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Thesen zu was in Oslo geschah

Athen den 28.7.2011


Oslo berührt uns alle. Ja, Schockwellen gehen von diesem Ereignis aus. Es betrifft insbesondere Kinder und Jugendliche.

Jeder mag eine persönliche Beziehung nach Norwegen haben. Hier, in Athen, im Café von wo aus ich diese Thesen schreibe, der Vater der Inhaberin ist Norweger und arbeitet in einen der Gebäuden in Oslo, wo die Bombe hoch ging. Glücklicherweise war er an jenem Tag zuhause geblieben.

Im Nachhinein werden viele auf das, was der Täter als Manifest über drei Jahre nieder geschrieben hat, aufmerksam. Daniel Cohn Bendit meint vieles von dem was da drinnen steht, könnte genauso gut von rechten Politikern stammen. Es wirft auf die Frage nach den Ursachen eines Rechtskonservativen Muster mit Tendenz immer radikaler zu werden.

Radikalität ist eine Begleiterscheinung von Übervereinfachungen. Das begünstigt Modelle die nicht zum Verstehen der anderen, sondern zu noch größeren Missverständnissen beitragen. Leider ist es ja oft so, das Links- und Rechts-Radikalität sich kaum noch in dieser Hinsicht unterscheiden: beide operieren mit Vereinfachungen und gleiten ab in Feindbilder z.B. diese Faschisten.

In der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg als die Auseinandersetzungen zwischen Links und Rechts immer schärfer zu werden drohten, hatte Gramsci davor gewarnt nicht solche Begriffe wie Faschist beliebig zu gebrauchen, weil dadurch viele die es vielleicht noch nicht sind, dennoch in die falschen Hände getrieben werden können. Eine gesellschaftliche Polarisierung gilt also zu vermeiden. Ein jeder kann das nachvollziehen, wenn eine Polarisierung innerhalb einer Schulklasse geschieht und anscheinend keiner mehr zwischen den beiden extremen Auffassungen zu vermitteln versteht. Ähnliche Schwierigkeiten mit einer Vermittlung kennen wir aus dem gescheiterten Friedensprozess im Nahen Osten.

Zum Verstehen was in Oslo geschah, dazu möchte ich eine Grundthese des Dichters Magnus Enzensberger zitieren. Er spricht von den 'Schreckensmännern' bzw. den radikalen Verlierern. Er fragt, wie oft wacht auf eine schlafende Kleinstadt und kann es nicht fassen, dass ein bis dahin anständiger Mann erst seine Frau und Kinder tötet, und dann sich selber erschießt? Es ist für viele unfassbar weil sie bis dahin diesen Mann als angenehmen Nachbarn erlebt haben. Das besagt oftmals werden diese Entwicklungen hin zu einer extremen Gewaltanwendung zu spät erkannt, und dennoch wird einiges erkennbar im Nachhinein, wo doch gefragt werden kann warum nicht vorzeitig reagiert wurde?
Vor allem stellt sich immer wieder die selbe Frage im Falle einer Schießerei in der Schule. Der Täter zeigt auf ein bekanntes Muster: er ist sozial isoliert, hat ein schwieriges Elternhaus, das Mädchen das er liebt, lehnt ihn ab und ehe er zur Tat schreitet, hinterlässt er seine Schreckensbotschaft aber auch Ankündigung seines Wunsches sich für vieles rächen zu wollen, auf einem Video, manchmal sogar hochgeladen auf YouTube.

Eine Studie über die Entwicklung solcher Täter besagt, sie erleben vor allem keine gute Diskussionen zu Hause d.h. wenn alle am Tisch sitzen und essen. Und wo etwas statt findet, dann erleben sie weniger kritisches Nachfragen sondern gegenseitiges Anbrüllen. Lieber geht er alleine auf sein Zimmer und schaut sich während er abwesend isst, ein Videos an oder Surft im Internet. Es wird die Vermutung in dieser Studie ausgesprochen, dadurch, dass der spätere Täter niemals gute Diskussionen erlebt hat, konnte er keine Empathie für andere entwickeln. Dazu bedarf es eine ständige Anregung der Phantasie und eine zu entwickelnde Kapazität sich in andere hineinversetzen zu können. Stattdessen wird allzu oft nur über die 'anderen' geklagt, geschimpft und ja auch unwidersprochen abgestempelt.

