, Hölderlin machte nach seiner Rueckkehr aus Paris seinen letzten Versuch, um mit Dignität in der Gesellschaft zu existieren. Er wollte eine poetische Publikation herausgeben, doch Schiller und Goethe hielten sich nicht nur zurück, sondern sie gaben ihm nicht die Anerkennung, die so sehr entscheidend fürs Gelingen in einer ohnehin skeptisch eingestellten Öffentlichkeit gewesen wäre. Er vermochte es nicht sein Vorhaben zu realisieren; stattdessen brach er zusammen und nach einer längeren Behandlung in der Klinik zog er in einen Turm in Tübingen und verbrachte dort seine insgesamte zweite Lebenszeit. Da er als 'wahnsinnig' bezeichnet wurde, und faktisch abgetrennt von der Öffentlichkeit im Turm lebte, wurden seine Schriften erst viel später rezeptiert. Nietzsche war einer der wenigen der seine Größe als Dichter früh erkannte, ansonsten wurde er lange nach seinem Tod kaum beachtet. Er kam 1770 zur Welt in Laufen am Neckar und starb 1884 in Tübingen.

Gleichfalls erging es Benjamin. Er vermochte es nicht Horkheimer, und mit ihm Adorno, mit seinen Schriften, vorab mit seinem Passagen Werk zu überzeugen. Immer wieder versuchte Adorno in Briefen an Benjamin in Paris zu vermitteln. Das Passagen-Werk von Benjamin war für Horkheimer nicht dialektisch genug, um den Flaneur aus seinem statischen Rahmen zu befreien. Horkheimer und Adorno wollten eine weiter gehende soziale Analyse. Folglich wurde tragischer Weise Benjamin ähnlich zu Hölderlin an den Rand der Gesellschaft durch den kommenden Zweiten Weltkrieg gedrückt. Benjamin wählte den Selbstmord nachdem er an der Spanischen Grenze zurück gewiesen wurde, weil er keinen gültigen Pass hatte und nicht in die Hände der Gestapo fallen wollte.

Als Hölderlin noch im Tübinger Stift gemeinsam mit Hegel und Schelling studierte, bezogen sie sich aufs Kant Vernunftbegriff und darum auf eine Philosophie die sich von der Theologie löste. Letztere sollte nicht mehr die Fakultäten der Universität bestimmen, aber was noch der Fall am Tübinger Stift war. Allerdings löste sich Hölderlin mehr und mehr sowohl von der Philosophie als auch vom Vernunft-Begriff. Unsicher war ohnehin die Ich-Identität und wie es sich um die sinnliche Wahrnehmung bestellt ist. Am deutlichsten wurde Hölderlin als er Vernunft nicht mehr als die höchste Priorität sah, sondern entsprechend seiner idealistischen Auffassung meinte er der "Frieden alles Frieden, der höher ist, denn alle Vernunft."

Aber so leicht ist diese Differenz zwischen Vernunft und Frieden nicht durchzuhalten. Obwohl der Friedensbegriff für Hölderlin als etwas umfassenderes als die bloße Vernunft gemeint sein kann, erging er nicht einem gravierenden Widerspruch zum Friedensbegriff. In seinem Gedicht 'Vaterland' gab er zu erkennen er wolle keinen gewöhnlichen Tod erleiden, aber einen ehrenwerten Tod wenn er im Kampf um die Freiheit des Vaterlandes einen Heldentod sterben würde. Hitler nutzte sein Vaterlands-Gedicht aus, um die Jugend in den Krieg zu ziehen. Das besagt welch einem Irrtum romantische Dichter in ihren Zustimmung von Befreiungskämpfen unterlaufen, so auch Lord Baron in Griechenland, wenn sie nicht den Gewaltverzicht mit einem Friedensbegriff verbinden und den Befreiungskampf als Bejahung von Gewalt nicht hinterfragen. Die wichtige Verbindung zwischen Vernunft und Frieden wäre die Achtung der Menschenrechte die in einer Verfassung aufgehoben sind.

