Ποιειν Και Πραττειν - create and do

Ernst Schnabel

               

                Ernst Schnabel

Ernst Schnabel, 1913-1986, fuhr 1931-45 zur See, war 1946-50 Chefdramaturg und 1951-55 Intendant des NWDR in Hamburg, danach freier Schriftsteller in West-Berlin. Dort erlebte ich ihn auf der Knesebeckstrasse in Charlottenburg als Nachbar, aber auch als jemand der den Sinn der Literatur lebhaft weiter zu vermitteln verstand.

**********************

Jeder angehende Schriftsteller und Dichter braucht Orientierung aber auch Anerkennung. Ernst Schnabel verstand es beides zu geben. Viele später berühmt gewordene Schriftsteller verdanken ihm die Öffnung dieser Tür in die breite Öffentlichkeit Dank seiner Tätigkeit als Intendant am Nord Deutschen Rundfunk und später Fernsehen. Bezeichnend für ihn war aber der von ihm angegebene Grund für seinen Rücktritt, und das ohne Rentenanspruch: er meinte im ersten Jahr war alles neu, im Aufbau begriffen, im zweiten waren die Erfolge zu verspüren und im dritten musste er Dinge unterschreiben die er nicht verstand. Er wehrte sich gegen eine Unübersichtlichkeit aus dem Gefühl der Verantwortung heraus. Erkennbar waren bei ihm die literarischen Kategorien und deshalb war er stets Außenseiter wenn auch Mitglied der Akademie der Künste die sich stets der gesellschaftlichen Norm anpasste und nicht so sehr der Kritik aus dem freien Gewissen des Schriftstellers heraus.

Oft war Ernst Schnabel zu erleben auf der Knesebeckstrasse. Trotz Lähmung behielt er den guten Humor und seinen scharfen und kritischen Geist. Er fütterte gerne die Spatzen und verliebte sich schnell und gerne in jede gut aussehende Frau und das auch wenn auf dem Krankenbett nach einem seiner zahlreichen Schlaganfällen die ihn auf der einen Seite lähmte.

Er hat erstaunliches für die Nachkriegsliteratur getan. Zumal er bereits seine Geschichten im Schein der Laterne in der Steuerkabine eines Frachters dessen Kapitän er im Zweiten Weltkrieg war, schrieb und vermutlich dadurch seine Sehkraft minderte. Nach dem Krieg verstand er vor allem eines: den Menschen das Träumen vom Reisen wiederzugeben. Er flog mit einem amerikanischen Klipper in 18 Tagen um die Welt. Seine Tonband-Aufnahmen machten einen vertraut mit der Fremde - jene Stimmen in Kairo oder in Delhi. Nicht zu vergessen ist das gebrochene Englisch des Inders. Es wurde durch seine Radio-Sendung zu einem vertrauten Klang von Ferne. Als das Flugzeug in Hawaii landete und er mit einem Amerikanischen Offizier den einen Kilometer zur nächsten Kantine lief, gab er wieder deren Unterhaltung: "how long you said that it takes you to get around the world? - 18 days! - my holly, this shall be the end of Robinson Crusoe". Tatsächlich verstand Ernst Schnabel das sinnbildlich per Radio zu vermitteln: das Träumen auf ferne Reise aber in der Vorwegnahme dass die neue Technik jedem Einsiedler das Garaus bereiten wird. Das Ende der Welt wurde darum verdeutlicht und zwar als Ende von Nischen an Existenzen die noch von der Vereinnahmung der Welt durch Beton und Autostraßen unberührt blieben.

Ernst Schnabel wagte es noch einmal mit einem Flieger ins Auge eines Hurrikans zu fliegen. Seine Berichterstattung war packend wie präzise.