Doch da kommt noch etwas hinzu; es hat mit Haß und Rache zu tun. Wie kommt das zustande?
In der Einleitung zu seinem epischen Gedicht 'Judas' schreibt der Irische Dichter Brendan Kennelly, ein 'anerzogener Haß sei viel schwieriger abzubauen als irgend eine andere Art von Haß'.
Was hat das mit Judas zu tun? Die christliche geprägte Erziehung predigt von Tag eins auf die Kindern ein, dass jeder Verräter zu hassen sei. Judas ist die Symbolfigur dafür.
Brendan Kennelly meint über die Jahre hinweg, verwandelt sich solch ein Vorurteil gegenüber jeden Verräter in eine Grund-Überzeugungen, ja Glauben der unerschütterlich zu sein scheint. Wer aber es wagt diese Überzeugungen zu kritisieren bzw. in Frage zu stellen, der beleidigt und löst Rache als überzeugte Reaktion aus. Der Beleidigte vergisst dabei, dass die Überzeugung zu aller erst nur Vorurteil war, und noch mehr ein falsches Modell zum Verstehen des anderen.

Hier ist zum Beispiel an den Attentäter von Rabin zu denken. Er warf Rabin Verrat vor als jener anscheinend bereit war das heilige Land nicht den Siedlern sondern den Palästiner zu überlassen. Der Attentäter handelte weil überzeugt vom religiösem Gebot her bei Verrat sei die Rache angebracht. Das galt für ihn als etwas höheres als irgend ein anderes Gesetz. So nahm er sich das Recht zu töten, weil im Falle eines Verräters nicht das normale Gesetz, geschweige das religiöse Gebot, Du sollst nicht töten, gilt, sondern das Recht auf Rache für den Verrat gilt. Und diese Überzeugung in die Rache als gerechte Strafe sieht vor eine Radikalität das alles andere außer Kraft setzt und darum Rabin das Leben kostete. Seitdem ist der Friedensprozess im Nahen Osten nicht mehr in Gange gekommen. So schlimm war die Konsequenz dieses Attentats und leider besagt das der Oslo Vertrag scheiterte insofern es ihm nicht gelang im Nahen Osten einen dauerhaften Frieden zu stiften. Sobald Rabin weg war, hörten z.B. kulturelle Kooperationsprojekte zwischen Jordan, Palästina und Israel bezüglich der Wasserversorgung auf.

Brendan Kennelly meint zusätzlich zu diesem Umwandlungsprozess von Vorurteilen in Überzeugungen (und wir sprechen ja von Überzeugungstätern) wird eines nicht gesehen: bei aller Erziehung den Verräter zu hassen, wird übersehen, wie im Prozess des Heranwachsen eigene Kindheitsträume verraten werden.

Vermutlich resultiert aus diesem Verlust an Kindheitsträumen - die meisten von ihnen basieren auf einen Glauben in die Menschheit und in die Menschlichkeit - ein Haß auf sich selber. Schließlich ist dies nur konsequent denn jeder Verräter soll gehasst werden, also auch das eigene Selbst wenn dazu gehörig. Jener Selbsthass bricht spätesten dann hervor, wenn der 'radikale Verlierer' feststellt, er hat gar keinen Glauben an die Menschheit mehr und meint nur noch durch Radikalität eine Lösung zu finden. Er schreitet dann zur endgültigen Tat, um sich und allen anderen zu beweisen, dies ist der einzig mögliche Beweis der erbracht werden kann, und zwar nicht nur er hat alles verloren, sondern andere werden zu spüren bekommen was solch ein Verlust bedeutet. Mit anderen Worten, er wird es allen zeigen!