Hinzu kommt noch, dass die Vernunft als Teil der Aufklärung von Kant ausgeht und der als Voraussetzung dafür die Überwindung der Angst, einschließlich vor einem Denken in Vernunft-Kategorien, betrachtet. Folglich drängt sich die Frage auf, wie steht Hölderlin zum Vernunft-Begriff? Da Kant außer der "Kritik der reinen Vernunft" ebenso die Schrift zum "Ewigen Frieden" verfasste, war die Verknüpfung von Vernunft und Frieden unumgänglich. Ferner versuchte Kant wegen der Differenz zwischen theoretischer und praktischer Vernunft keine künstliche Synthese zu erzeugen noch zu behaupten, sie existiere inmitten einer Gesellschaft die sich im Umbruch befindet. Eher gab Kant zu erkennen, es bedarf der praktischen Urteilskraft neben seinen Kritiken, um den "Ewigen Frieden" zu realisieren.

Letztlich ging Hölderlin auf Distanz zu Kant ein, obwohl für ihn und seinen Freunden Hegel und Schelling der Philosoph von Bedeutung war weil er die Vernunft von der Religion abtrennte, und die vorherrschende Orthodoxie hinterfragte. Hölderlin ging auf Distanz zu Kant aus ästhetischen Gründen, aber dabei verfing er sich im antagonistischen Verhältnis zwischen Gefühl und Vernunft. (fürs Studium am Tübinger Stift siehe Thomas Assheuer, Die Gefährten 18. Dezember 2007, 3:34 Uhr Editiert am 27. Dezember 2007, DIE ZEIT, 19.12.2007 Nr. 52 http://www.zeit.de/2007/52/OdE9-Geist)

Ein Grund dafür dürfte Hölderlins Aufenthalt in Jena sein. Dort geriet unter den Einfluss von Fichte dessen Vorlesungen an der Universität von Jena er ab 1794 besuchte. Ab dann strebte er eine Versöhnung mit Platon an, und landete in einem umfassenden Widerspruch. Der Philosoph der Antike verneinte die Poesie und obendrein vermochte Hölderlin sein Antiken-Bild nicht mehr mit der christlichen Welt zu vereinbaren. Die Dichterin Katerina Anghelaki Rooke meint Hölderlins Verhältnis zur Antike sei ein Delirium ohne Vergleich. Die Kombination einer starken Protestantischen Erziehung am Tübinger Stift und die Bewunderung der Antiken Welt voller menschlicher Götter wurde für ihn ein schwer auszuhaltender Widerspruch an dem er sich wund rieb.

Auf der persönlichen Ebene schwärmt Hölderlin in seiner Bewunderung von der Antike, zugleich drückt er im Gedicht "Brot und Wein" die Enttäuschung nach der Rückkehr aus dem Imaginären in die Wirklichkeit aus. Im Gedicht träumt er Anfangs von der Antike und ihrer menschlichen Realität. Er stellt sich vor, dass die Leute nach getaner Arbeit nicht nach Hause gehen, sondern zusammen bleiben. Sie würden diskutieren, singen und tanzen. Nachdem er aus dem Traum erwachte, machte er sich zum Markt vermutlich in Stuttgart auf. Er kommt gerade nach Ladenschluss an. Zu seiner Enttäuschung hatte sich der Marktplatz völlig entleert. Alle waren bereits nach Hause gegangen. Niemand blieb um zu plaudern oder zu tanzen. Offensichtlich kam Hölderlin zum Schluss, dass er in solch einer Wirklichkeit bzw. die deutsche Realität nicht existieren könne.