Das Buch "Ich und die Könige" zeigte seine Einfühlungsgabe in Richtung Griechenland. Daidalos war nicht nur eine Figur der Architektur. Ja, er baute Tempel. Doch war er mehr als nur ein Inbegriff eines Ingineurs denn er verstand es den Königen zu dienen ohne wirklich dienerhaft zu sein. Bezeichnend war seine Anweisung an seinen Lehrling. Der wollte den Abstand zwischen den Säulen eines zu bauenden Tempels messen aber Daidalos riet ihm keinen Metermaß zu verwenden sondern erstmals zurückzutretendenn wenn er das Nichts zwischen den Säulenerkannte hatte, dann habe er den richtigen Maßstab. Im heutigen Griechenland ist es immer noch so dass das Augenmaß mehr gilt als der wirkliche messbare Abstand und weshalb Fehler in der Baukonstruktion nur dann als Fehler bezeichnet werden, wenn das Ungefähre nicht mit den neuen technischen Geräten übereinstimmt, aber immer noch das Ästhetische verdeutlicht dadurch dass dies durch menschliche Hände entstanden ist und nicht sonst wie.

Daidalos hat auch die Erfahrung gemacht bei der Konstruktion des Labyrinth dass dem König das Geld ausgeht und deshalb konnten nicht mehr am Ende der Tunnel die wie Sackgassen gebaut waren, keine Spiegel wie ursprünglich vorgesehen angebracht werden. Aber Daidalos zog daraus den durchaus wertvollen Schluss dies hatte einen unerwarteten Vorteil denn alle Menschen die am Ende des Tunnels nur eine nackte Wand konfrontierten, kamen allesamt verändert zurück aus dem Labyrinth. Daidalos fügte hinzu die meisten kamen veraltert heraus und nur wenige verjüngt.

Das Buch hat etwas wertvolles an sich weil es ebenso etwas überden KKöniginos und der Entstehung von Minotaurus sagt aber zugleich hat Ernst Schnabel immer wieder von einer auf dem Boden liegenden Skulptur auf Naxos gesprochen. Denn dort kann man sich neben der niemals aufgerichteten Skulptur hinlegen und nicht das Meer sehen, aber hören.

Es sei in Erinnerung an diesen Schriftsteller und ehemaligen Nachbar auf der Knesebeckstrasse gesagt er hat auch eine wunderbare Tochter die in Paris weilt und ab und zu nach Berlin kam, um ihren Vater zu besuchen. Jener wohnte hinter dem Weinladen, heute ein Fotokopierladen. Es sagt etwas aus wenn seine Hinterlassenschaft meistens in diesem Hinterhof und in der damaligen Rosalinde abspielte. Literatur war da zuhause da alle nach einer Lesung im Buchhändlerkeller dorthin kamen.

Hatto Fischer Athen 2.1.2011

Kommentar von Christine Holste:

"Ein Genie des Gesprächs verdient, genauer charakterisiert zu werden: Was waren die Themen? Worum kreisten sie? Was hat ihn nicht losgelassen? - Die Anfänge in Hamburg sind interessant  - war er Kollege von Heydorn (großartige Aufsätze, u.a. über Landauer) und Heinz Schwitzke, (mit dessen Tochter ich zur Schule ging)? Kam er aus der Emigration? Wie hat er die Berliner Zeit im Vergl. m. Hamburg erlebt, dem die britische BZ nicht schlecht bekommen ist gerade beim Rundfunk?
Dann möchte man etwas hören von seiner Sprache. Gibt es einen Satz aus seinem von Dir zitierten Buch, der Dir im Gedächtnis geblieben ist wegen seiner Sprache?"

Berlin 6.1.2011


“Ein Tag wie morgen - Drei Hörspiele von Ernst Schnabel

Eine historische Referenz zum Projekt weltweit24maerz.de

http://weltweit24maerz.de/clas/ein-tag-wie-morgen.html

"Als Ernst Schnabel in den Jahren 1947, 1950 und 1977 die Radiohörer aufforderte, ihm brieflich ihren Tagesablauf an einem festen Stichdatum mitzuteilen, war die eingehende Post nicht ohne einen ganzen Stab von Lektoren zu bewältigen. Nach der Auswertung entstanden drei Dokumentarhörspiele, in denen alles seinen Platz haben konnte, was zwischen Mitternacht und Mitternacht am 29.01.1947, 01.02.1950 und 29.01.1977 jeweils geschah: Tausende von Einzelschicksalen, außerdem Reportagen und aktuelle Meldungen, Beobachtungen zur Wetterlage, zur Tagesposition des Planeten Erde – und zu höchst irdischen Verhältnissen der Nachkriegsdeutschen und Bundesbürger auf ihm. Drei Tage ohne überschattende Großereignisse, die einen umso tieferen Einblick in die Alltagsnöte der Westdeutschen gestatteten, in ihre Gefühle und Gedanken, in ihre gesellschaftlichen Verhältnisse.