Jean Pierre Faye hat in seiner Analyse der Totalitären Sprachen ebenfalls beschrieben wie Menschen die durch die totale Macht manipuliert werden, bis sie sich nicht mehr selber kennen weil über-angepasst, damit anfangen würden sich selber zu hassen und darum nur noch ein geeignetes Objekt bzw. Subjekt suchen anhand dessen sie ihren Haß entladen können.

Einst waren es Juden, aber der Täter von Oslo hatte eine ganze Liste an Verrätern die Zielscheiben seines Haßes waren. (siehe Anhang)

Interessant ist obendrein, dass ein Literaturkritiker und ebenfalls Ermahner vor der Islamischen Gefahr, nämlich Bruce Bawer sich haarscharf an der Grenze der Bejahung des Täters bewegt. Der Täter hat ihn des öfteren in seinem Manifest zitiert. Denn Bruce Bawer wettert auch gegen die Gefahr des Islams aber meint noch kurz vor der Tat halt machen zu können. Dennoch spricht er ebenfalls von Europa als dekadent, tut es aber in einem umgekehrten Sinne, nämlich er meint die Freiheit gefährdet zu sehen wenn jemand wie der Rechtspopulist in Holland vor Gericht wegen seinen Haß-Tiraden auf den Islam zitiert wird.

Vor allem Rechtsradikalismus zeichnet sich dadurch aus, dass sie die Redefreiheit für sich reklamieren, insofern sie ungefragt ihre Hass-Tiraden öffentlich loslassen wollen. Viele von ihnen stellen sich sogar übers Gesetz und zeigen obendrein ein Bewusstsein dafür, dass sie wissentlich Dinge schreiben, die wegen Verleumdung oder auch wegen Leugnung des Holocausts strafrechtliche Folgen nach sich ziehen können. Die Frage ist inwiefern Redefreiheit mit Verachtung von Menschen vereinbar ist, wenn ein Mindestmaß für die Redefreiheit die Anerkennung des anderen als Mensch geltend zu machen ist, sollten im öffentlichen Raum Wahrheitsfindungsprozesse durch verschiedene Meinungsäußerungen stattfinden?

Zur Menschenverachtung gehören auch Sätze wie 'es gibt zu viele Menschen auf der Welt' als wäre die Lösung die Abschaffung vieler, gleich einer Massentötung, oder 'der Mensch sei ein Untier', so als wäre er die Ursache aller Probleme, wobei das Schizophrene hinzu kommt, insofern immer nur andere gemeint sind, im Vergessen man ist ja selbst ein Mensch.

Kurzum, es bedarf klares Nachdenken darüber was ist Redefreiheit und was tun beim möglichen Missbrauch? Um so mehr ist zu bewundern die Reaktion des Norwegischen Premierminister und vieler Norweger die selbst nach solch einem Geschehen in Oslo sich nicht von einer offenen Gesellschaft abbringen lassen wollen und ja, selbst dann noch zur Meinungsverschiedenheit stehen, wenn das sehr extreme Meinungsäußerungen beinhaltet.

Praktisch hat zur Öffentlichkeitsfrage einiges Jürgen Habermas geschrieben, aber auch der Philosoph Bart Verschaffel, wobei Dialogfähigkeit ein besonderer Aspekt ist und nicht mit Teilnahme an öffentlichen Debatten zu verwechseln ist. Letzteres ist eher als diskursive Praxis zu bezeichnen und kann von den Arbeiten eines Michel Foucaults abgeleitet werden.

Jürgen Habermas hat etwas wichtiges in seinem Buch 'Ach, Europa' angesprochen, indem er von einer 'Pathologie der Öffentlichkeit' ausgeht, und damit Murdoch u.a. meint. Der jüngste Skandal in England unterstreicht dabei noch einmal wie die Rechte sich der Medien bedient und obendrein sich sehr gut aus der Anklage entziehen kann d.h. strafrechtlich handeln, aber ohne Konsequenzen obwohl sie deutlich Grenzen überschritten haben.