Faktisch wiederholt sich auf der emotionalen Ebene etwas ähnliches für Hölderlin. Ganz Romantiker und Idealist, rührt das Gefühl des Verlustes bereits von der Feststellung her, das "nichts dauert". Er konstruiert dazu eine Analogie die noch mehr eine Aussage über die Tiefe seiner Enttäuschung im realen Leben macht. So meint er "das Staunen löst sich selbst (auf) wie der Griff der Arme nachdem die Liebe verschwand." Jeder weiß Hölderlin musste seine Arbeit als Hauslehrer in Frankfurt aufgeben und praktisch zuerst nach Homburg, dann nach Paris fliehen, nachdem ihr Ehemann ihn zu Rede stellte. Er wollte wissen um seine Beziehung zu seiner Frau Susette. Jene junge Frau war die erste die seine Gedichte nicht nur zu verstehen schien, sondern die auf ihn einging und in ihm eine echte Liebe weckte. Hölderlin war völlig nieder geschlagen als er von ihrem frühen Tod in 1802 erfuhr. Sie war das Modell für Diotima in seinem Hyperion.

Auf der dritten und der sozialen Ebene unterliegt er einem Pathos wenn mit der unmittelbaren Gegebenheit konfrontiert. Er mag nicht die grobe Sprache die die rauen Männer benutzen. Eher bevorzugt er den Dialog mit den Göttern der Antike, aber die laut Hegel längst verstorben sind. Somit handelt es sich um eine Projektion auf eine ideale Welt die in Wirklichkeit gar nicht existiert. Gleichzeitig besagt seine Haltung gegenüber den groben Männern etwas mehr. Unter anderem war es das ästhetische Erziehungsziel von Schiller bis zu Schinkel u.a. das gemeine Volk zu erziehen. Auch Goethe schaute auf die einfachen Menschen herab, weil sie nicht richtig Deutsch sprachen. Diese Haltung hat sich bis in die Gegenwart fortgesetzt. Der Philosoph Gadamer meinte sogar, wer nicht das Wort 'ganz' richtig zu verwenden versteht, der würde nicht die deutsche Sprache beherrschen. 

Was oftmals in der Hölderlin Rezeption übersehen wird, aber die ganze Romantik mündend im deutschen Idealismus charakterisiert, ist ein Herabschauen aufs gemeine Volk. Bei Hölderlin kommt die Abtrennung deutlich zum Ausdruck wenn er behauptet, dass er "nichts besser haben will als die Götter." Doch statt zu sehen wie sehr die Griechen der Antike ihre Götter ebenso gegeneinander ausspielten, und sie darum auf die menschliche Ebene runter holten, negiert er diese Seite wenn er seiner Vorliebe fürs Leben der Götter seine Meinung nachschiebt, dass er "nicht alles leiden muss."

Angesichts dem was bereits zu seinem Gedicht 'Brot und Weine' gesagt wurde, handelt es sich bei Hölderlin, mal kritisch interpretiert, um eine falsch verstandene Revolte gegen das menschliche Leiden. Primär litt er unter der Abwesenheit einer Lebendigkeit, die er sich in seiner Projektion auf die Antike vorstellt. Ferner bringt ihn Enttäuschung zum Schluss, dass das Leben nicht nur aus Feiern und Freude besteht, sondern wegen fehlender Einigkeit der Grund für schmerzhaften Trennungen u.a. von der Geliebten Susette oder von den Freunden, aber auch von der Philosophie. Noch schmerzhafter muss für ihn gewesen sein die Unvereinbarkeit christliches Denken mit den philosophischen Strömungen der Antike. All das begründet für ihn die 'Verfahrungsweise des poetischen Geistes'. Somit spricht seine Dichtung von 'Freud und Leid', im Wissen dass die Schönheit der Negation ausgeliefert ist, weil "nichts überdauert, nichts bleibt."