Drei Tagesabläufe. Im entbehrungsreichsten Nachkriegswinter: 29.01.1947, vier Wochen nach Bildung der ,Bizone’ im Westen. Nach Währungsreform und Gründung der Bundesrepublik: 1.2.1950, zwei Wochen nach Aufhebung der Lebensmittel-Rationierung. Im letzten großen Krisenjahr der Republik: 29.01.1977, mehrere Monate vor dem “Deutschen Herbst”.

Aus Schnabels eigensinnigem Versuch, den Hörern im Programm eine Vielzahl von Stimmen zu geben, entwickelte sich der originellste Versuch radiophoner Zeit-Geschichtsschreibung.

Ernst Schnabel, 1913-1986, fuhr 1931-45 zur See, war 1946-50 Chefdramaturg und 1951-55 Intendant des NWDR in Hamburg, danach freier Schriftsteller in West-Berlin. Umfangreiches radiophonisches, erzählerisches und essayistisches Gesamtwerk."

Buchausgabe: E.S.: Ein Tag wie morgen, Stuttgart 1963 (RUB 8282/84)

Der 29. Januar 1947 – Ludwig Cremer (Regie) – NWDR 1947 - 80 Minuten
Der 1. Februar 1950 – Fritz Schröder Jahn (Regie) – NWDR 1950 - 103 Minuten
Der 29. Januar 1977 – Hans Gerd Krogmann (Regie) – WDR/SFB 1977 – 70 Minuten

Dieser Artikel wurde von Detlef Clas am 10.03.2005 um 14:01 in der Kategorie Das Projekt erstellt. Zu diesem Artikel gibt es auch eine Audioversion.

5 Kommentare zu “Ein Tag wie morgen - Drei Hörspiele von Ernst Schnabel” vorhanden

Jürgen Morgenstern meint am 23.03.2005 um 16:36:

Sehr interessantes Projekt, bin sehr gespannt und freue mich auf die Beiträge morgen. Kann man die vorgestellten Hörspiele von Ernst Schnabel eigentlich mal irgendwann hören oder beziehen? Gruß, JM-F

Detlef Clas meint am 23.03.2005 um 23:28:

Das SWR2 Hörspiel brachte “Ein Tag wie Morgen” am 28.09.2003. Am 26. September 2003 wäre Ernst Schnabel 90 Jahre alt geworden. Er starb im Januar 1986. Der Sendetermin ist also noch nicht so lange her. Aber vielleicht wird “Ein Tag..” ja nochmal wiederholt,wenn “weltweit” zu einem Hörspiel verdichtet wird.

Giuseppe meint am 30.03.2005 um 10:28:

Hatte nie von dem Schnabel-Projekt gelesen oder gehört. Vieles, was heute innovativ und originell erscheint, hat längst Vorgänger gehabt. Euer Verdienst: mit dem Blick in die Vergangenheit entdeckt; mit dem Blick in die Zukunft erneuert. Kompliment!

hatto fischer meint am 07.10.2005 um 17:58:

Es freut mich das Wirken von Ernst Schnabel auf diese Weise fortgesetzt zu sehen. Ich kannte ihn als lieben Nachbarn auf der Knesebeckstrasse. Trotz Schlaganfaelle war sein Geist noch sehr rege. Er verstand Literatur als Kritik an den subtilen Kategorien die wir in Alltagsbeschreibungen benutzen. So gesehen war sein Buch ‘Ich und die Koenige’ eine poetische Rekonstruktion einer Geschichte und sein Radioprogram “In achtzehn Tagen um die Welt” etwas das vielen nach dem Krieg erstmals das Traeumen vom Reisen moeglich machte. Ernst Schnabel wuerde sich bestimmt ueber dieses Projekt freuen vorausgesetzt sein literaischer Massstab kommt dadurch auch in solch einer Radiosendung zur Geltung.

^ Top

« Literature | Franz Kuhn »