Es besteht die Frage, ob der Täter alleine gehandelt hat? Eine indirekte Antwort darauf wäre zu sagen der Täter ist ein Produkt einer bestimmten Gesellschaft in der ganz allgemein solch eine Einstellung vertreten wird, aber das erfasst nicht was Enzensberger zu sagen versucht mit dem 'radikalen Verlierer'. Jener erlebt die Gesellschaft von Kindheit an als Verlierer. Er genießt kein Ansehen in der Schule und nach der Erziehungszeit findet er auch keine innerliche Anerkennung. Dieser Verlust wird mit einem Hineinsteigern in sogenannte Helden-Mythologien überdeckt. Im Falle des Täters von Oslo identifiziert er sich mit Rittern die angeblich die christliche Welt vor dem Einfluss des Islams retten. Dabei übersieht er wie jene Ritter Gewalt anwenden, ja auf ihrem Kreuzzug überall wüten wo sie hinkommen. Das wiederum stellt die Frage, welchen Mythen sind viele auf den Leim gegangen, weil sie das nicht mehr von einer wahren Geschichtserzählung unterscheiden können?

Aber da die Philosophie laut Ernst Bloch ähnlich zur Kriminalpolizei oder Sherlock Holmes vorgeht, indem sie auf bislang unbeachtete Details aufmerksam macht, können bestimmte Thesen aufgestellt werden, um weiter nachfragen zu können:

1. Keiner kann so viele unschuldige Menschen umbringen und dabei eine kühle Rationalität bewahren die nötig ist um das Ganze durchzuziehen, sondern dazu bedarf es einer Unterstützung. Selbst im Dritten Reich bekamen all diejenigen die die schlimmsten Taten bzw. ein Verbrechen an der Menschheit begangen, solch eine Unterstützung. Sie wurden von vielen Experten auf diese Aktion vorbereitet. Dies beinhaltet u.a. die notwendige Vorsorge, um ja keine Spuren zu hinterlassen die auf diesen größeren Zusammenhang verweisen könnten. Bei allem muss das menschliche Gewissen ausgeschaltet werden, um töten zu können. Es fragt sich ob dies jemals ein einzelner alleine tun kann. Selbst ein Überzeugungstäter handelt im Glauben seine Überzeugung teilt er mit anderen die ähnlicher Auffassung wie er sind.

2. Eines ist verwunderlich, denn der Täter ließ erstmals die Bomben in der Innenstadt hochgehen, und begab sich dann auf die Fähre zur Insel. Einmal dort, begann er unschuldige Kinder zu erschießen. All das entspricht einem durchdachten Plan der auf etwas abzielt: Ablenkung der Polizei. Sie wird auch im Nachhinein dafür kritisiert, so sehr erst auf den Bombenanschlag reagiert zu haben, aber mehr als 50 Minuten zu benötigen, um die Insel wo die Schießerei stattfand, zu erreichen. Es ist kaum zu glauben das ein einzelner beide Taten begehen kann ohne zumindest logistische Unterstützung erfahren zu haben.  Bereits das Hochgehen von Bomben in der Innenstadt entspricht einer überdimensionale Handlung, darum unfassbar wie der Täter anschließend noch in Polizeiuniform auf eine Fähre zur Insel hat gehen können. Warum haben sich andere auf der Fähre nicht gefragt, was tut ein Polizist alleine, besonders wenn in der Innenstadt so viel los ist? Noch mehr, es war keine echte Polizeiuniform, aber macht deutlich wie die Uniform auf Menschen wirken kann d.h. als etwas formelles oder offizielles und deshalb mit Autorität ausgestattet. Später auf der Insel kann der Täter in Uniform die Jugendlichen überzeugen, sie sollten sich versammeln. Sie tun es und dann beginnt er auf sie einzuschießen. Warum reagierten die Kinder so? Er muss doch Waffen bereits bei sich getragen haben. Da stimmt etwas nicht in der Reaktion der Kinder oder Jugendlichen weil bekanntlich die Polizei von Norwegen keine Waffen trägt.