Hölderlin drückt vielfach das Rätsel der Zeit: wie das Kunststück zu vollbringen, abermals die Polis als Leben in der Demokratie zu schaffen, und dies in Ergänzung mittels was die Französische Revolution anstrebte, nämlich 'citoyon de monde' oder den Weltbürger. Denn die Beschränkung auf eine nationale Identität verbunden mit dem Inbegriff des Vaterlandes widerspricht all dem, wird aber von Hölderlin nicht bedacht. Vermutlich liegt es daran, was Sloterdijk mal Medien-gerecht formulierte: Athen der Antike ist als geschichtliche Materie zu komplex, um leicht für Hollywood (im Unterschied zu Rom oder Jerusalem) verwertbar zu sein.

Es gibt noch andere Interpretationen die eher auf der akademischen Ebene sich ums Einordnen in welche Kategorien kümmern. Zum Beispiel hebt Lawrence Ryan hervor warum Hölderlins Roman im Bezug auf Goethes "Leiden des jungen Werthers" nicht als Bildungsroman eingestuft werden kann: "Für Hölderlin ist das 'eigentliche Studium des Menschen' nicht der Mensch als solches, sondern vielmehr die Bezogenheit auf die Natur als den Grund alles Seienden: die Überordnung der Natur über menschliche Tätigkeit und menschliches Bewusstsein bildet die Grundlage der Ehrfurcht und Frömmigkeit, die seine Dichtung kennzeichnet." (Ryan, Seite 34). Tatsächlich kann der Blick auf die Antike völlig die Arbeitswelt, also die Verarbeitung der Materie in Produkte, ausklammern und umso mehr den dadurch angerichteten Schaden wegen einer Weltfremdheit nicht zu sehen, geschweige zu Kenntnis zu nehmen.

Hölderlin ist bekannt für seine hohe Sprachkunst. Er findet sein Versmaß durch eine Synthese bestehend aus Begeisterung und Nüchternheit. Dichterisch kann sein Leben wie folgt verstanden werden.

             Tragische Boten gingen außer Haus

             sie kehrten nie wieder

             blieben verschollen im versunkenen Mondlicht,

             alles angespannte Ruh,

             bloß das sehende Auge, müd geworden von schlaflosen Nächten

             musste erkennen,

             in der Dunkelheit hört nur die flimmernde Gewissheit auf

             statt zu träumen vom Tag wenn die Sonne aufsteh,

             und das ganze Gemüt der menschlichen Seele

             nicht bitter Leid der Klage auferlegt,

             sondern wärmende Hände unterstreichen

             einen einfachen Lobgesang auf die Liebe -

             so ward 'Brot und Wein' ein einfaches Gedicht der Enttäuschung.

 

In den zahlreichen Interpretationen von Hölderlin, einschließlich die von Heidegger bis Derrida, taucht auf der Begriff einer 'metaphysischen Poetologie' mit folgenden Konsequenzen:

„Es ist offenbar für Derrida nicht so, dass Philosophie sich der Dichtung zuwenden, dieser „nachdenken“ soll und dann wie Heidegger mit Hölderlin behaupten kann: „Was bleibet aber, stiften die Dichter.“

Eher ist es für Derrida wohl so, dass die Philosophie „als solche“, wenn sie etwas Existentielles sagen will, unter den traditionellen Bedingungen eines griechisch-christlichen, abendländischen philosophischen Diskurses nicht mehr existieren kann, sondern ihr Ende gefunden hat.

Das hat aber zwei Konsequenzen: einerseits würde dies tatsächlich die Apokalypse des dissertativen philosophischen Diskurses bedeuten, seine Offenbarung und seine Katastrophe.

Andererseits würde die Philosophie aber, wenn sie sich einer anderen, literarischen Sprache bedienen würde, neue Impulse des Denkens bekommen, wenn sie auch nicht die Wahrheit oder den Sinn des Seins selbst erkennen könnte.“

 

A. Mader 2006

PDF]über die metaphysischen implikationen von paul celans poetologie ...

archiv.ub.uni-heidelberg.de/volltextserver/6908/1/Endfassung.webpdf.pdf

^ Top

« Poesie und Philosophie auf der Suche nach Frieden | Deutungspraxis - Beispiel Paul Celan »