3. Die Tötung von Kindern oder von einer politischen Jugend mutet fast an wie es in der Bibel steht als der König aus Angst vor Jesus alle Kinder umbringen lässt. Damit stellt sich die Frage inwiefern nicht die Bibel selber als Grundtext voller Beispiele grausamer Gewaltanwendungen ist? Oftmals wird das in Verbindung mit dem Zorn Gottes gebracht und der dann jemanden ernennt, um in seinem Auftrag Rache zu üben. Überhaupt gilt das Nehmen von unschuldigem Leben einem Sinn von Rache die als gerechte Strafe für ein Volk, das vom Pfad der Tugend abgekommen ist, dargestellt wird. Somit stellt sich die Frage, ob nicht vom Christentum ein verzerrter Inbegriff von Gerechtigkeit vermittelt wird? Wenn ja, dann kann das auch erklären weshalb radikale Christen zugleich den Krieg befürworten können z.B. in Amerika die Befürworter vom Krieg in Irak und Afghanistan. Da zeitgleich zu den Jukuta Tagen in Tübingen eine Diskussion zwischen Küng und Galtung zum Thema 'Religion und Frieden' statt fand, wäre es interessant dieser Frage nachzugehen, weil vieles darauf hindeutet, dass Religion und Krieg als höchste Form der Rache stets zusammen gehen, und dass dann vielen unschuldigen Menschen das Leben kostet. Wie viele Menschen wurden in Irak und Afghanistan getötet nur weil Tony Blair und Präsident Bush meinten Saddam Hussein solle bestraft werden dafür, dass er nicht die Kriterien einer vollen Kooperation und Erfüllung der Auflagen der Waffeninspektoren entspräche! Die Art der Bestrafung die zum Krieg verleitet, und das oftmals aus religiösen Gründen, insofern der Krieg mit humanitären Argumenten gerechtfertigt wird, und das obwohl kein Krieg zu rechtfertigen ist, ist ja die schlimmste Form an Extremität und Radikalität.

4. Hinzu kommen im Nachhinein weitere Kommentare zu was in Oslo geschah, Kommentare die noch größere Entgleisungen auf der rechten Seite des politischen Spektrums zum Vorschein bringen z.B. ein ehemaliger Fox Kommentator, vor kurzem entlassen, vergleicht auf seiner Talkshow die Jugend die auf dieser Insel vor Oslo versammelt war und dann erschossen wurde, mit der Hitlerjugend. Er lässt offen die Frage, ob sie nicht deshalb verdienterweise getötet wurde?

Dann etwas sei zu sagen zu was sich in den Skandinavischen Ländern im Umgang mit Immigranten besonders in den letzten Jahren getan hat. Der 'Fremde' ist ein Objekt des Hasses. Das Problem ist deutlich zu spüren. Zum Beispiel sagte ein Taxifahrer aus Bulgarien und der in Dänemark seit 16 Jahren lebt und fünf Sprachen spricht, dass die Dänische Behörde noch obendrein für den Beweis seiner Integrationswilligkeit von ihm verlange, dass er bereit sein müsse seine Muttersprache aufzugeben bzw. zu leugnen. Das könne er aber nicht tun. Jener Taxifahrer hatte vor nach Australien auszuwandern.

Zwecks einer Lösung und Zukunftsperspektive, gilt zu fragen ob es solch ein interkulturelles Europa geben kann, in der viele trotz Abstammung von unterschiedlichen Kulturen zusammen leben und arbeiten können?

Leider gibt es bislang keine gute EU Kulturpolitik die die kulturelle Vielfalt zu verbinden verstünde mit der Weiterentwicklung von solchen kulturellen Formen die die Partizipation begünstigen. Gleichzeitig müsste dazu die Dialog-Fähigkeit gefördert und weiter entwickelt werden. Das eine Jahr in 2008 zugunsten der Förderung des interkulturellen Dialogs hat leider nicht allzu viel erbracht, obwohl es seit dem die Platform für ein interkulturelles Europa gibt, um den strukturierten Dialog zwischen Kommission und der Zivilgesellschaft in Europa aufrecht zu erhalten. Von der Platform wird anerkannt, dass Dialog nicht denkbar ohne interkulturelles Lernen und einer Kapazität, Empathie für andere Menschen zu entwickeln, ist.

Vielfach hat die gegenteilige Entwicklung diesen Haß geradezu gefördert u.a. wenn Merkel behauptet das multi-kulturelle Model sei gestorben. Gerade sie, die aus einem Pfarrhaus stammt, müsste wissen die Gesellschaft benötigt Orte wo alle sich treffen können. Robert Minder hat mit seiner These das Pfarrhaus sei die Urzelle der deutschen Literatur, darauf aufmerksam gemacht. Solche Orte wo Menschen aus unterschiedlichen Schichten und Kulturen zusammenkommen können, stärken die Integrationsfähigkeit der Gesellschaft. Aber natürlich glaube ich nicht, dass die Religion, zumal die Kirche von heute, noch der geeignete Ort ist.

Beim Täter kommt noch etwas hinzu: die Tatsache, dass die Eltern sich scheiden ließen als er nur ein Jahr alt war. Das deutet auf eine enorme Verlust-Erfahrung im ganz jungen Alter hin. Es wird gesagt, dass er sein Gleichgewicht behielt, solange seine Schwester noch da war. Als sie nach Amerika auswanderte, behaupten Menschen die ihn kannten, dass er völlig außer Kontrolle geriet.
Er war außerdem Mitglied der Jugendgruppe der Progressiven Partei die für ihren anti-Immigrantenstandpunkt bekannt war. Er schied aus, weil sie ihm nicht radikal genug war d.h. im Vorgehen gegen Immigranten.
Warum er nicht auffiel, das hängt ebenso mit dem üblichen anti-demokratischen Verhalten vieler zusammen: privat wird geschimpft, aber öffentlich niemals deutlich Stellung bezogen.

Wir wissen die Gesellschaft schafft Strukturen, die nicht leicht zu verändern sind, und woran viele zunächst mal scheitern. Aber solch ein Scheitern will verstanden sein, um in Zukunft gesellschaftliche Veränderungen zu ermöglichen. Gleichzeitig gibt es nur bestimmte Erfolgskriterien die nicht jeder erfüllen kann. Es verlangt um so mehr Mut zu sich selber zu stehen und sich nach eigenen und zugleich selbst verantwortbaren Maßstäben zu beurteilen und zu bewerten. Ein jeder Mensch hat Wert. Seine Größe ist es zu lachen und unter dem freien Himmel träumen zu können. Und jeder macht durch Existenzszweifel, aber eben diese Zweifel machen einen wichtigen Unterschied zu jeder Radikalität aus. Letzteres will über jeden Zweifel erhaben sein und darum aus Überzeugung handeln.
Leider merken wir erst welche eine Differenz gerade diese Person ausmachte wenn sie nicht mehr existiert, es also zu spät ist, dieser Person zu sagen, sie habe einen  sozialen Wert und deshalb sei sie kein Verlierer.
Zum Leben gehört allerdings das kulturelle Verständnis was ein Scheitern alles beinhaltet und woraus gelernt werden kann, vorausgesetzt Mögliches bleibt vermittelbar mit dem Unmöglichen, aber sehr wohl berechtigtem Verlangen nach Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden.

Die Jugendlichen können sich vom falschen Zwang, der durch diese gesellschaftlichen Strukturen entsteht, befreien, wenn sie sich selber ihre eigene Anerkennung verschaffen und das im Wissen es bereichert ihre Dialogfähigkeit mit anderen Menschen, weil stimmig mit einem Leben das durch eine gute Praxis bewahrheitet wird.

Den Jugendlichen von Norwegen, und insbesondere denjenigen die am Unglücksort waren und es überlebten, sagen es selbst, nämlich dass die Ideen von einem demokratischen Leben die die Getöteten in sich trugen, die können nicht getötet werden. Das Gleiche gilt für Ägypten oder für Athen wo Jugendliche unabhängig von politischen Parteien, Gewerkschaften, Beziehungen und anderen Formen der Abhängigkeiten ihren eigenen Existenzgrund dadurch sichern, indem sie sich frei von Hierarchie selbst organisieren und darum jeden das Recht auf Gemeinsamkeit einräumen.

Hatto Fischer

Athen 28.7.2011

 

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